Zur Person

Monika Ploier (27) ist Medizinrechtsexpertin bei CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte. Mit Petutschnigg hat sie "Die Patientenverfügung" (Juridica) herausgegeben. Ploier ist Obfrau des Forschungsinstituts für Recht in der Medizin (Firm), einem Verein, der den Dialog zwischen Ärzten, Angehörigen von Gesundheitsberufen und Patienten fördert.

Berthold Petutschnigg (54) ist Facharzt für Allgemeinchirurgie und Intensivmedizin an der Abteilung für Transplantationschirurgie der Medizinischen Universität Graz. Zudem ist er seit vielen Jahren Notarzt und Leiter im Notarzt- und Hubschraubersystem. So wie Ploier ist er Mitbegründer von Firm. Petutschnigg ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Graz.

Foto: Standard/Regine Hendrich

Reanimation ablehnen? Die Juristin Monika Ploier kämpft um Patientenrechte, Berthold Petutschnigg zeigt Grenzen der Selbstbestimmung auf. Karin Pollack sprach mit der Medizinrechtsexpertin Monika Ploier und dem Arzt Berthold Petutschnigg über die Patientenverfügung.

STANDARD: Was genau ist eine Patientenverfügung?

Ploier: Eine Patientenverfügung ist ein Dokument, in dem der Verfasser festlegt, wie er zu einem Zeitpunkt, an dem er nicht mehr bei Bewusstsein oder ohne Urteilskraft ist, medizinisch behandelt werden will. Damit lassen sich medizinische Maßnahmen ausschließen.

STANDARD: Es gibt aber zwei Arten von Verfügungen?

Ploier: Ja, die verbindliche und die beachtliche Patientenverfügung. Erstere ist für Ärzte verpflichtend, sie müssen den Willen des Patienten unbedingt befolgen. Bei einer beachtlichen Patientenverfügung haben Verwandte und Ärzte ein Mitbestimmungsrecht. Die Idee des gemeinsamen Entscheidens ist dabei zentral. Dafür braucht man auch keinen juristischen Berater.

STANDARD: Wie praktikabel ist das für einen Arzt?

Petutschnigg: Ich bin in der Notfallmedizin und in der Transplantationschirurgie tätig, und in diesen Disziplinen stehen Patienten an einer ganz entscheidenden Kreuzung ihres Lebens. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass die meisten Patienten, die ursprünglich eine verbindliche Patientenverfügung abschließen wollten, nach dem Aufklärungsgespräch eher auf eine beachtliche umschwenken. Für die meisten Menschen ist wichtig, dass sie kein Pflegefall werden. Aber auch Mediziner können immer erst im Verlauf einer Behandlung Folgen abschätzen.

STANDARD: Ein Gespräch mit einem Arzt ist der erste Schritt?

Petutschnigg: Wer sich mit dem Tod beschäftigt, setzt sich mit seinem Leben auseinander, und zwar zu einem Zeitpunkt, wo man dazu noch in der Lage ist. Ein Arzt ist ein guter Informant.

STANDARD: Sprechen Sie über Todesarten?

Petutschnigg: Nein, man stirbt immer an Kreislaufversagen, das ist nicht der Punkt. Es geht darum, über Krankheiten und Therapien zu sprechen. Oft kommen gesunde Menschen, die gerade einen Verwandten oder Bekannten verloren haben und deshalb bestimmte Behandlungen ausschließen wollen.

Ploier: Jeder Arzt ist zur Aufklärung verpflichtet. Das Besondere an Patientenverfügungen ist, dass Arzt und Patient sich für ein ausführliches Gespräch mehr Zeit als gewöhnlich nehmen. Daraus ergibt sich eine Art Leitfaden, der schriftlich festgelegt wird. Juristen kommen zum Abschluss dazu.

STANDARD: Um welche Situationen geht es in solchen Gesprächen?

Petutschnigg: Prinzipiell kann jeder alles ablehnen, außer die Pflege, also Füttern und Waschen. Im Allgemeinen geht es um Reanimation, Chemotherapie, Bluttransfusionen oder künstliche Ernährung.

STANDARD: Sprechen wir über die Reanimation.

Petutschnigg: Wenn ein Mensch in der Patientenverfügung sagt, er will nicht wiederbelebt werden, muss ich erklären, was Wiederbelebung heißt. Da sprechen wir meistens über die Zeit zwischen einem Herzstillstand und der Wiederbelebung. Wer bei einer Operation einen Herzstillstand hat, hat bessere Chancen als jemand, der länger als drei Minuten ohne Sauerstoff bleibt. Für die Patientenverfügung ergeben sich daraus unterschiedliche Varianten.

Ploier: Wer sagt, dass er nach einem Autounfall nicht wiederbelebt werden will, formuliert zu vage. Es geht darum, präzise Vorgaben zu schaffen. Denn in der Notfallmedizin wird ganz grundsätzlich erst einmal Leben gerettet. Ob jemand eine Patientenverfügung hat oder nicht, ist zweitrangig. Ob Folgeschäden entstanden sind, kann auf der Notfallambulanz ja noch niemand feststellen.

Petutschnigg: Auf der Notfallambulanz oder in der Rettung sind die Ärzte ja von Gesetzes her vom Suchen nach einer etwaigen Verfügung entbunden. Es kann also sein, dass ein Mensch, der eine verbindliche Patientenverfügung abgeschlossen hat, im Akutfall trotzdem reanimiert wird.

