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Kraftwerk waren Pioniere in der Vermählung verschiedener elektronischer Genres.

Foto: REUTERS/Mario Anzuoni

Gerhard Daurers Fachhochschul-Diplomarbeit "add.value" macht es sich laut Untertitel zur Aufgabe, einen Überblick derjenigen Verknüpfungen zwischen visuellen und akustischen Attributen zu geben, die sowohl in der Erfassung als auch in der Gestaltung von audiovisuellen Kunstprojekten eine wichtige Rolle spielen. Vor dem konkreten Hintergrund österreichischer elektronischer Experimentalmusik - die sich ja speziell seit der letzten Hälfte der 90er Jahre international einen großen Namen geschaffen hat (zum Beispiel im Dunstkreis des Wiener Lokals Rhiz und des lokalen "Mego" Labels) - ist dies ein höchst interessanter Versuch einer theoretischen Annäherung an eine wichtige Rubrik heimischen zeitgenössischen Kunstgeschehens.

Synästhesie

Das zentrale Schlagwort in Daurers Text ist das der "Synästhesie," also des sich gegenseitig bedingenden Zusammenspiels von Bild und Ton. Der Begriff hat eine lange, verworrene Geschichte, und hat im Laufe der Jahrhunderte eine Reihe verschiedener, teils gegensätzlicher Bedeutungen angenommen. Diese reichen von der individuellen, subjektiven Assoziation bestimmter Töne mit bestimmten Farben oder geometrischen Formen (wie sie in der Neurologie und Psychologie erforscht wird) bis zu vorgeblich allgemeingültigen ästhetischen Systemen von Bild-Ton-Analogien (aufgestellt zum Beispiel von Sir Isaac Newton und Luis Bertrand Castel). Im ersten Teil seiner Arbeit verfolgt Daurer diese lange Geschichte der Synästhesie bis in ihre ausufernden Nebenzweige, fasst sie eloquent zusammen, und bringt sie in Bezug zu jüngeren ästhetischen und wissenschaftlichen Entwicklungen, welche im zweiten Teil der Diplomarbeit besprochen werden. Danach diskutiert der Autor einige zeitgenössische künstlerische Positionen vor dem Hintergrund synästhetischer Problemstellungen, und stellt zum Abschluss zwei eigene Projekte vor, die sich kreativ mit der kritischen Verknüpfung von visuellem und akustischem Material auseinandersetzen.

Vom Farb-Cembalo über den Bauchredner zur Lichtorgel

In der Welt der bildenden und darstellenden Künste hat die Idee des harmonischen Zusammenspiels von Bild und Ton seit jeher eine große Faszination ausgeübt. Sowohl Maler als auch Musiker versuchten sich daher wieder und wieder in der Kunst, des Menschen verschiedene Sinne zu verschmelzen - Versuche, die auf dem Weg zum zeitgenössischen VJ (video jockey), zur Lichtorgel, und zur popmusikalischen Visualisierung vermittels Laser und Scheinwerferwänden teils skurrile Blüten trieben. Auf der Grundlage der Annahme, dass sich "visuelle und akustische Reize in der Wahrnehmung gegenseitig beeinflussen und zu vielfältigen Assoziationen und Vorstellungen anregen," illustriert Daurer anhand einer Vielzahl solcher künstlerischen Versuche, "nach welchen Regeln diese Einflussnahmen ablaufen und wie sie in der bisherigen künstlerischen Produktion zur Anwendung gebracht wurden".

Wissenschaftlicher Überblick über die Synästhesie-Forschung

Dabei kommt auch die ernsthaftere Forschung nicht zu kurz - immerhin hat das Phänomen der Synästhesie nun schon seit Jahrhunderten nicht nur Philosophen und Kunsttheoretiker, sondern auch Wissenschafter in den Gebieten der Gehirnforschung, Psychologie und Physik beschäftigt. In seinem wissenschaftlichen Überblick baut Daurer auf die Erkenntnisse des Synästhesie-Spezialisten Michael Haverkamps, dessen Theorien zu den Verknüpfungsmöglichkeiten multimodaler Wahrnehmungseindrücke (in "Synästhetische Wahrnehmung und Design", 2004) oft und ausführlich eingebunden werden. Darüber hinaus bleibt Daurers Korpus an Sekundärliteratur, obwohl höchst relevant und aufschlussreich, auf eine Reihe relativ bekannter, jüngst kanonisierter Namen zeitgenössischer und größtenteils deutschsprachiger Theoretiker beschränkt. Zudem treten Zitate hier oft als fast halbseitige Texteinschübe auf, die nicht immer im laufenden Text kontextualisiert sind. Das macht Daurers wissenschaftlich-historischen Abriss sehr interessant und wertvoll als ausführliche Quelle für weiterführende Texte, kostet ihm allerdings einiges seines Potenzials als eigenständige kritische Arbeit. Bei der schier unüberblickbaren Breite und Tiefe der relevanten Forschungsbereiche (sie reichen vom Erkunden der neuronalen Bahnen, welche das räumliche und zeitliche Sehen von Farben bzw. das Hören von Tönen ermöglichen, bis zur psycho-sozialen Erkenntnis, dass Linkshänder bessere Synästhetiker sind) muss man dem Autor allerdings für seinen gelungenen und umfassenden Überblick, der immer wieder mit anekdotenhaften Exkursen aufgelockert ist, höchst dankbar sein.

