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Colorado: 2004, als Bush Kerry bezwang, schaffte in einer Art Gegenbewegung der Demokrat Ken Salazar den Sprung in den US-Senat.

REUTERS/Rick Wilking

Denver/Washington - Der Anblick kommt überraschend. Eine Straßenbahn rattert durch die staubbraune Prärie, vom Zentrum Denvers mit seinen in der Sonne blitzenden Glastürmen zu den Vororten, die bis zu fünfzig Kilometer weit draußen liegen. Alameda, Arapahoe, Dry Creek - es dauert eine Ewigkeit, bis die "Ride" die Endstation erreicht. Noch steckt sie in den Kinderschuhen. Erst in zehn, fünfzehn Jahren wird ihr Streckennetz so dicht sein, dass sie eine echte Alternative zum Auto bietet. Dennoch, es gibt nur wenige amerikanische Städte, die derart konsequent auf die Tram setzen. Dass ausgerechnet Denver vorangeht, die Stadt der Cowboy- und Viehmarkt-Stereotypen, zeigt nur, wie veraltet Klischees manchmal sind.

Ähnlich verhält es sich mit Colorado. Der Name lässt an Rocky Mountains, Bergwerke und Skihütten denken. Aber das Gros der Einwohner lebt in einem urbanen Gürtel, der sich über mehr als 200 Kilometer von Nord nach Süd zieht, von Fort Collins bis nach Colorado Springs. Dort haben sich seit 1990 hunderttausende von Zugewanderten niedergelassen; ruhebedürftige Kalifornier aus der hektischen Metropolis Los Angeles ebenso wie junge Computerfreaks, die der Hightech-Boom des letzten Jahrzehnts lockte. Hinzu kommen Hispanics, die inzwischen ein Fünftel der Bevölkerung stellen.

Wie die Würfel fallen, lässt sich in einer Region, die dermaßen im Fluss ist, nur schwer vorhersagen. Lange Zeit dominierte in Colorado die typische Philosophie des amerikanischen Westens, getragen von dem Grundgedanken, dass der Staat die Nachfahren hemdsärmeliger, abenteuerlustiger Siedler gefälligst in Ruhe lassen möge. Zudem haben erzkonservative Christen in Colorado Springs eine ihrer Bastionen errichtet. Dort residiert "Focus on the Family", gegründet vom Pfarrer James Dobson, eine Organisation, die gegen das Recht auf Abtreibung kämpft.

Neuerdings aber ist es die Democratic Party, die politisch vom Zuzug nach Colorado profitiert. 2004, als Bush Kerry bezwang, schaffte in einer Art Gegenbewegung der Demokrat Ken Salazar den Sprung in den US-Senat. 2006 wurde Salazars Parteifreund Bill Ritter zum Gouverneur gewählt. Zugute kam der Partei mit dem Eselsmaskottchen, dass in den Reihen ihrer Rivalen ausgesprochene Hardliner den Ton angaben.

Paradebeispiel ist Tom Tancredo, ein republikanischer Kongressabgeordneter, der für den Fall eines Terroranschlags empfahl, Bomben auf Mekka und Medina zu werfen. Als unnachgiebiger Gegner einer Einwanderungsreform, die illegale Immigranten aus der Grauzone holen sollte, verspielte sich Tancredo bei den Hispanics Sympathien.

Kein Zufall jedenfalls, dass die Demokraten ihren Präsidentschaftskandidaten in der Stadt am Fuße der Rockies nominierten. Im Westen wollen sie verstärkt Flagge zeigen und den Hebel ansetzen, um die politische Landschaft der USA auf lange Sicht zu verändern. Colorado gilt dabei als aussichtsreichster Testfall. (Frank Herrmann/DER STANDARD, Printausgabe, 22.10.2008)