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Am Dachboden gefunden, ein Foto aus alten Zeiten: Baldur Preiml (l.) und Anton Innauer während der Olympichen Spiele 1980 in Lake Placid.

Foto: APA/Votava

Der Standard: Herr Preiml, in den vergangenen hundert Jahren des Olympismus in Österreich wurde der Wettkampfsport in den Medien schriller und eskapistischer. Muss das so sein?

Preiml: Für jede Vorwärtsbewegung brauchen wir eine Ausholbewegung. Die Spaßgesellschaft hat ihren Anker verloren, das Gegeneinander ist zu wichtig geworden, wir müssen wieder zum Miteinander finden. Der Gründer der olympischen Bewegung, Baron Pierre de Coubertin war ein Philanthrop, er wollte die Menschen über den Sport zusammenführen, dem Sieger sollte der gleiche Wert zukommen wie dem Verlierer.

Standard: Der Sport gilt jedoch als Spiegel und Begründer der Ellbogengesellschaft. Was ist schief gegangen?

Preiml: Im Sport sehen wir pars pro toto, worum es sonst auch geht in der Gesellschaft. Das Grundgesetz des „schneller, höher, weiter" treibt die Menschen an. Macht, Gier, Geld. In Peking haben wir die Machtdemonstration eines Regimes gesehen, das die Menschen drillt wie noch nie ein Regime vor ihm und die Jugend ausbeutet.

Standard: Das IOC wurde dafür gescholten, nicht den Tibet-Konflikt gelöst und die Chinesen zur Demokratie gezwungen zu haben. Ist das nicht naiv?

Preiml: Wir müssen uns mit beiden Polen der Menschlichkeit auseinandersetzen, dem Ego und der Liebe. Im Sport steckt wie in der Religion die Botschaft „Liebe deine Feinde". Wir leben in der Welt des Teufels, wollen auf Biegen und Brechen Herren dieser Erde sein. Man sieht das in der Finanzkrise, die reichsten Länder der Welt sind am stärksten verschuldet und jetzt stopfen wir den Übeltätern auch noch Geld hinein, statt uns neu zu orientieren. Bernhard Kohl ist ein anderes Beispiel, eine menschliche Katastrophe. Die Menschen haben eine große Sehnsucht danach, die beiden Pole zu versöhnen, das hat Coubertin gemeint, das spüren die Menschen im Sport. Er ist quasi ein Vorreiter der Gemeinschaft, die wir alle einmal sein werden. Wie es in der Heiligen Schrift heißt: „Die Gemeinschaft der Heiligen."

Standard: Der Sport wird doch von Politikern als Alibi benutzt, um das chronische Gegeneinander als Wert an sich darzustellen. Und die Sportler lassen das zu und profitieren.

Preiml: Im Körper arbeiten 80 Millionen Zellen füreinander. Wenn eine Zelle gegen die anderen arbeitet und sich mit anderen verbindet, entsteht Krebs. In Deutschland ist der Aufsteiger Hoffenheim ein wunderbares Beispiel, eine Mannschaft, die eine Einheit ist. In unserer Gesellschaft wuchert krebsgleich der Aberglaube, dass der Mehrwert der bessere Wert ist. Homer hat das in der Ilias einen Helden sagen lassen: „Immer der Erste sein und den Anderen überlegen."

Standard: Sport ist der wichtigste Heldengenerator unserer Zeit. Was sagt ihnen Hermann Maier?

