Zur Person: Hannes Richter promovierte in amerikanischem Wahlverhalten und lehrte amerikanische Politik an der Universität New Orleans. Er lebte die letzen zehn Jahre in den Vereinigten Staaten in New Orleans und Washington, D.C., ist spezialisiert auf Neue Medien und demokratische Kompetenz in den USA und Lehrbeauftragter für amerikanische Politik am John F. Kennedy Institute for North American Studies der Freien Universität Berlin.

Für die konservative Kernschicht im Süden ist McCain ein "idealer" Kandidat, weiß Hannes Richter, Politologe in der Louisiana-Metropole New Orleans. McCain sei "konservativ, Kriegsveteran, amtserfahren und stark in der Sicherheitspolitik". Dass latenter Rassismus in den Südstaaten einen "signifikanten Nettoeffekt" auf das Wahlergebnis haben werde, glaubt Richter nicht. Darauf, dass republikanische Staaten wie Louisiana, Arkansas und Georgia wie teilweise prognostiziert doch noch zu Obama-Staaten werden, würde er aber "nicht viel Geld wetten".

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derStandard.at: Sie lehrten jahrelang in New Orleans, derjenigen Stadt, die vor drei Jahren von "Hurricane Katrina" verwüstet wurde und wo das Krisenmanagement der Bush-Regierung versagt hat. Trotzdem ist Louisiana ein Staat, in dem so gut wie sicher die Republikaner gewinnen werden. Hat hier McCain die Abgrenzung von Bush geschafft?

Richter: Louisiana ist ein konservativer Staat im Süden, da zählen andere Variablen. Es ist richtig, dass im nationalen Vergleich die inhaltliche Affinität zu George W. Bush ein Problem für John McCain darstellt, obwohl diese Aussage auch nur für manche Themen korrekt ist, aber etwa in Louisiana hat das keinen signifikanten Einfluss auf die Wahlentscheidung. Für die konservative Kernschicht im Süden ist McCain ein starker Kandidat; konservativ, Kriegsveteran, amtserfahren und stark in der Sicherheitspolitik - das wird gewählt. Trotzdem hat auch John McCain das Thema Krisenmanagement unter der Bush-Regierung in Louisiana aufs Tapet gebracht: er war im April diesen Jahres in New Orleans und hat die Gelegenheit genutzt, sich spezifisch bei diesem Thema von George W. Bush zu distanzieren und fand hier auch recht starke Worte. Aber er würde Louisiana auch gewinnen, hätte er dies so nicht getan.

derStandard.at: Wie würden Sie die politische Tradition in den Südstaaten beschreiben?

Richter: Die Südstaaten haben eine konservative politische Tradition, welche tief in ihrer Geschichte verwurzelt ist und politisch bis ins Heute strahlt. Am Süden, sozusagen als politischer Block, kommt in den USA niemand vorbei. New Orleans ist demokratisch, wenn es auch oft heißt, es fehle ein Teil der afro-amerikanischen Kernwählerschaft der Stadt, welche nach Katrina noch nicht wieder zurückkehrten. Grundsätzlich sind die Südstaaten natürlich konservativ, wenn das auch nicht notwendigerweise bedeuten muss, dass ausschließlich Republikaner gewählt werden; man muss hier je nach Wahl beurteilen und darf auch nicht vergessen, dass demokratische Kandidaten im Süden ebenfalls konservativer sind. Die ehemalige Gouverneurin Blanco ist beispielsweise Demokratin und sie wurde nicht nur in New Orleans gewählt.

Ihre Abwahl und der Erfolg Bobby Jindals haben in Folge natürlich manche dazu verleitet, die Gründe für seinen Wahlerfolg in der teilweisen Absenz der Afro-Amerikaner zu sehen; böse Zungen behaupteten die demografischen Auswirkungen der Katastrophe kämen den Republikanern gerade recht. Ich sehe das nicht so; wenn man die Ergebnisse der Gouverneurswahlen von 2003 und 2007 auf Gemeindeebene vergleicht, so kann man nur schwer zu diesem Schluss kommen, insbesondere unter Berücksichtigung des Kontextes der letzten Wahl.

derStandard.at: In den letzten Tagen wird viel darüber gestritten, inwiefern Meinungsumfragen dieses Mal von Ressentiments gegenüber Schwarzen geprägt sind. Könnte die Rassendiskriminierung tatsächlich Obama den Sieg kosten?

