Nur der "Kaufmannblock" bleibt denkmalgeschützt. Die meisten der Mieter ziehen gerne aus. Was bleibt, ist Wehmut – Von Verena Langegger

Innsbruck – Kleine Wohnungen, schlechter Bauzustand, fehlende Bäder und Heizungen sprachen wirtschaftlich gegen eine Sanierung der 400 Wohnungen von „Stalingrad". Doch das Denkmalamt stellte sich vorerst quer: Nach zweijährigen Verhandlungen bleibt ein Iporit-Block erhalten, der sogenannte "Kaufmannblock". Für die übrigen "Stalingrad"-Bewohner heißt es langsam "Koffer packen".

"Stalingrad" war Lazarett

Warum eigentlich "Stalingrad"? "Weil da ein Lazarett war, nach dem Zweiten Weltkrieg, mit verletzten Heimkehrern aus Russland", erklärt Frau Rosa. Sie wohnt mit ihrem Mann Alfred Lamprecht eigentlich "seit immer schon" in "Stalingrad" ohne Bad und Heizung, jetzt sind sie froh, dass sie ausziehen, im Herbst 2009. Das Leben in der Siedlung habe sich verändert. "Früher haben wir die Wohnungstüren offengelassen, und nichts ist gestohlen worden", erzählt Alfred. Die "Stalingradler" hätten aufeinander aufgepasst.

Schlechter Ruf

Mittlerweile sei das anders. "Anständige Leute" würden nicht mehr ohne Heizung und Bad leben wollen, also würden "Giftler" von der Stadt einquartiert. Und oben im zweiten Stock soll ein Puff sein, da würden "viele Männer ein und aus gehen". Der Ruf der Bewohner der Siedlung zwischen Südring und Pradler Friedhof war in Innsbruck nie gut. Das wissen auch die "Stalingradler", die selbst aber stolz auf ihre Siedlung sind. "Wir waren lauter Großfamilien mit vielen Kindern, deshalb hat es auch Schlägereien gegeben", erklärt Herr Alfred.

Persönlichkeiten

Die mittlerweile 68-jährige Pensionistin Frau Rosa wollte aber in jungen Jahren bei Bewerbungen nicht einmal ihre Wohnadresse angeben. "Da haben die Leute schon oft komisch dreingeschaut, als wäre das weiß Gott wie schlimm." Doch auch angesehene Persönlichkeiten hätten in Stalingrad gewohnt, wie der Chef des AMS Tirol, Anton Kern, oder der eben verstorbene Kabarettist Kurt Weinzierl, dessen Schwester "noch immer hier lebt": „Das sind alles Stalingradler", ist Frau Rosa stolz auf ihre Siedlung.

Politisch links

Politisch stehen die "Stalingradler" links: "Außer der schwarzen Nationalrätin Rosa Gföller waren hier immer alle rot", deklariert sich der 83-jährige Herr Alfred. Es hätten ja auch fast nur Arbeiter in der Siedlung gelebt. Er selbst war Hilfsarbeiter in den Röhrenwerken und an einer Tankstelle.

Ersatzwohnungen

Johann Newerkla ist Objektmanager der Immobiliengesellschaft IIG und für die Ab- und Umsiedlung der "Stalingradler" zuständig. Seit 2006 hat es drei Mietervereinigungen in "Stalingrad" gegeben. Diskutieren müsse er hauptsächlich über Ablösen oder künftige Wohngegenden. Newerkla verspricht Mietern, die nicht mehr Miete bezahlen wollen als die rund 120 Euro, wieder günstigen Substandard. Wer mehr Luxus möchte, muss mehr zahlen. "Ein Problem für viele Stalingradler", erzählt ein junger Mann. Auch für ihn sei die Ersatzwohnung einfach zu teuer.

Neubau


Ende 2009 soll der Neubau des Architekten Erich Pichler gleich um die Ecke für die "Stalingradler" fertiggestellt sein. Für die noch verbleibenden Blocks ist derzeit ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben. Fertig sein soll das "neue Stalingrad" 2011. (Verena Langegger/ DER STANDARD Printausgabe 6.11.2008)