Barack Obama ist zum 44. Präsident der USA gewählt worden. Was für ein Sieg, was für eine Wahlnacht, was für eine Wahlbeteiligung! Die Umfrageinstitute hatten den 47-jährigen Senator aus Illinois zwar seit langem vor John McCain gesehen, dass Obama aber mit 334 Elektoren und fünf Millionen Wählerstimmen Vorsprung gewinnen würde, hatten nur die kühnen Optimisten erwartet.

Der Aufstieg Barack Obamas fasziniert. Selten wurde in der amerikanischen Politik, die nicht gerade arm an Aufsteigergeschichten ist, eine solche Erfolgsstory geschrieben. Ein nahezu unbekannter Politiker mit komisch anmutendem Namen und schwarzer Hautfarbe hat es innerhalb von fünf Jahren geschafft, von einem talentierten Landtagsabgeordneten in Illinois zum Präsidenten der USA aufzusteigen. Bereits im episch anmutenden Vorwahlkampf gegen die siegesgewisse Hillary Clinton hatte Obama gezeigt, welches Potenzial in ihm und in seiner Kampagne steckte. Mit seinem Sieg gegen John McCain ist nun auch den letzten Zweiflern klar, dass wir es hier mit einem außergewöhnlichen Phänomen zu tun haben, das die politische und kommunikative Landschaft auf Jahre hinaus prägen wird.

Erfolgsfaktoren Obamas

Fragt man ganz allgemein nach den Erfolgsfaktoren Obamas, dann fallen schnell die Stichworte Charisma, Authentizität und mitreißende Rhetorik. In der Tat hat es selten einen Politiker gegeben, der mit seiner Botschaft des Wandels so eindringlich den Zeitgeist getroffen hat. Selten hat es eine Kampagne gegeben, die so konsequent in eine übergeordnete Erzählung eingebunden war. Eine Erzählung, die Obamas Botschaft des Wandels, der Hoffnung und des Brückenbauens eng mit seiner Lebensgeschichte, aber auch mit dem positiv-optimistischen Narrativ des Amerikanismus verknüpfte.

Guter Rhetoriker

Barack Obama ist jedoch mehr als ein talentierter Politiker mit einer guten Botschaft, er ist mehr als ein guter Rhetoriker mit Intellekt. Obama wusste von Beginn seiner Kampagne an, dass Charisma nicht ohne Organisation auskommt, dass Ausstrahlungskraft eine soziale Dimension braucht. So konsequent wie kein anderer Kandidat vor ihm nahm er deshalb eine neue Wahlkampfphilosophie an, in deren Mittelpunkt der direkte Dialog mit dem Bürger stand. Sein basisdemokratisches Credo hieß: „Jeder Unterstützer ist ein Botschafter!" Es ermöglichte ihm, aus einer anfangs simplen Botschaft eine echte soziale Bewegung zu formen, die auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes auf mehr als fünf Millionen Freiwilligen basierte, die für den Kandidaten von Haus zu Haus gingen, telefonierten, Partys veranstalteten und das Gespräch im Freundes-, Familien- oder Kollegenkreis suchten. Obama wollte keine normale Wahlkampf-PR machen, sondern eine neue Form des basisnahen, dezentralen, lebensnahen Dialogs mit und in der Gesellschaft organisieren. Diese Philosophie propagierte der Kandidat immer wieder mit einem seiner eindringlichsten Zitate des Wahlkampfes: „This election is not about me, it is about YOU."

Kommunikative Machtmittel

So weit, so gut. Wie aber wird Barack Obama nach der Wahl agieren? Die Aussichten für eine erfolgreiche Präsidentschaft erscheinen auf den ersten Blick sehr günstig. Obama verfügt über eine solide UND homogene Mehrheit, die in den USA nahezu ohne Präzedenz ist. Sein Charisma und seine rhetorischen Fähigkeiten werden helfen, die kommunikativen Machtmittel, die dem obersten Meinungsführer des Landes zur Verfügung stehen, effektiv einzusetzen. Hinzu kommt Obamas eigene Massenbewegung, die er dazu nutzen wird, um wankelmütige Kongressabgeordnete von seiner Regierungsagenda zu überzeugen. Sein digitales Adressbuch ist mittlerweile in der Tat größer als das vieler Interessengruppen in Washington, DC.

Kein langer politischer Honeymoon

Und doch wird Barack Obama keine allzu lange Phase des politischen Honeymoons haben. Der Politnovize, der während des Wahlkampfes als offene Projektionsfläche für seine Unterstützer diente, hat unendlich viele Hoffnungen geweckt. Hoffnungen, die nur schwer zu erfüllen sind. Will Obama keinen katastrophalen Regierungsstart erleben - Bill Clinton lässt grüßen -, dann muss er schnell den Sprung von der Rhetorik zur Substanz, von der Inspiration hin zu politischer Führung, vom Wahlkampfenthusiasmus hin zu legislativer Nachhaltigkeit schaffen. Dazu braucht er eine klare Prioritätenliste. Denn auch wenn Obama mit der populistischen Botschaft angetreten ist, das verhasste Washington, DC, radikal zu ändern, so wird er maximal zwei größere Reformvorhaben durch den Kongress bekommen. Die Mühlen der Gesetzgebung werden auch in einem demokratisch dominierten Umfeld langsam mahlen. Kein Mensch weiß, wie stark und schnell sich Obama von der legislativen Kärrnerarbeit frustrieren lässt. Exekutive Erfahrung hat er ja bisher noch keine.

Begehrlichkeiten

Hinzu kommen die Begehrlichkeiten der liberalen Ausschussvorsitzenden im Parlament, die ihr halbes politisches Leben auf den Tag gewartet haben, an dem sie endlich Politik gestalten können, ohne Rücksicht auf ihre konservativen Gegenspieler in der republikanischen Partei nehmen zu müssen. Von den ökonomischen und gesellschaftlichen Verwerfungen, die die Finanzkrise in den Vereinigten Staaten anrichten wird, war hier noch gar nicht die Rede. Nüchtern betrachtet ist der Spielraum für Wandel in Zeiten eines substantiellen Wirtschaftsabschwungs und eines überbordenden Haushaltsdefizits extrem gering. „What happened to the politics of hope and change?" Diese Frage könnte schnell zu einem geflügelten Motto für Obamas politische Gegner werden. Gerade das weiterhin gut geölte und ideologisierte Conservative Movement wird Obama massiv unter Druck setzen. Schon jetzt freuen sich einige Führer der Bewegung auf die Präsidentschaft eines liberalen Demokraten, der für sie zu einem Jungbrunnen werden könnte.

Zeiten des Triumphes

Wir wollen in Zeiten des Triumphes aber nicht den Schwarzmaler spielen. Ein Präsident Obama hat ohne Frage das Potenzial, zum Hoffnungsträger einer ganzen Generation zu werden. Regiert er inklusiv und transparent, smart und unaufgeregt, idealistisch und realistisch, mit gutem Personal und positiver Rhetorik, dann kann er ohne Zweifel ein zweiter Franklin D. Roosevelt werden. Barack Obama betont immer wieder, dass es ihm um eine neue Sichtweise auf Regierungshandeln in den USA geht. Er will weg von den alten Debatten über zu viel oder zu wenig Staat. Er möchte ganz einfach intelligent regieren. Das fehlte den USA allzu oft in den vergangenen acht Jahren. (Maik Bohne für derStandard.at, 5.11.2008)