Wallner:  Auf Kosten von morgen  leben?

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Krisen sind dazu da, um aus der Geschichte zu lernen. Mit dieser Weisheit können sich zur Zeit wahrscheinlich alle politischen Meinungsträger anfreunden. Die Frage ist nur, was man aus der Geschichte lernen soll - und dabei scheiden sich die Geister. Viele meinen, man sollte die Märkte wieder stärker regulieren und den Freihandel eindämmen obwohl gerade für eine kleine offene Volkswirtschaft wie Österreich, die 60% des BIP durch Exporte erwirtschaftet, die internationale Arbeitsteilung einen Gutteil des heutigen Wohlstands geschaffen hat. Andere wiederum wollen in das Verstaatlichten-Denken der 60er und 70er Jahre zurückfallen, obwohl es 55.000 Arbeitsplätze und 10 Mrd. Euro an Steuergeldern gekostet hat. Und wiederum andere wollen die Krise dazu verwenden, um wieder eine neue Schuldenpolitik des Staates zu rechtfertigen.

Aus der Geschichte lernen bedeutet jedoch etwas anderes. Bleiben wir bei den Tatsachen: Die Finanzmarktkrise ist weder eine Krise des Marktes, noch eine Krise der Globalisierung, sondern eine Krise der Nachhaltigkeit. Der Ursprung der Krise liegt in einer nicht nachhaltigen Finanz- und Geldpolitik der ehemaligen Weltkonjunkturlokomotive USA: und zwar in einer unverantwortlichen Ausweitung der Geldmenge, die bis zurück in die 90er Jahre reicht, in einer Vernachlässigung des Sparens, sowohl bei den privaten Haushalten, als auch beim Staat, und schließlich in einer kurzsichtigen Sozialpolitik, die soziale Transfers durch massenhaft billige Eigenheimkredite kompensiert hat.

Aus der Geschichte lernen bedeutet daher, dieses mangelnde nachhaltige Denken in der Finanzpolitik nicht wieder aufkommen zu lassen. Österreich fährt mit der strikteren EZB zwar bei der Geldpolitik einen weitsichtigeren Kurs als die USA, und auch die privaten Haushalte verhindern in Österreich mit einer angemessenen Sparquote von knapp 12% des verfügbaren Einkommens ein nationales Leistungsbilanzdefizit à la USA; aber der Staat hat in Österreich genauso wie in den USA seinen Beitrag zur Nachhaltigkeit schon lange nicht mehr geleistet. Mit einer Staatsschuldenquote von fast 60% sind wir auf Augenhöhe mit den USA - und da sind die großen Ausgabenblöcke, die noch auf uns zukommen werden, noch gar nicht mit eingerechnet: die Schulden der ausgegliederten ÖBB und ASFINAG werden sich bis 2030 auf von rund 40 Mrd. Euro verdoppeln, die Pflegeausgaben werden sich laut WIFO im gleichen Zeitraum auf 9 Mrd. Euro verdreifachen, und die Pensionsausgaben werden laut IHS bis 2050 von 10% des BIP auf 18% des BIP ansteigen.

Österreichs Steuerzahler begleichen heute bereits jährlich 7,1 Mrd. Euro an Zinszahlungen auf die Staatsschulden. Ein Geld, das wir gerade heute als Vorsorge auf den demographischen Wandel, als Steuerentlastung oder für wichtige Zukunftsausgaben im Wissenszeitalter dringend brauchen würden. Ohne ausgeglichenen Staatshaushalt können wir dieses Geld wiederum nur von den vielgescholtenen Finanzmärkten holen, die heute bereits 80% aller heimischen Staatsschulden finanzieren und damit auch übrigens 80% unserer Zinszahlungen kassieren. Im Lichte dieser Erkenntnis ist es durchaus fragwürdig, ob jene Ökonomen, die ständig gegen die zunehmende Verflechtung und die rasante Entwicklung der internationalen Finanzmärkte wettern, auch ruhigen Gewissens für noch mehr heimische Staatsausgaben plädieren können.

Mehr Staatsausgaben auf Pump bedeuten nun einmal mehr Verlass auf den guten Glauben der Finanzmärkte und auf deren ungebrochene Überzeugung, dass die Staatsanleihen auch eines Tages wieder zurückgezahlt und deren Zinsen beglichen werden können. Angesichts der jüngsten heimischen Budgetpolitik, in der ein ständiges Defizit auch in Boomjahren nicht hinterfragt wird, in der zusätzliche Steuermehreinnahmen durch eine gute Konjunkturentwicklung sofort wieder "verteilt" werden müssen, oder in der einer Woche vor der Wahl eine gesamte Steuerreform verpulvert wird und damit notorische Krankenkassendefizite stillschweigend subventioniert werden, macht der heimische Staat im Grunde genommen dieselben Fehler wie die amerikanischen "Häuslbauer": Er lebt zunehmend auf Kosten von morgen...  (DER STANDARD, Printausgabe, 5.11.2008)