Richter: Das ist die Gretchenfrage, ich erwarte dies jedoch nicht. Das Problem der "social desireability" in der Meinungsforschung ist bekannt; simpel gesprochen, Befragte sagen bei sozial sensitiven Themen nicht immer die Wahrheit. In diesem Fall geben ca. 70% der Amerikaner an, Hautfarbe sei diesen November in keinster Weise ein Entscheidungskriterium, während ca. 5% angeben, die Hautfarbe der Kandidaten sei der gewichtigste Entscheidungsgrund.

Man darf hier jedoch nicht annehmen, dass jene 5% der Befragten alle gegen Obama wählen; darunter befinden sich auch Wähler, welche Obama gerade wegen seiner Hautfarbe ihre Stimme geben werden, der Effekt wirkt also grundsätzlich in beide Richtungen. Weiters ist anzumerken, dass der Großteil jener Minderheit, die Obama aufgrund seiner Hautfarbe nicht wählen werden, ohnehin nie einem demokratischen Präsidentschaftskandidaten ihre Stimme geben würden. Natürlich bleibt noch das Argument der heimlichen Rassisten, die ihr wahres Gesicht erst am Wahltag zeigen, aber auch hier gilt: wer so denkt würde mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin keinen Demokraten zum Präsidenten wählen, ich erwarte hier also keinen signifikanten Nettoeffekt und hoffe, nicht eines Besseren belehrt zu werden.

derStandard.at: Louisana ist der Bundesstaat, in dem der Fall der "Jena Six" im vergangenen Jahr besonders viel Staub aufwirbelte. Ist seither ein Umdenken oder eine höhere Sensibilität beim Thema Rassismus zu bemerken?

Richter: Meiner persönlichen Einschätzung nach nicht. Die "Jena Six" haben Staub aufgewirbelt, und dieser Staub legt sich wieder; die ursprünglich sehr hohe Strafmaßforderung der Staatsanwaltschaft wurde reduziert, das Medienecho ist verflacht. Der Fall hat wohl der Frage nach dem Status der Rassenbeziehungen im Süden kurzfristig wieder zu mehr Prominenz verholfen, aber von einem Umdenken oder erhöhter Sensibilität kann man - generell - nicht sprechen; Ausnahmen wird es sicher geben. Was jedoch bleibt ist ein fahler Nachgeschmack - der Verdacht, dass da unter der Oberfläche nicht alles in Ordnung sein kann.

derStandard.at: In den nächsten Tagen planen die Demokraten ein groß angelegtes Finish mit halbstündigen Wahlkampfspots und einer weiteren Großoffensive per Mailings und im Internet. Was wird McCain dagegen halten?

Richter: Für John McCain sieht es in der Tat nicht gut aus. Er wird sich in der verbleibenden Zeit auf Ohio, Florida, North Carolina, Indiana und Missouri konzentrieren, dort werden sowohl er als auch Sarah Palin meist anzutreffen sein - diese Staaten sind nach letzen Umfragen die „toss up states", nur hier kann McCain das Ruder noch herumreißen. Die Daten sprechen allerdings gegen ihn: Kaum ein Präsident der jüngeren Geschichte hat es geschafft, einen Umfragenrückstand so knapp vor der Wahl noch in einen Sieg zu verwandeln; der letzte dem dies während der letzen 50 Jahre gelang war Ronald Reagan, wenn wir die Wahl des Jahres 2000 hier ausklammern. Inhaltlich wird John Mcain wohl nicht mehr viel aus dem Hut zaubern, Tenor und Ziel der Kampagne werden sich nicht mehr ändern: Barak Obama als Vertreter des "big government" zu zeichnen, das Ungeheuer, welches Steuern erhöhen wird. Die untergriffigen Versuche des Republikanischen Lagers Barack Obama zu diskreditieren haben sich nicht bewährt und sogar negativ auf die Umfragewerte John McCains abgefärbt.

derStandard.at: In den meisten Staaten der USA findet der Wahlkampf gar nicht statt, da man sich auf die "battleground states" konzentriert. Üblicherweise werden die Südstaaten von den Demokraten ausgelassen, diesmal wurde auch hier demokratische Energie hineingesteckt. Denken Sie, dass diese Bemühungen von Erfolg gekrönt sein könnten?

