Werner Schneyder, als Regisseur auf Wiener Bühnen ein rarer Gast, inszeniert demnächst Yasmina Reza in Bremen.

Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Franz Fuchs, der Bombenattentäter aus dem steirischen Kralla, hat als "öffentliche Person" schaurige Berühmtheit erlangt. Mit welcher Absicht nähert sich Autor Felix Mitterer dieser Figur?

Schneyder: Der Autor hat die grauenhafte Faszination dieser Person verewigt. Er hat eine Ableitung seines Schicksals zusammengestellt: zu einem Großteil aus den dokumentierten Originalakten - und aus dem Material, das der Gerichtspsychologe Haller notiert hat. Zu den Tatsachen kommt sehr viel Reflexion dazu. In der Lektüre entsteht ein Mensch, dessen Existenz man in dieser nachträglich hergestellten Konzentration niemals für möglich halten würde! Natürlich habe ich mir Elisabeth Scharangs Film angesehen - ich halte insbesondere Karl Markovics Leistung für phänomenal. Sein Porträt macht einem Angst.

STANDARD: Inwieweit muss sich die Bühnenfigur an der Wirklichkeit messen lassen?

Schneyder: Ich habe vorab entschieden, Mitterers Figur überhaupt keine Ähnlichkeit mit Fuchs einzuräumen, nicht optisch, nicht physiognomisch. Keine Brille, kein Bart, schon gar nicht die Imitation dieser ganz bestimmten Redeweise. Ich möchte seine Sprache ausstellen - und sie von einem ganz "normalen" Menschen spielen lassen. Der Witz bei großen Kriminalfällen wie diesem ist doch folgender: Wenn man die Nachbarn nachher fragt, betonen die unisono: Der war vollkommen unauffällig! Hat zuvorkommend gegrüßt und seinen Hund gestreichelt; ein bisschen still war er halt ...! Ich arbeite mit Schauspieler Thomas Kamper an der Verkörperung der völligen Unauffälligkeit.

STANDARD: Fuchs war laut polizeilichen Erkenntnissen Einzeltäter. Muss man nicht dennoch den ideologischen Umraum rekonstruieren?

Schneyder: Mitterers Text weist durchaus nach, dass es sich um einen Einzeltäter handelt. Er sagt aber auch: eben doch nicht! Die Theaterfigur gibt gegen Ende ein Statement ab, wobei sich dieser Quasi-Fuchs auf imaginäre oder von ihm angenommene "Mittäter" beruft - im Sinne der Bewusstseinsbildung. Er lebt in keinem luftleeren Raum. Wenngleich der Wahnwitz darin besteht, wie sehr er sich ideologisch widerspricht: Die existenzielle Isolation entlädt sich in eine politische Paranoia.

STANDARD: Muss man der Infamie eines Wahnsinnigen Verständnis entgegenbringen?

Schneyder: Fuchs war ein Kompensierer, der sein Elend als genialischer Verbrecher ausgelebt hat. Ganz im Gegensatz etwa zu Woyzeck. Denn Woyzeck ließ sich von seiner Gesellschaft noch umbringen. Fuchs sagt: Ich schlage zurück! Noch beim posthumen Studium der Briefbomben-Geschichte wird einem angst und bange. Die Spannung bezieht das Stück aus den Einblicken in die Verhörmethoden. Es ist kein Monolog, sondern Fuchs hat vier "Partner". Er antwortet lediglich - sodass klar wird, was er gefragt wurde. Ich bediene übrigens nicht die realen Eigenarten - etwas die Tatsache, dass er seine Hände verloren hatte.

STANDARD: Zu welchem Fazit gelangen Mitterer und Sie?

Schneyder: Was steckt in einem Menschen alles drin? Wenn es ihm nicht nachgewiesen worden wäre, so hätte einem niemand die ganze Geschichte geglaubt. Es ist ja nicht einmal auszuschließen, dass wir nicht noch von anderen tickenden Zeitbomben umgeben sind. Die Amplitude reicht von Brutalität zur Wehleidigkeit, von der Höchstbegabung bis zur Hilflosigkeit, sein Leben zu organisieren. Die Spannweite des Typen würde jeden Vorwurf an einen Autor rechtfertigen: Übertreibe nicht so, du spinnst.

STANDARD: Ist der Schoß fruchtbar noch, aus dem jemand wie Fuchs gekrochen kam?

Schneyder: Wir leben in ideologischen Kontinuitäten, ja freilich. Und es ist eine ganz merkwürdige Geschichte, dass gewissermaßen während der Probenarbeiten zwei erwähnte Figuren zu Zeitgeschichte geworden sind. Ein prominentes Opfer - und einer, von dem der Fuchs sagt: "Ich war immer mit ihm d'accord!" Das ist Originaltext.

STANDARD: Dieser Satz könnte ja direkt aus "Mein Kampf" stammen.

Schneyder: Den hätte der Lektor nicht durchgehen lassen.

STANDARD: Hat sich Ihr Konflikt mit dem ORF entspannt? Werden Sie wieder den "Club 2" moderieren?

Schneyder: Es gibt nichts anderes als die Frage des Chefredakteurs, ob ich zu einem Gespräch bereit bin. Das habe ich bejaht. Es gibt da einen großen Gestaltungswillen vonseiten der Sendeleitung. Die stellt sich Strukturen vor - und möchte von den eingeladenen Persönlichkeiten auch ein bestimmtes Rollenverhalten. Das geht nur nicht, man kann doch niemandem vorschreiben: Wir sprechen über gesunde Ernährung, und dein Part ist es, für die Äpfel einzutreten! So kann man eine Diskussion nicht führen. Das geht mit mir nicht! (Ronald Pohl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12. 11. 2008)