Heidelinde Weis: "Der Supermann. Song Collection 1975 - 1979" (Bureau B/Hoanzl 2008)

Coverfoto: Bureau B

Auf geht's! Hinein in eine Platte, die mit den Worten Hans Emmerich, nimm doch den Hut ab beginnt und mit Schatten halt mich fest, ich gehöre dir endet. Heidelinde Weis alias Dr. Elena Bach aus der "Schwarzwaldklinik" ist in Film und Theater gleichermaßen daheim wie im TV - letzteres in einer für deutschsprachige SchauspielerInnen typischen Reihe von Serienauftritten von "Ein Fall für zwei" über "Traumschiff" bis zu den unumgänglichen Rosamunde Pilcher-Verfilmungen und Artverwandtem; nächstes Jahr steht übrigens "Unter den Hügeln von Wales" an ... sollte man in seiner Publikumswirkung nicht unterschätzen, so was: Meine Mama hat schon eine Reise zu den Originalschauplätzen gebucht. - Aber Heidelinde Weis hat auch gesungen - und das fiese Schicksal wollte es, dass sich ihre Diskographie im Nachhinein wie eine Chronik des Scheiterns liest. Die drei Alben, die auszugsweise für diese Best of-Compilation zusammengefasst wurden, waren in der Reihenfolge ihres Erscheinens jedenfalls folgendermaßen betitelt: "So sing ich" (1975), "So ein Narr bin ich" (1976), "Aber Träume hatt ich viel" (1979) ...

Eingangs erwähnter "Hans Emmerich" wird gleich zu Beginn Zielobjekt eines koketten Verführungsversuchs im Bossanova-Rhythmus mit Krautrock-Anflügen, die Gitarre klingt nach Klein-Santana und der Synthesizer nach "Tatort". Wir befinden uns exakt im Mittelpunkt der 70er Jahre, als noch davon geträumt wurde, den Schlager mit Anspruch zu verbinden und zu einer Art deutschsprachigem Chanson weiter zu entwickeln. Hildegard Knef schwebt als (unerreichbarer) Bezugspunkt darüber - die Unterschiede zum hier präsentierten Songmaterial liegen in einigen Jahrzehnten und Schicksalsschlägen an Lebenserfahrung, preußischer Selbstdisziplin und knochentrockenem Sarkasmus. Weis, damals Mitte 30, gibt sich lieber lasziv und formbar: "Und ich geb auf" ist gleichsam der Soundtrack zum Coverbild, und Heidelinde schmilzt dazu wie ein Erdbeereis.

"So befreit, so bereit, allezeit"

... Song 3 war das übrigens. Davor kam noch das Titelstück "Der Supermann" - bei mancher Auflegerei unter Easy Listening-Motto vielleicht schon gehört - ein Funk-Track mit hochdramatischer Bridge und abwechselnd subsonischen Männer- und quiekenden Frauenchören wie frisch aus der Muppet-Show. Mit diesen drei Stücken hat man die Soundpalette in etwa durch - keineswegs aber noch alle Höhepunkte respektive den Höhepunkt schlechthin: "Tolli von Immenruh", ein Meisterwerk des schaumig bunten, federleichten, absoluten Irrsinns.

Und so setzt sich das in Gang: Während der Moog vor sich hin quakt, schlüpft Heidelinde Weis in die Titelrolle der geplagten Tolli, die sich psychisch krank im Stroh wälzt und schier zerbricht an ihrer unglücklichen Liebe zu Eros von Butzensee, der aber nur auf andere Hennen fliegt. Jaja, flapsiger 70er-Slang, denkt man noch, ehe man sich an die seltsamen Gacker-Laute aus dem Intro erinnert und sich angesichts des befremdlichen Umstands, dass Eros seiner Tolli laufend Federn ausrupft (??!?), gezwungen sieht den ganzen Song umzuinterpretieren: doch keine Landadeligen, es geht wirklich um Hühner. Du süße Tolli du, schubidut er, der Faserschmeichler-Funk steuert dem Höhepunkt entgegen, o du schöner Hahn, rot schwillt dein Kamm heult der Hennen-Chor im Kreszendo... und zum Schluss wird auch noch geklärt, dass er ihr die Federn nur deshalb ausreißt, weil er sie nackt sehen will. Wahnsinn. Und 's ist alles wahr, das kann man gar nicht erfinden! Ich bin zwar auf Pop-Seltsamkeiten abonniert, aber that pulls me the shoes out, wie Louis de Funès einst sagte.

"Auf zum Wolkenflug"

Musikalisch ließ sich Heidelinde Weis von Kristian Schultz, damals Keyboarder der Band Passport um Jazzveteran Klaus Doldinger, anleiten - unter den Musikern, die die drei Alben einspielten, befand sich übrigens auch die Wiener Klarinettisten-Legende Fatty George. Dass Weis den Kampf zwischen dem Bossanova-Rhythmus und der deutschen Sprache erstaunlich oft gewinnt, ist ihr selbst zuzuschreiben - wo die doch mit ihrer prägnanten Intonation und sperrigen Morphemen ungefähr soweit entfernt ist vom portugiesischen *nuschelnuschelnuschel*, aus dem der Bossa geboren wurde, wie's nur geht. Glückwunsch.

Der Rest der Kompilation wabert um den beabsichtigten Optimal-Sound herum, tendiert mal ins Hippieske ("Nimm mich einfach"), zum Chanson à la Erika Pluhar oder Jane Birkin ("Kannst du dich erinnern?") und zum Tanzbaren: Die Stücke des dritten Albums ("Anfang und Ende", "Wann holst du mich") lassen erkennen, dass 1979 der Disco-Boom auch in deutschen Bürgerhäusern voll eingeschlagen hatte, herzliche Grüße von Baccara.

"Ich mache heut eine Dummheit, heut denk ich nicht kariert"

Nach der Rare Groove-Suche des HipHop wurde die bis heute anhaltende Easy Listening-Welle Mitte der 90er zur zweiten großen soundarchäologischen Bewegung im Pop; mögen die beiden auch selten nach demselben Rohmaterial geschürft haben. Prototypisch dafür steht das Hamburger Label Bureau B: Wo sonst wäre ein Programm denkbar, das Schlagersängerin Gitte Haenning neben die Krautrocker Harmonia stellt, die Avantgarde-Formation Palais Schaumburg neben Caterina Valente und Marlene Dietrich neben den Soundtrack zu "La Linea"? Die wildwuchernde Weis-Kompilation "Der Supermann" nimmt sich inmitten all dessen fast wie der honigsüße Leim aus, der die divergierenden Soundwelten zusammenhält. - Experimentierfreude mit nicht immer erstklassigen Mitteln: Nach demselben Strickmuster waren die zeitgleichen Simmel-Verfilmungen Alfred Vohrers angelegt: damals Straßenfeger, heute vergessen; vielleicht erbarmt sich da auch mal jemand für ein Revival. Später hat er übrigens "Schwarzwaldklinik"-Folgen gedreht.

67 Minuten lang läuft  "Der Supermann", und ich schwanke immer noch zwischen Begeisterung und Entsetzen. Aber zumindest bei einem bin ich mir sicher: Für die Archive wäre das viel zu schade. (Josefson)