Elf Beiträge beschäftigen sich im Reader "schön normal" mit dem Thema Schönheit und Körpermanipulation.

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Paula-Irene Villa: "Plastische Chirurgie wird sich noch wesentlich ausbreiten , es wird für mehr Menschen alltäglicher werden".

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"Ich mach das nur für mich!" Egal ob Sport, FrisörInnenbesuch oder Brustvergrößerung, die Klarstellung, dass frau nicht anderen, sondern ausschließlich sich selbst gefallen will, folgt oft auf dem Fuße.
Kann "schön sein" wirklich ein individueller Wunsch sein, oder sind wir alle doch nur Opfer eines Schönheitsdiktats, dem wir zwar schön brav nachlaufen, wohl wissend aber, dass es ohnehin nicht erreicht werden kann?
Weder noch, so der Tenor der Texte des im Oktober erschienenen Buches "schön normal. Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst". Die AutorInnen analysieren darin die Praktiken rund um das Thema "Schönheit" abseits der Trampelpfade dieser beiden Extrempole Selbstunterwerfung versus Selbstermächtigung.
Die Texte versuchen beispielsweise zu klären, welchen Zweck die zur Schau gestellte Arbeit am Körper hat, der in TV-Formaten wie "The Swan" oder diversen Diät-Reality-Shows gehuldigt wird, oder inwieweit auch die zweite Frauenbewegung mit ihren Selbstbestimmungsimperativen die "Schönheitsarbeit" vorangetrieben hat. Eine These, die die Herausgeberin von "schön normal", Paula-Irene Villa, in ihrem Buch vertritt. Beate Hausbichler sprach mit ihr unter anderem über den fließenden Übergang zwischen dem Besuch im Nagelstudio und einer Brustvergrößerung, einem möglichen Gewinn von plastischer Chirurgie und herablassende Blicke aus dem Feuilleton.

dieStandard.at: Das im Buch immer wieder thematisierte TV-Format "The Swan", in der die KandidatInnen bis zur letzten Konsequenz, also auch mittels Operationen, ihr Äußeres "verbessern", hatte in Deutschland im Vergleich zu den USA nur mäßigen Erfolg. Wie erklären Sie sich das?

Paula-Irene Villa: Zum einen gibt es in den USA auch im Alltag einen sehr viel pragmatischeren Umgang mit dem eigenen Körper, auch im Sinne eines Gegenstandes, den man formt. In bestimmten Teilen der USA gibt es auch schon eine längere Tradition eines Körperkultes, Joggen oder Bodybuilding kommt als Breitensportart auch aus den USA.
Zum anderen, und das ist meiner Ansicht nach ein nicht zu unterstätzender Aspekt, haben wir gerade im deutschsprachigen Raum ein stark bildungsbürgerlich beherrschtes Feuilleton. In diesem und auch in Rezensionen oder Fernsehkritiken gehen alle davon aus, dass alles, was künstlich und unecht ist, abzulehnen ist. Es sollte also nicht öffentlich gesehen werden, was andere Leute an sich machen. Natürlich sollte man gepflegt und – ganz wichtig – gesund sein, aber es darf nicht plastisch oder künstlich wirken.

dieStandard.at: Aufgrund der genannten Formate im Fernsehen, aber auch in einigen der Texte in Ihrem Buch, entsteht der Eindruck, dass Schönheitschirurgie ein Massenphänomen sei, was aufgrund der hohen Kosten nur schwer vorstellbar ist. Wird die Schönheitschirurgie nicht eher durch die mediale Vermittlung zu einem Massenphänomen?

Paula-Irene Villa: Zum einen wäre ich zurückhaltend, dass Schönheitschirurgie derart teuer ist, dass es sich nur Wenige leisten können. Ich denke, es ist für viele so wie mit Urlaub. Viele, die im Alltag nicht so viel Geld haben, sparen oder verschulden sich. Wenn man sich im Netz "Schönheitsportale" ansieht, die letztendlich oft für AnbieterInnen von plastischer Chirurgie werben, wird man sehen, dass in diesen immer auch Links zu Kreditinstituten zu finden sind.
Aber ich gebe ihnen schon auch Recht, es ist sicher nicht so ein Massenphänomen, wie es Medien teilweise suggerieren. Aber, und das ist das Neue daran, es wird nicht mehr so klar zwischen Frisörbesuch oder Permanent-Make-up und etwa einer Brustvergrößerung getrennt. Das Eine kostet zwar mehr als das Andere, aber es gibt keinen qualitativen Unterschied mehr. Das ist das Neue, das wir derzeit in den Medien und auch im Alltag erleben. Insofern glaube ich, dass plastische Chirurgie sich noch wesentlich ausbreiten wird, es wird für mehr Menschen alltäglicher werden.

dieStandard.at: Warum spielt Selbstermächtigung – "ich" will es so – in Zusammenhang mit plastischer Chirurgie eine so große Rolle?

