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"Nichtraucher in 5 Stunden" nennt sich das Seminar des deutschen Coaching-Gurus Stefan Frädrich, der nach eigenen Angaben schon Slash, Ex-Gitarrist der kalifornischen Hard-Rock-Band Guns N' Roses geheilt haben will.

foto: reuters/gaillard

Morgens aufwachen mit dem Gefühl, dass ein Schraubstock die Schläfen zusammenpresst. Im Hals einen Knödel wie aus Reißnägeln, der sich weder hinunterschlucken noch heraushusten lässt. Und trotzdem spätestens wenn die Haustür hinter einem zufällt die erste Zigarette anzünden. Besuche in Nichtraucherwohnungen meiden oder notfalls auch bei schneidender Kälte auf dem Balkon hastig ein paar tiefe Züge inhalieren. Sich mit anderen Rauchern einig sein, dass Zigaretten Teufelszeug sind; die Sucht unnötig, teuer und dumm. Und dann wieder gemeinsam über einem Bier die Nächsten anheizen. Raucheralltag.

Stefan Frädrich soll dem ein Ende machen. "Nichtraucher in 5 Stunden" nennt sich das Seminar des deutschen Coaching-Gurus, der nach eigenen Angaben schon Slash, Ex-Gitarrist der kalifornischen Hard-Rock-Band Guns N' Roses geheilt haben will. 150 Euro ist der Preis für die Freiheit, etwa gleich viel wie vier Stangen Zigaretten kosten.

Es ist ein trüber Sonntagnachmittag im November an dem Frädrich, promovierter Mediziner, Betriebswirt und Textilhändler seine Bestseller auf der Budel der Garderobe eines Vier-Sterne-Hotels im niederösterreichischen Brunn am Gebirge stapelt. Von sämtlichen knallbunten Covers grinst die Comicfigur Günter: Halb Hund, halb Schwein soll er die Personifizierung des inneren Schweinehundes sein. "Günter wird Nichtraucher", "Günter lernt verkaufen", "Günter lernt flirten", "Günter wird schlank", "Günter hat Erfolg", "Günter für Schüler" - Nichts, was Günter nicht könnte und zusätzlich kann man Günter auch noch als Plüschtier erwerben.

In seiner Heimat ist Frädrich ein Star unter den Gesundheitspredigern und Motivationsexperten. Als deutsches Äquivalent Sasha Walleczeks, die auf dem Privatsender ATV die Nation in Sachen Ernährung berät, coacht Frädrich auf ProSieben Übergewichtige. Der 36-jährige, gebürtige Aachener ist ein Allrounder: Fortbildungen in kognitiver Verhaltenstherapie, Hypnose, NLP, Rhetorik, Verkaufen, Kommunikation und Management führt er in seinem Lebenslauf an. Die Hoffnungen in ein solches Schwergewicht scheinen dementsprechend groß zu sein: An die 100 Männer und Frauen warten in der Hotel-Lobby, notieren auf Fragebögen ihre bevorzugte Zigarettenmarke und Details zu ihren Rauchgewohnheiten. Und rauchen nebenbei, als gelte es einen Rekord zu brechen.

Morgen ist alles anders

Am Eingang zum Seminarraum schüttelt Stefan Frädrich den Teilnehmern persönlich die Hände, schickt jedem „Guten Tag, herzlich Willkommen, Stefan Frädrich" ein joviales Lächeln hinterher. Die meisten Besucher sind in Kleingruppen gekommen: Arbeitskollegen, Geschwister, Freunde und Freundinnen. Der Altersdurchschnitt liegt etwa zwischen 40 und 50 Jahren. Während Frädrich beschwingt auf die Bühne springt, den Projektor für die Präsentation anwirft und einen Plüsch-Günter auf seinem Stehpult platziert, herrscht im Publikum eine Stimmung wie im Wartezimmer eines Zahnarztes. Man fürchtet den Schmerz und freut sich, wenn es vorbei ist. „Morgen werden wir erzählen, dass wir Nichtraucher sind", sagt eine Mittvierzigerin mit stark verfärbten Zähnen zu ihrer Sitznachbarin. „Und stolz darauf sein", antwortet die.