Zur Realisation des ästhetischen Potenzials von Bild-Ton-Verschränkungen

Nach seiner Bestandaufnahme der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Synästhesie wendet sich Daurer der weitaus spannenderen Aufgabe zu, die intensiven und emotionalen synästhetischen Erlebnisse zu erkunden, welche die konkrete Einbindung synästhetischer Effekte in die künstlerische Praxis ermöglicht. Auch hier folgt wieder ein einleitender historischer Abriss, und erst spät widmet sich der Autor dann dem faszinierendsten Thema seiner Diplomarbeit, nämlich der angewandten Synästhesie in der zeitgenössischen - zumeist österreichischen - Kunst. Hier, in der "elektronischen Kultur der 1990er-Jahre" findet nun die "vollständige Vermischung" der verschiedenen Anwendungsgebiete, "von Design zu Club-Kultur, von Medien-Kunst bis Kommerz" statt (42). Wie einleitend schon erwähnt, hat die heimische Kunstszene in dieser Hinsicht ja einiges zu bieten, und die kritische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Projekten, die in diesem Sinne in den letzten beiden Jahrzehnten eine internationale Vorreiterrolle eingenommen haben, ist jedenfalls willkommen zu heißen.

Vom "Gesamtkunstwerk" zur synästhetischen Techno-Party

Nach den unumgänglichen Verweisen auf die großen Avantgardisten wie Walter Ruttmann, Mary Hallock Greenewalt und natürlich Hans Richter stellt Daurer dann auch das höchst eindrucksvolle Werk von "Granular~Synthesis" vor - einer heimischen Künstlergruppe, welche nun schon seit geraumer Zeit (z.B. bei der Venediger Biennale 2001) die Idee der perfekten synästhetischen "Konzerterfahrung," die auch schon Wagner und Skrjabin vorschwebte, bis an die Grenze der körperlichen Desorientierung und des Brechreizes treibt. Weiters werden noch die Künstler Erich Berger sowie Billy Roisz/Dieb 13 kurz erwähnt.

Letztlich illustriert Daurer die Erkenntnisse seiner eigenen Synästhesie-Forschung anhand zweier eigener künstlerischer Projekte - den Computerprogrammen add.value und grain.gain. Beide basieren auf Open-source-Software und stehen somit einer breiten Forscher- bzw. Künstlerbasis zur Verwendung und Weiterbearbeitung zur Verfügung. Die Programme stellen eine Art von audiovisuellem Musikinstrument dar, bzw. ermöglichen das Generieren von Klang- und Bildfeldern unter Einbeziehung des jeweils "anderen" Sinnes - räumliches und physisches Vorstellungsvermögen, welches zumeist mit visuellen Reizen verbunden ist, hilft so zum Beispiel beim Komponieren und Arrangieren von Sound-Samples und Loops. Bei der Vorstellung von Daurers eigenen, durchaus eindrucksvollen Softwareprojekten macht sich allerdings ein logistisches Problem im Umgang mit der Synästhesie bemerkbar: man kann nur schwer über sie schreiben. Es muss in diesem Zusammenhang daher auf die der Diplomarbeit beiliegende DVD verwiesen werden, die für die vorliegende Rezension leider nicht eingesehen werden konnte.

Während alle Teile von Daurers Text in gleichem Masse hochinteressant sind, ist die Balance zwischen historischen Abrissen, theoretischen Erläuterungen und der Vorstellungen konkreter Kunstprojekte sowie eigenen Materials leider etwas holprig ausgefallen. Die historische Aufarbeitung des Begriffs Synästhesie nimmt einen allzu großen Teil der Diplomarbeit in Anspruch, und bezieht sich dabei auf relativ wenige Quellen, auf die allzu ausführlich verwiesen wird. Das wirkt sich sehr zu Lasten der letzten Kapitel aus, die so den unzähligen Verweisen auf Standardwerke von Weibel, Chion, et al zum Opfer fallen, und auf einigen wenigen Seiten nicht mehr als einen sehr guten Vorgeschmack österreichischer Medienkunst sowie Daurers eigener kreativer Arbeit liefern können. Die Lektüre von "add.value" sei hier dennoch eindrücklich empfohlen - Daurers Geschichte der angewandten Synästhesieforschung ist ausgesprochen spannend und eloquent präsentiert, und vor allem: Sie macht Lust, sich vielleicht doch öfter wieder einmal die vielen Kleinode österreichischer Experimentalkunst zu (visuellem und akustischem) Gemüte zu führen.

Gerhard Daurers Diplomarbeit "add.value. Ein Überblick der Verknüpfungen von visuellen zu akustischen Attributen" kann im Volltext nachgelesen werden.