Der 40-jährige Austrobrite Peter Rehberg zählt zu den international erfolgreichsten wie auch unerbittlichsten Elektronikmusikern: "Im Alter muss es lauter werden. Man hört ja auch schlechter."

 

Foto: Christian Fischer

Und er reitet mit seinem Duo KTL in den Höllenschlund von Metal aus dem Laptop.

 

Wien - Heiliger Lärm: eine vergessene Kulturtechnik. Bei der geht es darum, in einem Club bei abgrundtief im Magen wühlenden Bassfrequenzen und das Trommelfell pulverisierendem Computerkreischen die menschliche Restwürde zu bewahren. Fällt mir beim Einsetzen der Gitarre vor Schreck der Becher aus der Hand? Komme ich trotz fortgeschrittenen Alters noch rechtzeitig auf das WC, wenn der Verdauungsapparat auf Fluchtverhalten schaltet? Sind "sie" tatsächlich hinter mir her, wie ein sehr wahrscheinlich nach dem Konzert Geiseln nehmender Frontmann in das von schrecklichen H. P. Lovecraft'schen Ur- und Endzeitwesen wie Azathoth oder Cthulhu ausgeborgte Mikrofon brüllt? Skeptisch gefragt: Werde ich je wieder das Flüstern eines mich liebenden Menschen rein akustisch im Ohr empfangen können? Weil: Das Kurzzeitgedächtnis ist futsch. Aber: Bleibt das Pfeifen zwischen Hammer, Amboss und Steigbügel jetzt in meinem Kopf wohnen?

Was man dank Segnungen wie Formatradio und abstumpfender, weil den Klang technisch komprimierender und ästhetisch kompromittierender Innovationen wie MP3 gern vergisst: Lautstärke und Unerbittlichkeit sind zwei zentrale Stilelemente, die heute gern im Giftschrank der Populärkultur versperrt bleiben.

Peter Rehberg allerdings hält dem mit seinen Computern entschieden entgegen. Seit 1994 auf seinem Elektroniklabel Mego (jetzt: Editions Mego) mit Veröffentlichungen wie den "singenden Kühlschränken" von General Magic auf Fridge Tracks, solo als Pita mit Seven Tons For Free oder mit stilprägenden Veröffentlichungen seiner Freunde Christian Fennesz (Hotel Paral.lel) oder Farmer's Manual. Oder auch mit dem aus Rehberg, Fennesz und dem US-Musikerfreigeist und -Produzenten Jim O'Rourke bestehenden Laptop-Trio Fenn O'Berg. Seit einigen Jahren arbeitet der 40-jährige Rehberg auch gemeinsam mit dem US-Gitarrengott Stephen O‘Malley vom schlagzeug- und gnadenlosen, zeitlupenhaft Erdplatten verschiebenden Black-Metal-Duo Sunn0))).

Unter dem Signet KTL produziert Rehberg, der seit 1987 in Wien lebende Brite mit österreichischem Vater, gegenwärtig eine Form von radikal nach ihrer anarchischen Ursprungsenergie suchende Musik. Die geht tatsächlich ans Eingemachte. Sie sucht in der internationalen Avantgarde- und Elektronikszene diesbezüglich ihresgleichen. Dementsprechend zeitintensiv wird Rehberg solo oder eben mit KTL auch gebucht: Tourneen in Nordamerika oderJapan, Elektronikfestivals heute hier und morgen dort, aktuell auf der CD Work For GV 2004-2008 dokumentierte Arbeiten für die französische Choreografin Gisèle Vienne. Und er veröffentlicht Alben finnischer Minimaltechno-Extremisten wie Pan Sonic, Ambient von Angel oder radikalen Noise von Kevin Drumm.

Plädoyer für die Physis

Rehberg: "Lautstärke ist ein entscheidendes Stilelement moderner Musik. Das physische Element, das einen umwirft, psychisch mitnimmt, verstört, gerät auch dank eines jungen Publikums, das im Zweifel lieber mehr Songs als Soundqualität auf seine iPhones lädt, zunehmend ins Hintertreffen. Mich interessiert aber weder nettes akustisches Hintergrundplätschern für Leute, die sich in Clubs betrinken wollen, noch will ich Musik machen, die ich ohnehin schon zigmal gehört habe. Es geht um das Überschreiten von Grenzen und Normen. Außerdem muss es gerade im Alter lauter werden. Man hört ja auch schlechter."

Rehberg wuchs mit Postpunk- und Industrialbands wie Joy Division, Cabaret Voltaire, Throbbing Gristle oder Einstürzende Neubauten auf. Allesamt deklarierte Nichtmusiker, die für gängige Traditionen geringe Achtung zeigten. Als Mann einer Generation, die wenig Wert auf Handwerk, dafür aber dessen heftige Umsetzung legt, kam ihm während der 90er-Jahre die zügig und in die kommerziell leistbare Breite gehende Entwicklung hin zum Laptop gerade recht.
Rehberg: "Ich war von Bands wie Kraftwerk , aber auch von Rockmusik neu deutenden Bands wie Sonic Youth, Swans oder This Heat begeistert. Ich dachte mir immer, wie toll es doch wäre, wenn man Rockmusik vom unnötigen Beiwerk befreien, sie an ihrer Wurzel packen könnte. Energie, Gewalt. Punk und extreme Metal-Ausformungen sind als Haltung interessant, Techno als Form. Das ist es doch, um was es hier geht. Virtuosität ist mir ein Gräuel."

Gerade ist Rehberg aus Japan zurückgekommen. Dort spielte er mit Stephen O'Malley und mit Jim O'Rourke als Produzent das im Jänner erscheinende Album KTLIV ein. Erneut ein Gänsehaut machender Höllenritt in die Eingeweide des Rock. Sein Laptop setzt er dabei beherzt zweckentfremdet ein. Das digitale Wunderding wurde über einen alten analogen Ampec-Gitarrenverstärker gespielt und mit Effektpedalen geschunden. Dazu dröhnt die tiefer als gewöhnlich gestimmte Gitarre O'Malleys. Be afraid. Be very afraid.
(Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.11.2008)