Das Elend der frühen Jahre: Die Republik-Ausstellung in der Säulenhalle des Parlaments zeigt Holzsammlerinnen im Wienerwald während der Not im und nach dem Ersten Weltkrieg. Schüler versuchen das nachzuvollziehen.

Foto: STANDARD/Matthias Cremer

"Hiermit ist dieses Projekt abgeschlossen". Bedeutungsschwer sagt es Alfred Gusenbauer. Abgeschlossen ist damit das Projekt einer Ausstellung zum 90. Jahrestag der Gründung der Republik Österreich, die am Mittwoch feierlich im Parlament eröffnet wird ("Republik.Ausstellung 1918/2008").

Abgeschlossen ist aber auch, so der Subtext von Gusenbauers Hintergrundgespräch für in- und ausländische Journalisten im historischen "Kreisky-Zimmer" des Bundeskanzleramtes, eine bestimmte Form der offiziellen Selbst-und Geschichtsbetrachtung. Die historikergestützte Schau mit Fotos, Plakaten, historischen Gegenständen und sorgsam abgewogenen erklärenden Texten war sozusagen gestern.

Heute ist die mit allen Mitteln der Kommunikationstechnik aufgerüstete moderne Erlebnispädagogik dran. Umgesetzt soll das im neuen "Haus der Geschichte" werden, für das die internationale Gruppe Haas/Lord vor kurzem den Zuschlag für eine Konzepterstellung erhalten hat.

Neuer inhaltlicher Ansatz

Neu soll auch der inhaltliche Ansatz sein. Gusenbauer: "Es soll kein national ausgerichtetes Geschichtsmuseum mit österreichischem Mikroblick werden". Es gehe heute nicht mehr darum, "die kleinstaatliche Identität zu stützen" . Die ist, so der Subtext, inzwischen ohnehin gesichert, sondern es gehe um die Einbettung Österreichs in Europa. Deshalb werde man im "Haus der Geschichte" (für das es einen Regierungsbeschluss, aber keinen Standort und auch kein Budget gibt) mit dem Jahr 1848 beginnen lassen. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Massenmigration innerhalb der 52-Millionen-Monarchie sei sozusagen konstitutiv für das österreichische Wesen. Auch die Zuwanderer und unsere Nachbarstaaten müssten sich in dem Konzept wiederfinden können.

Also sozusagen die Vielvölkermonarchie ohne Monarchen.

Der Zeithistoriker Oliver Rathkolb, Gusenbauers Berater in Sachen "Haus der Geschichte", verweist auf das "immer geringere historische Grundwissen" besonders der Jungen und auf die Notwendigkeit, mit dem "Primat der Historiker" Schluss zu machen. Denn die hätten bei der Geschichtsvermittlung an die Jungen offenbar irgendwie ausgelassen.

Am nächsten Tag ergibt sich die Gelegenheit, die unter genau jenem Primat der Historiker entstandene Republikausstellung im Parlament zu besichtigen. Die ersten Schulklassen sind darin schon unterwegs. Es gibt übrigens die Möglichkeit, sich "interaktiv" einzubringen, etwa im Multiple- Choice-Test zu raten, wann Österreich der EU beigetreten ist. Die kumpelhafte elektronische Erfolgsmeldung am Schirm, "Das war gut ! Dir macht keiner was vor!", erscheint ziemlich selten.

Sonst ist die Schau ein sauber gemachter Schnelldurchgang der letzten 90 Jahre von Ende des Ersten Weltkriegs, Zusammenbruch und Aufdröselung Österreich-Ungarns, Elend der ersten Nachkriegszeit, Wirtschaftskrise, Bürgerkrieg, Anschluss - bis herauf in die Gegenwart. Die Historiker - unter der Leitung des erprobten Konsensmeisters Stefan Karner und des Chefs des Staatsarchivs, Lorenz Mikoletzky, haben sauber gearbeitet. Für den zeithistorisch einigermaßen Bewanderten ist nichts Neues dabei, die politischen Hassplakate etwa aus der Ersten Republik kommen einem vor wie alte Bekannte. Schwer zu sagen, ob die Jugendlichen etwas davon haben. Immerhin hat man aber nicht nur eine Zeitschiene aufgestellt, sondern einzelne Gesellschaftsthemen, "Soziales, Kultur" etc., in ihrer Entwicklung aufgearbeitet. Wer will, kann jetzt ziemlich anschaulich nachvollziehen, welche Lebenschancen jemand hatte, der 1918 30 Jahre alt war, bzw.die enorme Verbesserung seither.

Vom großen Reich zum Kleinstaat

Die Schau kann nur wenig von dem ungeheuren psychologischen Bruch vermitteln, den der Übergang von einem großen Reich zu einem innerlich schwer verunsicherten Kleinstaat bedeutete. Einem Staat, der in seiner neuen Verfassung als Artikel 1 die Republik proklamierte und in Artikel 2 deren Zugehörigkeit zum Deutschen Reich (was die Siegermächte verboten). Auch die Schrecken des Ersten Weltkrieges (zehn Millionen Tote, davon 1,2 Millionen in der Monarchie) werden im Gezappel alter Stummfilme nicht recht deutlich. Auf die Darstellung der Kriegsverbrechen der k. u. k. Armee (siehe Buchtipp) an der Zivilbevölkerung in Serbien und der heutigen Ukraine hat man verzichtet.

Es ist, das drängt sich bei einem Rundgang auf, verdammt lange her. Dass der Erste Weltkrieg die "Urkatastrophe" des Jahrhunderts war, die eine noch viel größere zeugte, wird zwar gesagt, aber nur unvollkommen verdeutlicht. Zum hundertsten Gründungstag der Republik muss mehr kommen. (Hans Rauscher/DER STANDARD, Printausgabe, 12.11.2008)