Die Insektenfunde im Bernsteinlager in Nordspanien, entdeckt von aufmerksamen Straßenbauarbeitern.

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Was unterscheidet Fransenflügler im Labor des Paläo-Insektenkundlers Enrique Peñalver Mollá vom heutigen Insekt? Ganz einfach: 110 Millionen Jahre, denn Peñalvers Insektenfund stammt aus dem Ende Oktober bei El Soplao im nordspanischen Kantabrien ausgegrabenen Bernsteinlager der frühen Kreidezeit. Es ist das größte seiner Art in Europa, entdeckt von aufmerksamen Straßenbauarbeitern.

Es ist kein "gewöhnlicher" Bernstein, denn er schimmert blau-purpurn - was sich bei Sonnen- und Kunstlicht zeigt und nicht erforscht ist. "Der Bernstein ist ein Speichermedium", sagt Peñalver. Im Inneren finden sich Informationen über die Art des Nadelbaumes, Einschlüsse anderer Pflanzen und vor allem der Insekten, wie Wespen, Spinnen und Mücken.

Irgendwie erinnern sie an Szenen aus Jurassic Park vom jüngst verstorbenen US-amerikanischen Autors Michael Crichton. Das alte Wespengift hat die Zeit zerstört, sagt Peñalver, genauso wie die Erbmasse, "denn lange Proteinketten wie die DNS zerfallen".

Bis zu zweihundert neue Arten hofft er aus dem El Soplao Fund zu isolieren. "Schrägster" Fund bislang sei die "Schlangenmücke" mit einem außergewöhnlich langem Thorax, sagt Peñalver im Gespräch mit dem Standard. Einzelne Wespen zeigen gar die Taschen für Eier, andere die Venen der Flügel oder Saugwerkzeuge.

Das Alter des Fundes sei durch Biostratigrafie (Schichtenkunde), die das umliegende Gestein datiert "gesichert", so Peñalver. Sie enthalten auch Pollenspuren, die Aufschlüsse über die Flora geben. Andere Funde, wie des baltischen Bernsteins sind jünger. Sie datieren auf knapp 65 bis 70 Millionen Jahre.

Vergleichbares fand sich in Jordanien, Israel und im Libanon. "Jedoch nicht in jener Menge, Reinheit und mit derart vielen Einschlüssen." Ähnlich datiert sind etwa Funde aus dem Baskenland bei Aláva, Rekorde liefert der Bernstein aus dem österreichischen Golling mit knapp 200 Mio. Jahren, wie auch Stückchen aus dem Trias, die sich bei Alicante fanden.

Dichte Nadelwälder

Das heute in Nordspanien gelegene Kantabrien bedeckten zur Kreidezeit dichte Nadelwälder der Art Frenelopsis. Die große Menge an Bernstein deutet laut Peñalver auf einen Waldbrand hin, da Fusinit gefunden wurde, eine pflanzliche Kohle. Das Paläo-Inferno habe "rasch jegliche Vegetation verzehrt". Die Erosion schwemmte den Bernstein zum Meer, wie Fragmente von Muscheln und Krebsen nahelegen.

Fossile Blätter in der versteinerten Holzkohle Xylit gaben weitere Hinweise auf die Ökologie der Region, die These der einstigen Küstennähe untermauernd. "Die Pflanzen sind mit dicker Cuticula auf halbtrockenes Klima eingestellt gewesen, um Zellschäden und Dehydrierung durch den hohen Salzgehalt im Boden abzufedern", sagt Peñalver. Das Bernsteinlager misst 25 Meter Breite und einen Meter Dicke. Dessen Geheimnisse zu entschlüsseln wird Jahre dauern. "Wir haben nun genug Arbeit für das ganze Leben", sagt Peñalver. (Jan Marot aus Granada/DER STANDARD, Printausgabe, 12.11.2008)