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Wien - Das Thema Selbstbehalte im Gesundheitswesen ist "politisch sehr heikel" und immer eine "Gratwanderung" , sagt Sozialversicherungs-Chef Erich Laminger. Dennoch hält er eine Debatte über "sinnvolle Selbstbehalte" für "gut und notwendig", wie er im Interview mit dem Standard sagt.

Aktuelle Zahlen zeigen eines der Hauptprobleme der Krankenkassen: die Ausgaben für Medikamente waren 2008 um rund 8,5 Prozent höher als im Vorjahr. Zum Teil ist das auf höhere Medikamentenpreise zurückzuführen. Was ihm aber eigentlich Sorgen mache, sei der Anstieg bei der Zahl der Arztbesuche und der verschriebenen Medikamente (vier bis 4,5 Prozent), sagt Laminger.

Soziale Staffelung

"Es braucht also jedenfalls mehr Wertbewusstsein." Das "Wirksamste" wäre es natürlich, "wenn man den Menschen den Zusammenhang zwischen Leistungsverhalten und Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems klar machen könnte" , gibt Laminger zu. Bisher habe man das aber leider nicht geschafft.Mittelfristig sei es daher auch sinnvoll, die Frage der Kostenbeteiligung der Patienten zu diskutieren.

Grundvoraussetzung sei eine "intelligente Lösung mit sozialer Staffelung", sagt der Vorstandsvorsitzende des Hauptverbands. Ein Modell wie bei der Rezeptgebühr hält Laminger "nicht unbedingt" für geeignet. Hierbei gibt es eine Obergrenze von zwei Prozent des Jahresnettogehalts. Ist diese Grenze überschritten, muss keine Rezeptgebühr mehr bezahlt werden. Laminger: "Das Problem ist, zunächst zahlt man voll, dann gar nichts mehr."

Für "intelligenter" hielte er es daher, wenn der Selbstbehalt das ganze Jahr über - abhängig vom Einkommen - gleich gestaffelt wäre. "Wer die Hälfte der Höchstbeitragsgrundlage verdient, würde auch nur die Hälfte an Selbstbehalt zahlen." Voraussetzung sei freilich, dass die Krankenkassen die Einkommensdaten der Versicherten bekommen, weshalb man so ein Modell "nicht über Nacht" einführen könne.

Es sei auch gar nicht Thema, wirklich bei allen Leistungen einen Eigenbeitrag der Patienten zu verrechnen. Laminger:"Wir wollen die Leute nicht finanziell unmäßig belasten." Deshalb gehe es auch nicht nur darum, neue Selbstbehalte zu diskutieren, sondern die bestehenden zu überprüfen. Man müsse sich genau ansehen, wo man durch Selbstbehalte eine steuernde Wirkung erzielen könne. "Die Rezeptgebühr hat offenbar keine steuernde Wirkung" , sagt Laminger. "Wenn man sieht, wie sorglos die Patienten mit Zweit- und Dritt-Verordnung umgehen, dann zeigt das, dass Selbstbehalte nicht per se zu mehr Wertbewusstsein führen."

Zusatz: Allerdings habe sich schon gezeigt, dass die Krankenkassen der Beamten und Eisenbahner, die bereits jetzt Selbstbehalts-Modell haben, niedrigere Pro-Kopf-Ausgaben und eine flachere Entwicklung bei den Medikamenten hätten als andere Kassen.

Inwieweit das Thema Selbstbehalte bei den Koalitionsverhandlungen ein Thema ist, war bisher nicht zu erfahren. Nur so viel verriet SPÖ-Chef Werner Faymann zuletzt: der Bund werde 450 Millionen Euro zur teilweisen Entschuldung der Kassen bereitstellen, um "hohe Selbstbehalte" zu verhindern.

In einem Sozialpartner-Papier vom Oktober, das offenbar zur Vorbereitung der Koalitionsverhandlungen ausgearbeitet wurde, war allerdings ebenfalls von einer "sozial verträglichen Neuordnung der Kostenbeteiligung" die Rede. Im ÖGB hieß es aber auf Standard-Anfrage, dass es sich dabei nur um ein Experten-Papier gehandelt habe, das vom ÖGB abgelehnt worden und damit nicht mehr aktuell sei.

Doppelmühle Arbeitslosigkeit

Die von Faymann in Aussicht gestellten 450 Millionen sind laut dem als ÖVP-nahe geltenden Laminger jedenfalls dringend notwendig. "Eine Institution, die mit dem täglichen Überleben kämpft, ist bei der strategischen Zukunftsausrichtung eingeschränkt. Die 450Millionen würden das Atmen der Sozialversicherung ermöglichen." Die kurz vor der Wahl beschlossene Senkung der Mehrwertsteuer auf Medikamente, die den Kassen rund 250 Millionen bringt, könne jedenfalls nur zu einer kurzfristigen Entspannung führen. Der Grund: "Da war von der aktuellen Finanz- und Realwirtschaftssituation noch keine Rede."

Die sich abzeichnende höhere Arbeitslosenrate in den nächsten Jahren werde sich auch negativ auf die Bilanzen der Kassen auswirken, prophezeit Laminger. Die genaue Wirtschaftsprognose wird zwar erst Ende nächster Woche veröffentlicht, klar sei aber:"Arbeitslosigkeit ist eine Doppelmühle für uns." Zum einen führe ein Anstieg zu einer Reduktion bei den Einnahmen, weil es für Arbeitslose weniger Versicherungsbeiträge gebe also für Beschäftigte. Und zum zweiten sei Arbeitslosigkeit immer auch mit einem Anstieg im Bedarf von Versicherungsleistungen verbunden. (Günther Oswald/DER STANDARD, Printausgabe, 10.11.2008)