"Die Besatzung der Ukraine 1918. Historischer Kontext, Forschungsstand, wirtschaftliche und soziale Folgen". Herausgegeben von Stefan Karner und Wolfram Dornik. ISBN 978-3-901661-25-5, Graz 2008, 224 Seiten, 19,90 Euro.

Ludwig Coverfoto: Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung

Graz - "Die Besatzung der Ukraine 1918" durch Deutschland und Österreich-Ungarn ist ein von der Geschichtswissenschaft bisher so gut wie gar nicht behandeltes Thema - neun Autoren haben nun ein von Stefan Karner und Wolfram Dornik herausgegebenes Buch vorgelegt. Das Buch ist aus einem Forschungsprojekt des Ludwig Boltzmann-Institutes für Kriegsfolgenforschung entstanden. Der von den beiden Mittelmächten erhoffte Effekt der Nutzung der ukrainischen Getreideressourcen gelang nur zum Teil, so Peter Ruggenthaler und Wolfram Dornik am Montag bei der Präsentation in Graz: durch brutale Vorgangsweise bei Widerstand, fehlende langfristige Strategien sowie den Druck der Fronten im Westen.

Mangelhafte Konzepte der Besatzer

Der Zusammenbruch des Zarenreiches und der Friede von Brest-Litowsk im Ersten Weltkrieg hatten das deutsche Kaiserreich und Österreich-Ungarn die erhofften Kornkammern der Ukraine geöffnet. Acht Monate lang, bis zum 4. November 1918, teilten sich die k.u.k. Armee und die deutsche Armee riesige Gebiete der Ukraine auf. Doch die erhofften Rohstoffe und Lebensmittel konnten nur bis zu einem sehr geringen Teil eingebracht werden, damit die Not der eigenen Bevölkerung nur bedingt gelindert werden. Stattdessen verwickelten sich die Truppen der Mittelmächte in einen erbitterten Bandenkrieg und in Scharmützel mit der Landbevölkerung, die sie mit eiserner Brutalität niederkämpften.

Mit der Aufwertung und Heranziehung des ukrainischen Zentralrates unter Pavlo Skoropadskyj gelang den Mittelmächten im Frühjahr und Sommer 1918 zwar eine Stabilisierung, da Verwaltungs- und Exekutivaufgaben in die Hände von Ukrainern übergeben wurden. Allerdings wurden sowohl diese als auch die Truppen der Mittelmächte immer mehr in Gefechte mit Widerständlern und in den Bürgerkrieg zwischen ukrainischen nationalen Kräften und kommunistischen Truppen verwickelt.

Verzerrte Erinnerung

In der kollektiven Erinnerung rührt die positive Reminiszenz an Österreich-Ungarn wohl eher aus der Zeit von Maria Theresia bis 1914 her, als die Bukowina besetzt und Kronland war und zahlreiche Bildungs- und Kultureinrichtungen geschaffen wurden - und aus dem Vergleich mit der nachfolgenden Sowjetisierung, der Hungersnot der 20- und 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts sowie der deutschen Besatzung von 1941 bis 1944. Vor allem auf k.u.k.-Seite orteten Dornik und Peter Ruggenthaler vom Boltzmann-Institut am Montag das Fehlen eines politischen Konzepts im Umgang mit der Ukraine: "Man merkt es in den Akten - es muss massive Realitätsverweigerung geherrscht haben."

Unter der Leitung von Karner und der Koordination von Dornik wurden der historische Kontext, der internationale Forschungsstand sowie die wirtschaftlichen und sozialen Folgen analysiert. Die Publikation umfasst Beiträge von österreichischen und ukrainischen Historikern. Zur Schilderung der Vorkommnisse wurden u.a. Dokumente aus ukrainischen Archiven wie auch ein Tagebuch des Gelehrten Vladimir Ivanovic Vernadskij herangezogen. Eine ukrainische Übersetzung des Buches ist in Vorbereitung. (APA)