Love or destruction? - Ex-Grünen-Chef Alexander Van der Bellen und seine Nachfolgerin bei der Amtsübergabe.

Foto: STANDARD/Fischer

Sehr geehrte Frau Präsidentin Glawischnig, Ich darf Ihnen als Dritter Nationalratspräsidentin antworten, als die Sie mir in einem persönlichen Schreiben an mich Ihr Erstaunen und Ihr Befremden über meine im STANDARD formulierte "harte Kritik" zum Ausdruck bringen.

Zur Klarstellung vorweg: Keineswegs lehne ich Sie "als Person in der Politik" oder für Spitzenpositionen ab; nur als wahlwirksame Nachfolgerin Alexander van der Bellens. Der Kommentar war keine "Analyse" eines "seriösen Experten", sondern ein Warnruf eines einfachen Bürgers, der gelegentlich grün wählte und wie jeder gerne mehr wählbare Optionen hätte.

Die Annahme, die Grünen könnten ein Drittel bis die Hälfte an Stimmen einbüßen, deckt sich im Übrigen mit der von Christoph Chorherr, bereits 2008 wären es ohne VdB allenfalls 7 Prozent geworden. Es könnten noch weniger werden, wenn die Großkoalitionäre nicht im alten Stil weiter tun. Gerade ich, als leider bewährte "Kassandra", würde mich gerne irren.

Auch Intellektuelle irren, sind emotional, mitunter voreingenommen, idiosynkratisch und ungerecht - wenngleich wir unsere Vorurteile zumindest zu reflektieren suchen. Ihre Parteigänger kritisierten vermeintliche "Geschlechterstereotypen", obschon ja nicht Sie, sondern die Herren Voggenhuber und Stadler als "hysterisch" und Männer wie Strache und Westenthaler als "dauererregte" Hechler dem "souverän gelassenen" und daher sympathischen VdB gegenüberstellt waren.

Nur Zitate

Auch große Intelligenz und hohe Kompetenz, die ich Ihnen zubillige, sind kein Sympathievorteil in Wahlkämpfen, wie hochintelligente und geschätzte Politiker von Busek bis Schüssel und Gusenbauer, oder die Grünen Chorherr, Pilz, ja auch Voggenhuber zeigen.

Sie waren "fassungslos" ob der "herabwürdigenden Wortwahl", die ich nur widerspruchslos widergab: Nie würde ich Sie macho-dumm als "schöne Eva" titulieren. Ich zitierte bloß Ihre Proponenten von Fellner bis Jeannée - und Ihre Gegner/innen gerade unter grünen Wechselwählerinnen. Die erfragten Schattenseiten Ihres Images dürften Sie freilich gekränkt haben, was ich in Kauf nahm und daher bedauere.

Manche Ihrer Anhänger riefen in den Internetforen nach Zensur oder gleich nach Beseitigung des Kritikers. Das ist illiberal, traurig autoritär, aber leider nicht erstaunlich. Ungenierter Sexismus und Altersdiskriminierung: "widerwärtig, dieser Führerkult um die alten Männer, die loben sich lieber selber hoch, als dass sie Platz für Jüngere machen", "Solidaritätsgeste von Old Boy zu Old Boy", "ein Silberrücken lobt den anderen", "ergraute Zellen, mit dem täglichen Leben und jüngeren Frauen überfordert", VdB als "alt, mürrisch, ungeduldig", "fader alter Tiroler", etc.

Leider habe ich Sie nicht ein einziges Mal öffentlich altersdiskriminierenden (und männerfeindlichen) "Herabwürdigungen" von VdB entgegentreten gesehen: wäre "alte Schachtel" für die Grande Dame Meissner-Blau so unwidersprochen geblieben wie "alter Schnarchsack" durch die "Krone"? Und hätte man daran nur die Frauenverachtung, oder auch der Altenhass angeprangert? Offenbar ist "Ageism", anders als andere Formen des Rassismus, die einzige weiterhin geduldete Form von Diskriminierung, auch unter Grünen.

