"Was sollen zwei Schwarze am Sonntag machen?" :Jo' (Tracey Heggins, li.) und Micah (Wyatt Cenac) im Museum of African Diaspora.

Foto: Viennale

Stadtansichten, die das Kino prägt: Steve McQueens rasende Autofahrt hügelauf, hügelab in Bullitt, Jimmy Stewart wiederholt unter der Golden Gate Bridge in Vertigo, Barbra Streisand in Slapstick-Turbulenzen in Is was Doc? Oder im Fernsehen natürlich: Heller und Stone In den Straßen von San Francisco. Neben New York und Los Angeles, dessen Wechselbeziehung zum Kino man derzeit im Filmmuseum zu sehen bekommt, ist San Francisco wohl die dritte US-Metropole, deren Realität im Rest der Welt hartnäckig von Filmbildern überlagert wird.

Welchen Einschränkungen man dabei unterliegt, das merkt man erst, wenn dann ein Film wie Medicine for Melancholy auftaucht und den Blick auf ganz andere Orte freigibt: urbane Räume wie Kunstgalerien oder die Anlage des Museum of African Diaspora;ein überfüllter Indie-Club oder ein Mini-apartment in einer Gegend, in der sich Bürgerinitiativen im Kampf gegen Spekulation, Mietfreigaben und die gezielte Vertreibung einkommensschwacher Bewohner noch nicht geschlagen geben wollen. Orte und Milieus, die einander wechselseitig hervorbringen, sind hier die Schauplätze eines zu zweit verbrachten, faulen Tages.

Medicine for Melancholy beginnt an einem Sonntagmorgen. Ein Mann und eine Frau, zwei Twentysomethings, verlassen ein fremdes Haus. Am Vorabend hat man dort gefeiert, die beiden haben die Nacht miteinander verbracht, sind übermüdet und vom Restalkohol gezeichnet. Sie will schnell weg, er stellt hartnäckig Fragen. Sie wird ihn nicht los, er bringt sie zum Lachen - aber auch zur Verzweiflung.

Denn im Unterschied zu Jo' (Tracey Heggins) beharrt Micah (Wyatt Cenc) darauf, dass ethnische Zugehörigkeit in den USA immer noch als Leitdifferenz fungiert - selbst wenn man sich als hipper gebildeter Stadtbewohner mit Umhängetasche auf dem Fahrrad frei durchs Gelände und vermeintlich völlig durchlässige Soziotope bewegt.

Der junge US-Regisseur Barry Jenkins, Absolvent der Filmschule von Miami, dann eine Zeitlang Mitarbeiter von Oprah Winfreys Produktionsfirma in L.A., stellt mit Medicine for Melancholy sein Langfilmdebüt vor. Beim San Francisco Filmfestival hat er damit den Publikumspreis gewonnen. Was man getrost als Indiz dafür nehmen kann, dass hier einer einen Nerv getroffen hat mit seiner Reflexion einer Stadt und ihrer Bewohner.

Was seinen Film so ungewöhnlich macht, ist die Tatsache, wie das klassische Narrativ vom Jungen, der ein Mädchen trifft, es verliert und wieder findet, hier mit äußerer Realität interagiert - wie etwa mit dem demografischen Befund, wonach der Anteil der Afroamerikaner an der Gesamtbevölkerung von San Francisco nur noch sieben Prozent beträgt. Oder mit dem Umstand, dass auch Subkulturen nur oberflächlich ethnische Durchmischung praktizieren.

Dass dies alles überhaupt nicht bemüht und thesenhaft wirkt, dass es hier auch lustig zugeht, dass Jenkins, der sich auf Vorbilder wie Claire Denis oder Lucrezia Martel beruft, und sein Kameramann James Laxton dieser Geschichte nicht zuletzt eine ganz eigene visuelle Note geben - braucht es noch mehr Argumente, um sich Medicine for Melancholy anzusehen? (Isabella Reicher, SPEZIAL - DER STANDARD/Printausgabe, 21.10.2008)