Richter: Die Wahrscheinlichkeit ist gering, selbstverständlich mit der Ausnahme von Florida - dem Staat kommt hier natürlich große Bedeutung zu, er hängt am seidenen Faden. Was die anderen, "klassischen" Südstaaten betrifft, deren Wahlmännerstimmen werden wohl an John McCain gehen, wobei, je nach Umfrage, Louisiana, Arkansas und Georgia vielleicht noch zu Gunsten Herrn Obamas kippen könnten; John McCains Mehrheit dort ist derzeit nicht ganz so solide ausgeprägt. Ich persönlich würde jedoch nicht allzu viel Geld darauf wetten, es wird wohl eine rein theoretische Möglichkeit bleiben.

derStandard.at: In den Staaten wird am 4.11. ja nicht nur der Präsident, sondern auch Abgeordnete, Bürgermeister, Richter etc. neu gewählt, teilweise stehen auch Gouverneure und Senatoren zur Wahl. In der Geschichte gibt es Beispiele für völlig gegenläufige Trends, also Wahlen, bei denen die Partei, die das Weiße Haus gewonnen hat, im übrigen Land flächendeckend verlor. Wie ist das zu erklären?

Richter: Zum sogenannten "split-ticket voting", also Wähler die beispielsweise bei der Präsidentenwahl den Demokratischen Kandidaten wählen, bei der Wahl des Kongressabgerodneten Ihres Wahldistriktes aber den Republikanischen Kandidaten bevorzugen, existieren mehrere Erklärungsmodelle. Weit verbreitet ist die Annahme, dass "split-ticket voting" durch unterschiedliche Medianwerte politischer Präferenzen der Wählerschaft in lokalen und nationalen Wahlen hervorgerufen wird; diese sind manchmal links, manchmal rechts vom nationalen Durchschnitt. Der Demokrat wird sich immer links vom Republikaner positionieren, auch wenn das etwa im nationalen Vergleich eine andere Position bedeutet.

Die Wahrscheinlichkeit für "split-ticket voting" ist also höher in Wahlbezirken die ideologisch weiter vom Mittelwert entfernt sind. Dies zeigt weiters aber auch auf, dass die organisatorische Dichte des amerikanischen Parteiensystems relativ schwächer ausgeprägt ist - die Parteien haben nicht die Möglichkeit, Ihre Mitglieder und Vertreter ducrh das gesamte System, legislativ und exektutiv, entlang einer Parteilinie zu organisieren. "Split-ticket voting" mindert die Motivation der Parteien klar definierte programmatische Richtlinien zu formulieren, sowie selbige im Amt umzusetzen. Manche leiten daraus ein demokratisches Defizit ab.

derStandard.at: Wen wählen JungwählerInnen in den USA tendenziell?

Richter: Dieses Jahr hat Obama in der Altersgruppe der 18 bis 29-jährigen klar die Nase vorne, unter Jungwählern ist der Unterschied zwischen Barak Obama und John McCain am stärksten ausgeprägt. Je höher die Wahlbeteiligung unter Jungwählern, desto besser für Barack Obama. Aber gleichzeitig hat diese Gruppe unter allen Wählern auch die geringste Wahrscheinlichkeit, überhaupt zur Wahl zu gehen; ebenso können wir klar belegen, dass junge Menschen in den USA sich am wenigsten mit dem Wahlkampf, den Themen, etc. auseinandersetzen. Noch gibt es nichts Handfestes um zu belegen, dass Jungwähler diesmal tatsächlich vermehrt zu den Urnen gehen werden. Es wird also interessant sein zu beobachten, wie groß der Effekt der Obama-Kampagne letztendlich sein wird; werden wir tatsächlich eine gestiegene Wahlbeteiligung unter jungen Amerikanern messen können, und wenn ja in welchem Ausmaß? (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 29.10.2008)