Frau Glawischnig, Sie kommen aus der zweiten Heimat des verunglückten Kärntner Landeshauptmanns, auch aus seinem Herkunftsmilieu, aus dem Sie sich - wie etwa auch Heide Schmidt und im Gegensatz zu Haider - eindrucksvoll befreien konnten. Das verdient großen Respekt. Doch im Gegensatz zu dem weithin beliebten, ja geliebten Jörg Haider ist eine emotionale Bindung der Wähler/innen rechts und links der Mitte nach Kreisky und Androsch nur ganz selten gelungen, zuletzt Landeshauptmann Pröll und Bundespräsident Heinz Fischer. Bei den Grünen, sehr weit über ihre Wähler/innen hinaus, allein Sascha Van der Bellen.

Ihn und dieses von ihm verkörperte, höchst kostbare Vertrauens- und Sympathiekapital "öffentlich derart zu demolieren", gerade seitens gewisser Grüner, war politisches Harakiri. Auch Sie haben ein paar Tage nach Amtsübergabe durch halblustig-hämische Empfehlungen zur "Nachtschicht" an Ihren Mentor und Erblasser Groll als undankbare, unwürdige Nachfolgerin auf sich gezogen - ich formulierte nur, was viele so empfanden.

Sie haben nach Ableben des LIF und Haiders dennoch eine letzte gute Chance, nämlich wenn der Selbstzerstörungs-, ja Todestrieb der ehemaligen Großparteien anhalten sollte und sie die jetzigen Chancen zu Trendumkehr, Erneuerung, Wiederbelebung, die besten seit Jahrzehnten links und rechts, nicht nutzen könnten. Denn viele wünschen, angesichts der schwersten Krise seit 1945, wirklich eine "große Koalition neu". Doch wer glaubt, dass mit Herrn Neugebauer und ohne einen kompetenten, eher modernen - und vor allem den einzigen populären - Sozialpolitiker auf der Linken, Erwin Buchinger ein neuer Aufbruch signalisiert wird?

Würdelose Verabschiedung

Und wer glaubt, dass irgendeinem anständigen - stockkonservativen, bürgerlich-liberalen oder gar linken - Wähler irgendein Mandatar jemals wieder wählbar wäre, der als Ihren Nachfolger, Frau Nationalratspräsidentin, Herrn Martin Graf (der Ehre als Treue zur Burschenschaft "Olympia" als "Lebensbund" versteht, dem man beitreten, aber trotz aktenkundigen Extremismus nie mehr verlassen könne, und der doch kein Nazi-Sympathisant sein will) seine Stimme für eines der höchsten Ämter der Republik geben wird?

Möglicherweise bleiben Sie, Frau Glawischnig, für manche angesichts der schlawinerhaften Schlitzohrigkeit, mit der sich zahlreiche Mandatare von SPÖ und ÖVP ihren Tribut an künftige Zusammenarbeit mit der FPÖ heute schönreden und zusammenlügen, als einzige wählbare Alternative übrig. Das wäre sehr zu bedauern: wegen der politische Hygiene des Landes; seiner Reputation im Ausland, das fassungslos über solch parlamentarisches Brauchtum ist; wegen seiner großen, angeblich "staatstragenden" politischen Parteien; und wegen des Mangels an Wahl-Alternativen. Aber kaum ein liberaler Wechselwähler würde zögern, Sie unter solchen Umständen dennoch zu wählen.

Denn gerade wer kein Grüner, aber empfindlich gegen NS-Nostalgie rechts außen und Europa-Kannibalismus links und rechts ist, will die Grünen stärker, nicht schwächer sehen. Sie sind meist keine politische Heimat, aber fallweise rettendes Asyl in Not, wenn es andere Parteien allzu schamlos treiben. Kann man da teilnahms- und leidenschaftslos zusehen, wie der Garant ihrer Glaubwürdigkeit, Wählbarkeit und Sympathie, Alexander van der Bellen, würdelos verabschiedet wurde? (Bernd Marin/DER STANDARD, Printausgabe, 22.10.2008)