Paula-Irene Villa: Ich denke, dass es mit einem neoliberalen Zeitgeist zu tun hat, der sagt, was du machst, ist allein deine Entscheidung. Wer nicht für sich entscheidet, sondern meint, etwas für andere zu tun, gerät schnell in den Verdacht, ein Opfer zu sein, das nicht selbstbewusst autonom agiert, sondern ein Opfer von Verhältnissen, Anerkennungswünschen oder Abhängigkeiten ist. Das ist sehr stark negativ konnotiert. Wenn man sagt "Ich möchte geliebt werden und deshalb tu ich dies oder jenes" wird man schnell zum Loser.
Insofern scheint vorwiegend die eigene Erfahrung oder der eigene Wunsch zu zählen, womit die Praktiken dann auch nicht mehr zur allgemeinen, öffentlichen Diskussion stehen.
Diese Mengenlage mit den Stichworten Neoliberalismus, Individualisierung – das ist meines Erachtens der Rahmen, weswegen Menschen genötigt sind, das so zu legitimieren.

dieStandard.at: Die Themen Selbstunterwerfung und/oder Selbstermächtigung tauchen aktuell vor allem in der Kopftuchdebatte auf.

Paula-Irene Villa: Ja, insbesondere von jenen, die ein Kopftuch tragen, wird – besonders häufig von jüngeren Frauen – sehr stark betont, dass es die eigene Entscheidung ist, denn:"Ich fühl mich damit wohl". Es gibt hier tatsächlich eine ganz ähnliche Argumentation. Auch hier wird mit dem "Ich hab mich dafür entschieden"- Argument überblendet, wie komplex Zwänge, Abhängigkeiten, Notwendigkeiten oder Zumutungen wirken.

dieStandard.at: Sie thematisieren in Ihrem Text die Forderung, fleißig für die Schönheit zu arbeiten. Geht es mehr um die Arbeit am Körper als um Schönheit?

Paula-Irene Villa: Es gibt die Schönheit an sich nicht, das ist eine Schimäre. Wenn wir etwa sagen, das sieht bei Menschen schön aus, dann ist das oftmals ganz stark mit Gesundheit, Fitness oder Sportlichkeit codiert. Über solche oder andere Formen kommt die Arbeit rein. Die gesund-rosige Hautfarbe, die Festigkeit und Elastizität eines Körpers, das verweist auf etwas anderes, beispielsweise eben auf Gesundheit, auf Sport, auf Tüchtigkeit. Insofern würde ich die Frage so beantworten: Wenn es um das Eine geht, geht es auch immer um das Andere. Wenn es um "schön-sein" geht, geht es auch immer darum, was "schön-sein" bedeutet, etwa ihre Herstellung.

dieStandard.at: Kann die Frage, wo die Körpermanipulation anfängt, überhaupt beantwortet werden?

Paula-Irene Villa: Nein, diese Frage ist nicht zu beantworten. Wir betreiben das alle, da sollte sich niemand was vormachen. Wenn wir uns die Haare entfernen oder auch nicht, wenn wir über unser Essen nachdenken usw., das ist alles durchtränkt von sozialen Imperativen. Niemand lebt in diesem Sinne autark oder ganz "natürlich".

dieStandard.at: Hat plastische Chirurgie auch das Potential, Vorstellungen von "Natürlichkeit" aufzubrechen, im Sinne einer "natürlichen Geschlechterdifferenz"? Dank plastischer Chirurgie kann auch das biologische Geschlecht verändert werden. Kann darin somit auch ein Gewinn liegen?

Paula-Irene Villa: Das Mantra, dass Geschlechterdifferenz natürlich codiert ist, ist nach wie vor sehr wirkmächtig und wichtig. Durch diese neuen Technologien und das Zeigen und Sehen der Arbeit, die es erfordert, eine Frau oder ein Mann zu sein, kommt es schon zu "Entnaturalisierungen", das könnte durchaus auch ein Gewinn sein, jedoch nicht von vornherein. Vielmehr ist es so, dass sich mit den verschiedenen Anwendungen dieser Technologien neue Spielräume öffnen. Erfahrungsgemäß ist es aber so, dass solche neuen Spielräume auch von neuen Normierungsbestrebungen oder Expertisierungsdiskursen begleitet werden, das ist also auch ein sehr umkämpfter Raum. Daher sind solche Möglichkeiten nicht notwendigerweise was Befreiendes – aber es kann sein.
Was wir meines Erachtens öffentlich noch viel zu wenig diskutieren ist, dass diese Entscheidungen, die auch aufrichtig und nicht rein verblendet getroffen werden, eine Beendigung von Leid sein können und somit ein besseres Leben ermöglicht wird. Das muss gesehen und auch ernst genommen werden. Darüber brauchen wir noch viel mehr Streit.
(Beate Hausbichler, dieStandard.at, 30.10.2008)