Beton, Stahl, Glas, 2008Sonia Leimers Befragung der neuen Bahnhofsarchitektur "Nord" von Albert Wimmer.

Foto: Fluc/Sonia Leimer

Anna Artakers Personenalphabet (2008, Plakat-Installation) und Michael Gumholds Traversen-Konstrukt ohne Titel (2008).

Foto: Fluc/Sonia Leimer

Blick von der Fluc-Terrasse auf Michael Gumholds Traversen-Konstrukt ohne Titel, Sonia Leimers Buchstaben-Installation im Hintergrund.

Foto: Fluc/Sonia Leimer

Die Ausstellung "Local Strategies – Urban Signs" zeigt Kunst im öffent lichen Raum: Auf der Fassade und am Vorplatz des Wiener Flucs, am Praterstern und darüber hinaus

Am einen Ende noch nicht einmal fertig gestellt, bröckelt er am anderen schon wieder. Die Bautätigkeit am Wiener Praterstern und die ständige Besitznahme dieses Verkehrsknotenpunktes durch PassantInnen steht für ein urbanes Phänomen, dem das Fluc vor Ort mit Kunst im öffentlichen Raum begegnet. Urban Signs – Local Strategies heißt die Ausstellung an den Fassaden des Kulturzentrums in der Leopoldstadt, das sich im urbanen Nirgendwo zwischen der grünen Lunge Wiens, ständigem Stop-and-Go-Verkehr und einer Menge Stahl, Glas und Beton angesiedelt hat.

Text/Bild-Beziehungen

Um Beton, Stahl, Glas, 2008 geht es auch in jener als Schriftzug zwischen der Architektur des Flucs und der des neuen Bahnhofs "Nord" installierten Arbeit ohne Titel. Die Künstlerin Sonia Leimer verwendet dabei Mietbuchstaben, um auf den Neubau des Architekten Albert Wimmer zu reagieren und ihn durch eine typografische Intervention mit Versalien zu verdoppeln. Der Blick von der Terrasse dieses Veranstaltungsortes be-schreibt, was man ohnehin sieht: Die Überlagerung von Bild und Text, Text und Bild äußert sich bei der Betrachtung der überdimensionalen Lettern in einem Flackern des Blicks zwischen dem Original und seiner schriftlichen Repräsentanz.

"Was mich besonders gereizt hat an diesem Projekt", so die aus Meran stammende und in Wien lebende Künstlerin, "ist die Tatsache, dass die Buchstaben aus der Werbung, also aus dem öffentlichen Raum stammen und durch künstlerische Umdeutung wieder ihren Weg in den öffentlichen Raum finden." Es ist zwar kein blinkender Neonschriftzug, auch keine Leuchtreklame, die konzeptuelle Wort-Kunst jedoch bewirbt die Konzentration auf die eigene Wahrnehmung. Detail am Rande: Die Installation wird schon nach einem Monat wieder abgebaut, weil die Miete für die Buchstaben die Projektkosten sonst sprengen würden. "Dass sie nach diesem Monat wieder zu einer ganz anderen Bedeutung kommen, finde ich gut", so Leimer, "weil diese Bewegung ein zusätzliches poetisches Moment erzeugt und den zeitlichen Aspekt der Arbeit unterstreicht."

Kohärente Zeichenfolgen

Mit Plakaten übersäten temporären Architekturen, wie sie bei Baustellen häufig in Form von provisorischen Stellwänden und Absperrungen vorkommen, beschäftigen sich zwei weitere Arbeiten auf den Außenwänden des Fluc. Anna Artakers Plakatinstallation Personenalphabet etwa lässt PassantInnen Porträtbilder von mehr oder weniger bekannten Menschen lesen. Historische Persönlichkeiten wie Sigmund Freud, Anne Frank oder so unterschiedliche ZeitgenossInnen wie Elfriede Jelinek, Iggy Pop und Barack Obama können aber nur als kohärente Zeichenfolge dechiffriert werden, wenn sich das Medienwissen der Künstlerin mit dem der BetachterInnen deckt. Roland Barthes Thesen über den "Tod des Autors" werden bei dieser Aneinanderreihung medialer Versatzstücke – im wörtlichen Sinn – ins Bild gesetzt. Text – im übertragenen Sinn – entsteht bei jeder Betrachtung wieder von Neuem, also im Hier und Jetzt des Pratersterns.

