STANDARD: "Was wäre, wenn" ist ein unhistorisches, aber schönes Spiel. Hätte sich die Monarchie noch rechtzeitig aus dem Krieg herausziehen können?

Rauchensteiner: Wahrscheinlich ja. Ende 1914 wäre eine Möglichkeit gewesen. Der neue Kaiser Karl hat das auch 1917 in jeder Weise probiert, aber nicht mit der notwendigen Nachdruck. Und dann stehen uns natürlich unentwegt die militärischen Ereignisse im Weg: Russland ist aus dem Krieg geschlagen, Rumänien besetzt, der ganze Balkan bis Griechenland besetzt, Italien nach der 12. Isonzo-Schlacht schwer geschlagen. Aber die deutschen Österreicher wollten den Krieg fortsetzen.

STANDARD: Die Gründung der Republik - hat es irgendjemand gegeben, der an den Kleinstaat glaubte?

Rauchensteiner: Am Anfang der Republik steht nicht dieses Gefühl: Wir sind ein Staat, den keiner will. Am Anfang steht die Hoffnung. Man dachte, dass die deutschen Gebiete der Habsburger-Monarchie dabei sein werden.

STANDARD: Wenn man sich die heutige Entwicklung ansieht: Bankenkrise, Weltwirtschaftskrise, die Rechten gewinnen wieder, Rot und Schwarz arbeiten nur unter Misstrauen zusammen - erinnert das nicht an die Erste Republik ?

Rauchensteiner: Das sind Phänomene, die eine gewisse Ähnlichkeit signalisieren, aber in der Mischung ist es absolut einmalig.

STANDARD: Wir müssen uns heute keine Sorgen machen ?

Rauchensteiner: Das soll nicht gesagt werden. Aber wir sagen jetzt nicht analog: Weil das in den 20er- und 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts so gelaufen ist, muss es im 21. wieder so laufen.

STANDARD: In der politischen Debatte heißt es jetzt manchmal, auch die Zweite Republik sei am Ende.

Rauchensteiner: Der Versuch mit der Zweiten Republik scheint mir sehr geglückt zu sein, und hier kann man wenigstens eine Hoffnung artikulieren, dass man aus der Geschichte insofern lernt, als sich keine bewussten Wiederholungstäter breitgemacht haben. Und wenn man sagt: Die Zweite Republik ist am Ende - das hat es schon früher gegeben. Es hat schon früher geheißen, wir brauchen jetzt eine Dritte Republik. Ich möchte fragen: Warum? Machts die Zweite ordentlich weiter, und es geht. (Hans Rauscher/DER STANDARD, Printausgabe, 12.11.2008)