Wien - Es waren fünf Sekunden im Hanappi-Stadion gespielt, da hat sich der 35-jährige Ailton bekreuzigt. Vielleicht, weil es noch immer 0:0 gestanden ist und von Rapids künftiger Überlegenheit und dem 5:1-Sieg rein gar nichts zu merken war. Brasilianische Fußballer sind im Schnitt gläubiger als österreichische oder finnische, das hat mit ihren Lebensläufen zu tun. In einem Slum geboren, auf einem dreckigen Strand bloßfüßig gekickt, von einem mehr oder weniger windigen Manager entdeckt. Ab nach Europa, wo das Geld bekanntlich von den Flutlichtmasten fällt.

Ailton war einer, der den Traum ausleben durfte. Deutscher Meister mit Werder Bremen, Schützenkönig im Jahr 2004, Transfer zu Schalke und so weiter. Mit Gotteshilfe sei das geschehen, sagt er. Dass er nun in Altach, einer Art fußballerische Gosse, gelandet ist, hat der liebe Gott aber sicher nicht gewollt. Das hat Ailton, der respektvoll "Kugelblitz" gekost wird, selbst zu verantworten.

Schall und Rauch

In den vergangenen Jahren wechselte er die Klubs häufiger als Boris Becker die Lebensabschnittspartnerinnen. Ailton ist überall, Ukraine inklusive, gescheitert. Er ist Trainingseinheiten fern geblieben, hat angeblich sogar im Dampfbad Gewicht zugelegt. Und unterm Leiberl blitzte eine Kugel. Altach hat trotzdem zugeschlagen. Weil in Vorarlbergs Fußball ohnedies alles egal ist (siehe Tabelle), und weil die These von den Namen, die Schall und Rauch sind, immer wieder aufgefrischt gehört.

Elferschießen kann er natürlich immer noch, der Herr Ailton. Staubtrocken hat er den gegen Rapid verwandelt. Für einen energischen Anlauf reicht die Kraft allemal. Und mitten im Spiel hat er einen nahezu famosen Querpass geschlagen. Hätte sein Mannschaftskollege den Ball auch noch gestoppt, wäre es eine echt gute Aktion gewesen. Gestik und Mimik passen. Ailton reckte immer wieder die Arme in den Nachthimmel, vielleicht hat er den da oben gefragt? "Wo bin ich eigentlich? Wer bin ich? Wer war ich früher?"

Rapids Innenverteidiger Mario Tokic ist dem Kugelblitz eher selten begegnet. Obwohl er von einem zumindest oberflächlichen Kennenlernen ausgegangen ist. Tokic: "Er mag einmal ein guter Spieler gewesen sein. Aber er erzeugt den Eindruck, dass es ihm keinen Spaß macht."

Ailton hat nach Abpfiff um einen zehnminütigen Aufschub gebeten. "Bitte, ich muss zuerst in der Kabine etwas trinken." Ob es ihm getaugt hat, wieder einmal in einem bummvollen Stadion zu spielen? "Warum, das kenne ich ja aus Deutschland." Es sei schwierig, sich zurecht zufinden, er bekomme kaum brauchbare Bälle. "Da kann ich meinen Turbo nicht einschalten." Natürlich müsse er an seiner Fitness arbeiten. "Es wird besser."

Die hohen Niederlagen schmerzten schon, über die Qualität von Altach wolle er aber nicht lästern. "Da bekomme ich Probleme." Sein Ende August abgeschlossener Vertrag endet im Dezember, was er dann macht, weiß er nicht. "Fragen sie meinen Manager, der kümmert sich darum. Keine Ahnung, ob das hier meine letzte Station ist."

Altachs Trainer, der Schweizer Urs Schönenberger, hat Ailton quasi geerbt. Ob er sich für eine Weiterverpflichtung stark macht? "Eher nicht, er hat vier Tore geschossen, davon zwei aus Elfmetern. Wir sind Letzter und bekommen eine Klatsche nach der anderen. Ich weiß nicht, welche Philosophie unser Verein vertritt. Ich habe das Gefühl, dass Ailton, der sicher eine schillernde Persönlichkeit ist, in der Vergangenheit lebt."

Ailton sagte noch, dass er, wäre er für Rapid tätig, "sicher drei Tore pro Partie" machen würde. Dafür war diesmal der Kroate Nikica Jelavic zuständig. Stefan Maierhofer schaffte zwei Stück. Aber der liebe Gott wird sich für Ailton schon etwas einfallen lassen. (Christian Hackl, DER STANDARD, Printausgabe, Montag, 10. November 2008)