Frädrichs fünfstündige Show ist in Einheiten von je 50 Minuten gegliedert, danach folgen jeweils zehn Minuten Rauchpause. Darauf dass diese auch tatsächlich mit Rauchen verbracht werden, besteht er. "Rauchen Sie bitte heute noch weiter", sagt er zu jenen, die mit gutem Vorsatz bereits auf die morgendliche Zigarette verzichtet haben. Was in der ersten Einheit folgt ist eine Einführung in die Funktionsweise von Suchtmechanismen und Motivationsprinzipien. Von Frädrich vorgetragen klingt das so: "Wenn ich den Damen sagen würde, sie müssten aufgebrezelt, mit Gewichten an beiden Armen stundenlang laufen und dabei Geld verlieren, würde das keine wollen. Wenn wir das hingegen Shoppingtour nennen, dann schon. Oder?" Gelächter, Hustanfälle und frenetischer Applaus.

"Eins, zwo, drei, tot"

Stefan Frädrich ist ein Showman. Sein Auftritt mutet wie eine Mischung aus dem Comedyprogramm von Michael Mittermeier und den drastischen Auftritten amerikanischer Televangelisten an. In legerem grauen Anzug, darunter weißes T-Shirt mit glitzerndem Schriftzug, bis auf die Kopfhaut geschorenem Schädel und graumeliertem Dreitagebart tigert er über die Bühne - von links nach rechts, von rechts nach links - springt in den Zuschauerraum und zurück auf das Podest. Mal schreiend, mal flüsternd erklärt er die physiologischen Wirkungen von Nikotin, immer unterstützt von Günter, der mittlerweile vom „inneren Schweinehund" zum suchtgebeutelten „Wildschweinwolf" mutiert ist.

Was Frädrich sagt hat Hand und Fuß und er erklärt so, dass es selbst der Dümmste verstehen kann: Simpel, bunt, kurz und sich ständig wiederholend. Das Publikum lacht, hustet und klatscht. Nur einmal wird es still. Als der Ex-Raucher Frädrich veranschaulicht, was 25 Prozent Rauchertote bedeuten: Er geht durch die Reihen, zeigt auf die vor ihm sitzenden Männer und Frauen und zählt "eins, zwo, drei, tot". In der folgenden Pause will vielen die Zigarette nicht mehr so gut schmecken.

In der nächsten Einheit predigt Frädrich von der Manipulation der Werbung, unterlegt von Beispielen der US-amerikanischen Tabakindustrie, die seit 1999 ihre internen Dokumente einscannen und veröffentlichen muss. Unter "Ahs" und "Ohs" schlüsselt er giftige Zusatzstoffe auf. Einige Zuhörer fühlen sich plötzlich von den Tabakherstellern belogen und betrogen. Es ist die Einsicht, manipuliert worden zu sein, die das Publikum eint, wenn es laut applaudiert, während Frädrich "Lassen Sie sich nicht für dumm verkaufen" ins Mikrophon brüllt. Es herrscht unausgesprochene Einigkeit: "Nicht mit mir". Die letzte Zigarette des Abends - die Letzte des ganzen Lebens - wird im Stillen geraucht. Aber es soll kein sentimentaler Abschied sein, vielmehr verlangt Frädrich man möge sich auf das Gift konzentrieren, sich bei jedem Zug der Schlechtigkeit gewahr sein. Am Ende blickt er in an die hundert glühende Gesichter. Alle sind euphorisch: "Ja, wir schaffen es".

Auf dem Heimweg ist der Kopf voll mit guten Vorsätzen, bis man bei der Schnellbahnstation ankommt und feststellt, dass einem der Zug knapp vor der Nase davon gefahren ist. Man greift in die Tasche, steckt sich eine Zigarette in den Mund und zündet sie an. (derStandard.at, Birgit Wittstock, 10.11.2008)