Preiml: Es ist ein populäres Missverständnis zu glauben, Macher würden das Heil bringen. Die Macher repräsentieren die männliche Komponente, wenn sie sich verselbstständigt, geht alles schief. Im Sport ist Doping der Beweis für dieses Misslingen. Wir müssen uns der weiblichen Komponente des Menschseins nähern. Im Buch „Zen in der Kunst des Bogenschießens" wird beschrieben, wie man übt und übt, bis man die Schönheit der Bewegung so tief verinnerlicht hat, um sie loslassen zu können. Sportler sind erst dann wirklich gut sind, wenn sie Dinge geschehen lassen. Das heißt, sie vollbringen Leistungen, die sie nicht trainiert haben, weil sie nicht trainierbar sind. Unser Doppelolympiasieger Felix Gottwald ist ein begnadeter Sportler, der jedes Mittelchen abgelehnt und sich um die Selbstfindung bemüht hat. Hermann Maier hat durch seine Wildheit etwas vorbereitet, was durch andere Kräfte in ihm vollendet wurde. Nach seiner Verletzung hat er in Kitzbühel den Super G gewonnen, die Tränen sind ihm in die Augen gestiegen. Er ist als Mensch aufgegangen, ich glaube, er ist ein Geläuterter.

Sport: Im Sport, im Kino, in Büchern, in den Medien, überall wird dem Helden die Weltrettungskompetenz zugeschrieben. Was soll daran falsch sein, angesichts der globalen Probleme und Verwirrung?

Preiml: Maiers Geschichte ist ein Märchen, und im Märchen überwindet der Held alle Widersacher und Widerstände. Der junge Mensch strebt danach, wer zu sein. Er stellt sich, statt davon zu laufen. Das hat Maier getan, er ist in Nagano gestürzt und hat überlebt, nachher zwei Goldene gewonnen. Falsch ist, den Herrgott spielen und den Terror bekämpfen zu wollen - um Gottes willen! Wir müssen uns mit den „Feinden" an einen Tisch setzen. Barack Obama markiert hier einen Wandel. Politiker sollten eine Prüfung in Menschsein absolvieren. Die Jungen. Die jetzigen sind noch Machtbolzen.

Standard: Warum schafft der Sport die Erziehung der Menschen nicht, wenn er doch so prominent und wichtig ist?

Preiml: Ich sehe eine Entwicklung, von der Egomanie hin zur Liebe. Immer mehr Gedopte outen sich. Früher haben auch alle gedopt, aber jetzt wird das Verlogene an die Oberfläche gespült. Alternativen keimen, siehe die Biobewegung, die Klimaschutzbewegung. Atomenergie ist die äußerste Egomanie. Wir werden konsequent belogen, wenn behauptet wird, wie gesund und umweltneutral die Atomenergie ist. Viele Zivilisationskrankheiten entstehen durch Atomstrahlung.

Standard: Ist das nicht weit hergeholt, dass der Sport die Religion als Fundus für Werte und Orientierungen ablöst?

Preiml: Sport ist Religion, falls er im richtigen Geist betrieben wird. Er bietet einen Erlebnisreichtum, eine Tiefe und eine Rückbindung an die innere Kraft, wie sie sonst nur der Mystiker erfährt. Im Helden offenbart sich die Doppelnatur des Menschen. Das Ego lässt ihn mächtiger und toller werden, er baut einen Turm, er wird Olympiasieger. Ich wollte auch unbedingt Olympiasieger werden, aber ich wurde es nicht. Also wurde ich als Trainer mit anderen wie Toni Innauer Olympiasieger. Auf dieser Seite haust das Verlangen, Vieles ohne Einsatz anzustreben. Auf der anderen Seite zeigt der Sport, wie sich Einsatz durch Überkompensation auszahlt. Ich danke an Marlies Schild: Ich muss erst was hergeben, damit ich etwas kriege.

Standard: Aber im Sport fehlt das Wesentliche der Religion, nämlich die Transzendenz, das Höhere Wesen, Gott. Der Sport ist doch die glatte Selbstvergöttlichung des Menschen.

Preiml: Der Theologe Karl Rahner hat gesagt, der Christ der Zukunft werde ein Mystiker sein, oder er werde nicht mehr sein. Die Kopfkirche hat die Mystiker verfolgt, das polare Denken hat überwogen. Religion ist unabhängig von Jesus oder wie immer man ihn nennt. Gott ist doch nur als inneres Erleben fassbar. Und der Sport bietet Erfahrungen, die nicht mit dem Verstand fassbar sind. (Johann Skocek; DER STANDARD Printausgabe, 10. November)