Als Gegenpol zu Artakers schriftlosen Plakaten befindet sich auf der straßenseitigen Fassade des Fluc die Installation Structure Alloy von Lucie Stahl. Mit dem Slogan "pro choice! why do you ask?" blinzelt die Künstlerin mit Comic-Augen von der hellblauen Mauer den AutofahrerInnen zu. Die Plakatdichte in Wien ist hoch. Während jedoch die kommerziell genutzen Plakatflächen immer dominanter werden, verschwindet alternative Kulturwerbung zusehends aus dem öffentlichen Raum. Die Künstlerin bearbeitet dieses von MonopolistInnen herbeigeführte Ungleichgewicht, das im gesamten Stadtgebiet durch ein grau hinterlegtes "Plakatieren verboten" seit längerem öfffentlich gemacht wird.

Strukturelle Signale

Ebenfalls an den Außenwänden des Fluc sind zwei Soundinstallationen zu sehen und hören. David Moises kinetische Installation Volume Unit Meter benutzt die – durch Fahrzeuge, Menschenmengen und Baumaschinen komponierte – Soundlandschaft am Praterstern, um sie in visuelle Signale umzusetzen. Ein überdimensionales Drehspulinstrument – eine Pegelsteuerung – verwandelt diese strukturellen Eigenschaften des öffentlichen Raums in einen Indikator weltstädtischer Mobilität. Jedes Ausschlagen der Nadel ist ein Beweis für die Lebendigkeit urbaner Strukturen.

Nicht als Readymade verwertet Boris Ondreicka Sound in der Installation Ding Dong Band – Stand Under. In einem umgekehrten Prozess schickt er via Ton eingespielte Sprachcollagen in den öffentlichen Raum und thematisiert dabei Übergangssituationen. Bewusst an der Fußgängerampel zum Wurstelprater platziert spielt der Künstler mit der Aufmerksamkeit der PasantInnen. Beim Warten auf die nächste Grünphase und somit auf den Eintritt in die patinierten Erlebniswelten von Geisterbahn, Karussell und Spiegelkabinett lotet Ondreicka die Grenzen zwischen Individuum, instinktiven Handlungsabläufen und dem Außenraum aus.

Kontextuelle Verschiebung

Übergangsphänomene vom Außen- in den Innenraum, also der Transfer vom Öffentlichen zum Privaten, ist auch das Thema bei Michael Gumholds namenloser Skulptur. So genannten Traversen, in der Veranstaltungstechnik gängige Hilfskonstruktionen, markieren den Übergang vom Bahnhofsvorplatz in den Innenraum des Flucs. Dieser fünf Meter hohe Bogen aus hölzernen Verstrebungen und Metallketten spielt auf unterschiedlichen Ebenen mit dem Kontext der Ausstellung: Die Konstruktion des Riesenrads findet sich darin genauso wie die am Praterstern gängige Baustellenarchitektur. Selbst die Veranstaltungstätigkeit des Flucs wird in Form des skulpturalen Objekts aufgenommen und lädt BetrachterInnen ein, sich dem Musikprogramm des Kulturzentrums zu widmen.

Das KuratorInnen-Team der Ausstellung Local Strategies – Urban Signs, bestehend aus Ursula Maria Probst, Walter Seidl und Martin Wagner, versteht Kunst als "explizite und notwendige Intervention im sozialen und öffentlichen Raum". Dass sie sich bei der Inszenierung einer solchen Gegenkultur auf die Schnittstellen zwischen Architektur, semiotischen Systemen und Sprache stützen, zeugt für die Rhythmik dieses Knotenpunktes im Wiener Alternativprogramm. Denn wo in Wien, wenn nicht im, am und um das Fluc herum würde ein solches Konzept gegen die Verflachung urbaner Vielfältigkeit aufgehen? (fair, derStandard.at / 27.10.2008)