STANDARD: Wo bewahrt man die Patientenverfügung am besten auf?

Ploier: Man sollte eine Hinweiskarte in der Geldtasche tragen und dort eine Person angeben, die das Dokument ins Spital bringen kann. Ergibt sich aus einer verbindlichen Patientenverfügung nach einem Herzinfarkt, dass der Patient keine lebenserhaltenden Maßnahmen möchte, dann müssen die Ärzte diesem Wunsch nachkommen - auch dann, wenn die Prognosen gar nicht so schlecht wären.

STANDARD: Wie steht es um die künstliche Ernährung, etwa bei Demenz?

Petutschnigg: Wenn eine schwere Krankheit vorliegt und es abzusehen ist, dass trotz künstlicher Ernährung sich der Zustand nicht bessern wird, kann man sie ausschließen. Mit anderen Worten: Der Patient will dann nicht, dass der Sterbevorgang verlängert wird. Das lässt sich festlegen.

STANDARD: Wo sind die Grenzfälle?

Petutschnigg: Ein Patient vor einer Lebertransplantation will verfügen, dass dann, wenn die Ärzte glauben, dass er es nicht schaffen wird, keine künstliche Ernährung, keine Dialyse und keine Reanimation stattfinden. Und genau da ist auch der Knackpunkt: Wann dieser Punkt eintritt, können wir nicht sagen. Deshalb wird für ihn wahrscheinlich eine beachtliche Patientenverfügung sinnvoller sein.

STANDARD: Also ist eine verbindliche Patientenverfügung völlig umsonst?

Ploier: Nein, denn es gibt abgesehen von sehr schwierigen Situationen auch Fälle, in denen Patientenverfügungen sehr klar sind. Wenn jemand im Verwandtenkreis eine Erkrankung erlebt hat und weiß, wie sie verläuft, kann er ganz konkret sagen, was er für sich nicht möchte. Schwieriger ist es, wenn man unspezifische Wünsche hat, also beispielsweise nur sagt, dass man kein Pflegefall werden will.

STANDARD: Mit umfassender Aufklärung wird Menschen aber auch die letzte Hoffnung genommen.

Petutschnigg: Die Aufgabe des Mediziners heißt: Leben erhalten. Das ist die oberste Maxime. Und zwar: Leben erhalten um jeden Preis, auch dann, wenn die Mittel - etwa Chemotherapie bei einem Patienten mit sehr schlechten Prognosen - nur sehr untauglich sind. Oft können ja nicht einmal Ärzte sagen, wie eine Krankheit verläuft. Auch für die schlechteste Prognose gibt es immer einen kleinen Prozentsatz von Patienten, die überleben. Sagen wir: Es sind zwei von zehn. Wir wissen nie, wer diese zwei sein werden - und deshalb müssen wir allen eine Therapie ermöglichen.

STANDARD: Welche Rolle haben Juristen bei Patientenverfügungen?

Ploier: Ärzte behandeln und erhalten Leben, Juristen stehen hinter dem Patienten und achten, dass sein Wille eingehalten wird. Es gibt das Recht auf Selbstbestimmung, auch gegen den Willen des Arztes.

Petutschnigg: In dieser Hinsicht brauchen Ärzte eine bessere Ausbildung. Die Patientenverfügung ist erst zwei Jahre alt, noch gibt es kaum Fälle in der Praxis. Ärzte müssen sich aber schon jetzt damit auseinandersetzen, auch im Studium, bei Fortbildungen. Da passiert derzeit viel zu wenig.

STANDARD: Weil daraus auch Haftungen entstehen?

Ploier: Das ist heute noch sehr schwer zu beantworten, da es noch kein Urteil vom Obersten Gerichtshof gibt. Dafür muss aber erst einmal eine Situation entstehen. Etwa: Verwandte, die einklagen, dass ein Arzt sich an eine Patientenverfügung gehalten hat und die Therapie abgebrochen hat, obwohl der Patient noch am Leben bleiben wollte. Momentan gibt es so einen Präzedenzfall noch nicht.

STANDARD: Wem empfehlen Sie eine Patientenverfügung?

Ploier: Jedem, der im Fall des Nicht-mehr-selbst-bestimmen-Könnens noch Einfluss auf seine Behandlung nehmen möchte.

STANDARD: Prinzipiell stimme ich zu, aber ich möchte zu bedenken geben, dass kein Mensch im Vorhinein wissen kann, wie er sich in Ausnahmefällen - und das kann eben auch eine schwere Krankheit sein - verhalten wird. Wenn es um Leben und Tod geht, dann treffen Menschen Entscheidungen, die sie sich als Gesunde niemals vorgestellt hätten.

Ploier: Wichtig ist, dass in der Patientenverfügung eine Widerrufsmöglichkeit integriert ist. Jeder kann sie zu jedem Zeitpunkt durch dementsprechende Worte oder Gesten außer Kraft setzen, auch ohne juristischen Beistand.

STANDARD: Wie aufwändig ist die Errichtung einer Patientenverfügung?

Ploier: Nach einem umfassenden Aufklärungsgespräch wird der Jurist eingeschaltet. Das Procedere wird alle fünf Jahre wiederholt. Anlaufstellen sind Patientenanwaltschaften, spezialisierte Ärzte und Anwaltskanzleien/Notare. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.10.2008)