Die Wiener Illustratorin, Kolumnistin und Filmemacherin Andrea Maria Dusl legt mit "Boboville" ihren ersten Roman vor; eine autobiografisch eingefärbte, hochkomische literarische Untersuchung des Bobotums.

Foto: Heribert Corn

Andrea Maria Dusl, "Boboville" , € 19,00 /212 Seiten, Residenz Verlag, St. Pölten, 2008

Cover: Residenzverlag

Zum Stichwort "Bobo" verzeichnet der US-amerikanische Autor David Brooks in seiner selbstverständlich passend zu dieser bis Ende der 1990er-Jahre in Zentraleuropa weitgehend unbekannten Lebensform im Googleland gefundenen Studie Die Bobos. Der Lebenstil der neuen Elite 2002 folgende Definition: "Der Lebensstil der Bobos führt zusammen, was bisher als unvereinbar galt: Reichtum und Rebellion, beruflicher Erfolg und eine nonkonformistische Haltung, das Denken der Hippies und der unternehmerische Geist der Yuppies. Der ,bourgeoise Bohemien‘ ist ein neuer Typus, der idealistisch lebt, einen sanften Materialismus pflegt, korrekt und kreativ zugleich ist und unser gesellschaftliches, kulturelles und politisches Leben zunehmend prägt."

Dass die Bobos mittlerweile in Österreich speziell in zentralen Wiener Bezirken in Naschmarktnähe wie Wieden, Margareten, Mariahilf und Neubau Einzug gehalten haben und eine junge Außenstelle jenseits des Donaukanals um den Karmelitermarkt errichtet haben, spricht nicht nur dafür, dass sich Bobos gern gesund mit sehr gern auch aus Übersee eingeflogener Feinkost ernähren. Auch der Begriff der Gentrifizierung, der gesellschaftlichen "Aufwertung" heruntergekommener Stadtviertel durch den Zuzug von kreativem Prekariatsvolk und damit einhergehend bald auch mit frischem Geld, ist mit den Bobos ursächlich verbunden.

Die Wiener Illustratorin, Kolumnistin, Filmemacherin und jetzt auch Autorin Andrea Maria Dusl taucht mit ihrem ersten Roman nicht nur tief in ihre Autobiografie. Anhand ihres eigenen unsteten Lebenswegs schildert Dusl in Boboville auch jene Szene, die von ihr von den 1990er-Jahren herauf entscheidend mitdefiniert wurde.

Ursache und Wirkung schwingen sich hier aufs schicke Retro-Waffenrad und brausen die Gumpendorfer Straße hinab ins Trendsportlokal Phil. Dort wohnen nicht nur andere, einschlägig bekannte Star-Bobos wie Daniel Kehlmann, Tex Rubinowitz oder der Romancier, der so ähnlich heißt wie die neue Chefin der österreichischen Grünpartei. Weil Schreibblockaden oder Kreativflauten, niemals aber der Schmäh den Weg zum Ausgang verstellen, wohnt dort mitten im oft schon am Nachmittag startenden Nachtleben auch die Anekdote.

Andrea Maria Dusl bewegt sich im ewigen Hin und Her und im kunstvollen Leid an der eigenen biografischen Last auf diesem Minengebiet zwischen Kunst und Zote mit großer Grandezza.

Aber lassen wir doch auch Dusl selbst kurz das Bobowesen selbstbiografisch erläutern: "Das Bonbongeschäft und die Klosterburg. Sie sind Jachin und Boas von Boboville. Zwischen den beiden salomonischen Säulen spannt sich der Bogen auf, dessen Schwellensehne der Boboismus ist: Das bonbonhafte Glück der Aufklärung und das klerikale Schuldgefühl den Unterbelichteten gegenüber. Das ist das ganze Wesen der Bobovillains. Der Gazpacho aus bohemienhaftem Objektglück und bourgeoisem Schuldgefühl."

Neben den wenigen Hektar verbautem Boboglück und -elend im Wiener Zentrum spielt in einem historischen Vorgriff natürlich auch noch die damals noch gar nicht gentrifizierte Downtown von New York unter besonderer Berücksichtigung des dortigen Delikatessengeschäfts Katz's vor 20 Jahren eine entscheidende und sehr lustige Rolle.

"Breihenmehs Gitarre"

Dusl, das hat sie mit manischen Sammlerkollegen wie Tex Rubinowitz oder Hermes Phettberg gemein, trägt in ihrem speziellen Fall eine fetischisierte Neigung zu elektrischen Gitarren und zur Operettenrockgruppe Queen ("Freddie Mercury und Breihenmehs Gitarre") in sich. Das führt zu einer der komischsten Passagen im Buch. Und selbstverständlich muss auch das Böse im Menschen ab und zu raus.

Gentrifizierung klingt ziemlich eindeutig so: "Das Bersten der Ziegel, das Knallen der Gerüstrohre, das Kreischen der Sägeblätter erfüllt den Bobovillain mit einem wohligen Schauer. Lärm ist ure. Es geht weiter. Es wird besser. Die Stadt richtet sich auf. Im Frühstücksgedächtnis der Bobovillains ist das morgendliche Hämmern und Klopfen, das Knattern von Dieselaggregaten und das elektrische Singen hebender Kräne ein musikalisches Leitmotiv der Stadtgesundheit." (Christian Schachinger, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 25./26.10.2008)