Schwere Objekte wie die Erde krümmen die Raumzeit und verdrehen sie durch ihre Rotation auch noch. Das scheint nun bestätigt zu sein.

Foto: NASA

Wien - So ganz leicht tut sich unser Vorstellungsvermögen damit nicht, was die Wiener Physiker Hans Thirring und Robert Lense vor 90 Jahren behaupteten: Mithilfe von Einsteins wenige Jahre zuvor formulierter Relativitätstheorie sagten sie voraus, dass rotierende Körper mit entsprechend großer Masse Raum und Zeit verdrehen und einander dadurch beeinflussen können.

Was jahrzehntelang Theorie blieb, dürfte sich nun nach jahrelanger Arbeit an einem höchst aufwändigen Experiment tatsächlich nachweisen lassen. Wenn es stimmt, handelt sich dabei wohl um eine der spektakulärsten Bestätigungen der Relativitätstheorie.

"Nach der klassischen Physik, mit der man vor Einstein die Planetenbahnen berechnete, ziehen sich Massen einfach nur an", sagt Helmut Rumpf, Professor für Gravitationsphysik an der Uni Wien. Gemäß Einsteins Theorie ist Gravitation aber komplizierter: Der Raum zwischen den Himmelskörpern ist nicht einfach nur "leer": Raum und Zeit selbst können gedehnt und gestaucht werden. Massive Objekte, etwa Sterne oder Planeten, verbiegen die Raumzeit - ähnlich wie schwere Kugeln ein darunter gespanntes Tuch.

Auch die Rotation eines Planeten wirkt sich auf seine Umgebung aus. "Man kann sich das vorstellen wie eine Kugel, die in einer zähflüssigen Substanz rotiert", sagt Rumpf: "Die Flüssigkeit wird rund um die Kugel mitgezogen. Auf ähnliche Weise verdreht ein rotierender Körper Raum und Zeit."

Bereits im Jahr 1918 gelang es Hans Thirring und Robert Lense, mittels Einsteins Formeln diesen Effekt zu berechnen.

Bald wurde darüber nachgedacht, wie man den nach ihnen benannten Effekt nachweisen könnte. In den Sechzigerjahren nahm sich die Nasa dieser Sache an, doch erst 2004 gelang es, den Satelliten "Gravity Probe B" zur Erforschung des Thirring-Lense-Effektes in die Umlaufbahn zu bringen - Kostenpunkt: 700 Millionen Dollar).

Fast ein Jahr lang umkreiste "Gravity Probe B" die Erde. Im Satelliten rotierten, frei gelagert, die präzisesten Kreisel, die je gebaut wurden. Nach der Theorie sollte die Rotation der Erde einen winzigen aber doch messbaren Einfluss auf die Rotationsrichtung der Kreisel haben. In einem Jahr sollte sich ihre Drehachse um 0,04 Bogensekunden verschieben - das ist der Winkel, der sich einem Betrachter eines Haares aus 500 Metern bietet.

Die Auswertung der Messdaten erwies sich als extrem schwierig. Alle anderen Störungen, die auf die Kreisel wirken konnten, mussten erst aus den Messergebnissen herausgerechnet werden.

Vor wenigen Tagen wandte sich Francis Everitt, der seit den Sechzigerjahren am Nachweis des Effektes arbeitete, an die Scientific Community - und zwar in Wien, wo dieses Rätsel seinen Ausgang genommen hatte: Die korrigierten Messergebnisse stimmen mit der Theorie gut überein. Für Rumpf ist klar: "Dass der Thirring-Lense-Effekt so bestätigt werden konnte, ist eine Sensation, die weltweit für Aufsehen sorgen wird." Noch fehlt allerdings die Publikation dazu. (Florian Aigner/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25./26. 10. 2008)