Die Physikerin Kerstin Hummer erforscht die Eigenschaften von technischen Bauelementen.

Zur Person
Kerstin Hummer (32) forscht im Rahmen eines Postdocs am Institut für computergestützte Materialphysik der Uni Wien. Kürzlich erhielt sie das L'Oréal-Stipendium "For Women in Science" 2008.

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Unser technologischer Fortschritt basiert auf der permanenten Entwicklung neuer Materialien, welche je nach Anwendung ganz bestimmte Eigenschaften erfüllen müssen. Zum Beispiel in der Mikroelektronik-Industrie besteht heute die wichtigste Herausforderung darin, den permanent steigenden Ansprüchen an Schnelligkeit, Speicherkapazität sowie Gewichts- und Größenreduktion von (tragbaren) Computern, Mobiltelefonen oder Musikgeräten gerecht zu werden.

So wurde in den letzten Jahrzehnten in der Computer-, Kommunikations- und Automationstechnologie ein enormer Fortschritt erreicht, der primär auf der Miniaturisierung von siliziumbasierten Bauelementen beruht. Darunter versteht man die zentrale Einheit eines technischen Gerätes, wie der Transistor oder die Leuchtdiode. Dabei wurde bereits eine Größe von nur wenigen Nanometern erreicht - man spricht vom Zeitalter der Nanotechnologie.

Jedoch bestimmen in diesem Größenbereich zunehmend Quantenphänomene die physikalischen Eigenschaften der Bauelemente, welche deren Funktionsprinzip beeinträchtigen beziehungsweise verändern. Die Möglichkeit, eine Effizienzsteigerung durch Miniaturisierung zu erzielen, ist somit an ihre Grenzen gestoßen. Deshalb konzentriert sich die moderne Materialwissenschaft nun auf die Erforschung neuartiger funktionaler Materialien oder macht sich die Quantenphysik zu Nutze, um völlig neue Funktionsweisen zu erschließen: zum Beispiel Quantencomputer oder Quantumdot-Laser.

Dies ist auch Gegenstand von computergestützter Materialforschung. Grundlage dafür ist die quantenmechanische Beschreibung der Wechselwirkungen zwischen Atomkernen und Elektronen. Die zentrale Gleichung der Quantenmechanik ist die Schrödinger-Gleichung, durch deren Lösung der elektronische Grundzustand eines Systems (Atom, Molekül, Festkörper) beschrieben ist.

Die wichtigste Größe darin ist die Wellenfunktion, deren Komplexität enorm mit der Anzahl der Elektronen steigt. Im Falle eines Festkörpers kann sie somit nicht mehr exakt gelöst werden. Dadurch ist ihre Anwendung für materialwissenschaftliche Problemstellungen eingeschränkt.

Neue Maßstäbe

Mit der Formulierung der Dichtefunktionaltheorie (DFT) durch Pierre Hohenberg, Walter Kohn und Lu J. Sham 1964/1965 (Kohn wurde 1998 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet) und ihrer Umsetzung in sehr effiziente Computerprogramme gelang in den computergestützten Materialwissenschaften der Durchbruch.

Das am Institut für computergestützte Materialphysik der Universität Wien entwickelte "Vienna Ab-initio simulation package" (VASP) hat neue Maßstäbe bei der erfolgreichen Anwendung der DFT gesetzt. Die DFT ermöglicht eine parameterfreie Beschreibung von Materialeigenschaften und besitzt daher Vorhersagekraft. Ihr Erfolg beruht aber vor allem auf ihrer Präzision und Schnelligkeit.

Zentrale Themen der Forschungsarbeit sind einerseits die Beziehungen zwischen atomarer Struktur des Festkörpers und seinen elektronischen und optischen Eigenschaften sowie die physikalischen Eigenschaften von Grenzflächen zwischen verschiedenen Materialien und deren Einfluss auf die optischen Eigenschaften von Bauelementen. Als optische Eigenschaft versteht man die Wechselwirkung von Licht mit Materie, welche insbesondere in Leuchtdioden, fotovoltaischen Zellen oder Lasern eine wesentliche Rolle spielt.

Die theoretische Beschreibung des optischen Anregungsprozesses erfordert allerdings weitere Theorien, die über die DFT hinausgehen. In einem aktuellen Forschungsprojekt beschäftige ich mich im Rahmen des Sonderforschungsbereiches "Infrared Optical Nanostructures" (IR-ON) des österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) mit der theoretischen Beschreibung von Blei- und Europiumsalzen. Erstere sind durch sehr kleine Bandlücken charakterisiert, wodurch sie als optisch aktives Material in Quantumdot-Lasern, die im mittleren infraroten Wellenlängenbereich emittieren, verwendet werden. Solche Lichtquellen dienen als Emitter sowie Detektoren in der Gassensorik und werden in der Medizin eingesetzt. Hier spielt die Beziehung zwischen Struktur und Eigenschaften eine wichtige Rolle. Denn durch die Größe und Form der Quantumdots wird die Bandlücke und somit die Wellenlänge des emittierten Lichtes verändert. Durch Kombination solcher Strukturen in Schichten kann ein in einem bestimmten Wellenlängenbereich durchstimmbarer Laser realisiert werden.

In einem weiteren Projekt sollen die elektronischen und optischen Eigenschaften einzelner auf Metalloberflächen adsorbierter Moleküle mittels Computersimulation untersucht werden. Erstmals werden beide, das Molekül plus Substrat, in der Simulation berücksichtigt. Bisher waren hauptsächlich unzureichende Computerressourcen sowie fehlende Computerprogramme zur Berechnung der optischen Eigenschaften die Ursache dafür, dass Simulationen derartig komplexer Systeme nur selten durchgeführt wurden. (Kerstin Hummer/DER STANDARD, Printausgabe, 12.11.2008)