Einen "Antwortgeber, wo ich eine Fragemünze einwerfe und es kommt eine Fried-Antwort heraus" gibt es nicht: Alois Hotschnig.

Foto: Rupert Larl

Standard: Der Fried-Preis wird jährlich von einem Juror, den die Fried-Gesellschaft bestimmt (heuer die Autorin Katja Lange-Müller), vergeben. Der Preis dient der Würdigung und der Erinnerung an Fried. Wie erinnern Sie sich an ihn?

Hotschnig: Erich Fried war einer der ersten, mit denen ich wach geworden bin. In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, und in der Familie gab es keine Bücher, auch keinen Fernseher. Von der Welt hatte ich relativ lange wenig Ahnung.

Standard: Welche Inhalte fanden Sie bei Fried?

Hotschnig: Zuerst das Welthaltige. Geblieben ist mir beispielsweise das Buback-Gedicht, seine Auseinandersetzung mit der RAF. Das, was mich im Tagespolitischen interessiert hat. Er war mir Kommentator, jemand, bei dem ich nachfragen konnte und selber nachdenken musste. Bei ihm gibt es keine eindeutigen Antworten. Er hat immer auch eine zweite in petto, die nicht das Gegenteil bedeutet, sondern eine andere Facette desselben Problems ausleuchtet.

Standard: Es ging Ihnen immer auch um das Motiv eines Erzählers?

Hotschnig: Frieds Haltung ist mir wichtig gewesen. Persönlich habe ich ihn nie getroffen, aber er war einer der prägenden Menschen, denen ich schriftlich begegnet bin. Und das ist noch wichtiger, weil schriftlich kann man jemandem ununterbrochen begegnen.

Standard: Über die Haltung kam das Interesse zu Fried selbst?

Hotschnig: Wie kommt jemand dazu, über den Krieg so zu schreiben und nicht anders? Oder über die Gegenwart. Ich habe mich natürlich mit Frieds Lebensgeschichte beschäftigt. Das ist etwas, was nie weggegangen ist. Unabhängig vom Fried-Preis ist er mir ein Lebensbegleiter, auch was die Haltung des Schreibens angeht.

Standard: Sie erfuhren durch Fried eine Anleitung?

Hotschnig: Was nichts mit Epigonalität zu tun hat, weil mein Schreiben ein ganz anderes ist. Fried schreibt in seinem Text Die grüne Garnitur über ein Sofa, an dessen Beinen er sich als Kind aufgerichtet hat. Und an Frieds Haltung konnte ich mich immer aufrichten. Auch als Jugendlicher, der noch auf der Suche war nach Haltungen, Fehlhaltungen, Verwachsungen. Da war Fried für mich tatsächlich eine Boje, zu der man hinausschwimmen konnte ins Meer.

Standard: Die Bedeutung, die Fried für Sie hatte, bezieht sich nicht nur direkt auf sein Schreiben.

Hotschnig: Die Qualität seiner Gedichte ist für mich stark außerliterarisch. Sie sind kein Antwortgeber, wo ich eine kleine Fragemünze einwerfe und es kommt eine Fried-Antwort heraus, sondern diese Fried-Antwort ist Augenpaar, das mir in die Augen schaut. Unabhängig von der Höhe oder Gedankengröße, auf der ich mich gerade befinde. Das ist etwas an Haltung, das ich selber in meinem eigenen Schreiben zumindest versuchen möchte.

Standard: Eine Vertrauensbasis.

Hotschnig: Wir wollen, wie Kinder im Theater, staunend dasitzen und eine Geschichte erzählt bekommen, wie wir sie noch nie gehört haben. Andererseits geht es auch um die Erzählstrategie. Wenn es dahinter Motive gibt, die nicht nur daran interessiert sind, jemanden mit einer Geschichte zu konfrontieren, an der er sich erfreuen kann, sondern ihm die Welt so einfach wie möglich zu suggerieren, damit er keine Angst hat, dass die Welt möglicherweise kompliziert sein könnte, dann ist das legitim - aber man lügt den Leser an. Die Literatur, die ich liebe, ist eine, die den Leser nicht einlullt - ohne ihn andererseits in die Kälte zu stellen und ihm den Mantel wegzunehmen.

Standard: Ihnen ist der Prozess wichtig, das Straucheln.

Hotschnig: Von Beckett gibt es den berühmten Satz des "besser Scheitern" . Das ist für mich eine Grundvoraussetzung. Wie das Kind, das lachend fällt und wieder aufsteht. Scheitern hat etwas mit Ironie und Vertrauen zu tun. Das Vertrauen bekommt man nur, wenn man sich fallen lässt, in die Hände von jemandem begibt. Dieses Urbedürfnis kann auch die Literatur darstellen. Aber wenn sie das vorgibt, muss sie es auch tatsächlich tun. Sonst ist es Lüge, ein Taschenspielertrick. Fried ist immer wieder vorgeworfen worden, dass er eigentlich nicht Gedichte geschrieben hätte, sondern Gedachte. Dagegen ist doch überhaupt nichts zu sagen.

Standard: Er teilt seine Gedankengänge mit Ihnen - das Augenpaar, das Sie ansieht.

Hotschnig: Genau. Dieser Effekt trifft nicht häufig ein. Jetzt beim Wiederlesen ist es mir erneut passiert. Eine ungeheure Präsenz Frieds, ich sehe ihn, wenn ich von einer Seite zur nächsten blättere. Ich merke ganz bewusst, dass ich den Text verlasse, dass das Buch kein Buch mehr ist, sondern etwas Reales, Menschliches.

(Isabella Hager, DER STANDARD/Printausgabe, 08./09.09.2008