Selbstbetrachtung im Zeichen der Krise: Mikey (Matt Boren), der unmotivierte Held aus Azazel Jacobs' "Momma's Man" , nistet sich wieder in der elterlichen Wohnung ein.

Foto: Viennale

STANDARD: Mr. Jacobs, "Momma's Man" erzählt von Mikey, einem Geschäftsmann, der in die Wohnung seiner Eltern nach New York kommt und sie nicht mehr verlassen will. Wie ist die Idee für diese Figur und ihre eigenwillige Krise entstanden?

Jacobs: Natürlich gibt es da bestimmte Bezüge zu mir selbst: Auch ich kenne diese Momente, wo man sich fragt, warum man einer Arbeit nachgeht, die einem nur den nächsten Gehaltscheck garantiert. Über Dinge nachzudenken, die man sich selbst nicht wirklich zugesteht, funktioniert über den Umweg eines Alter Egos viel besser. Ich habe also versucht, aus der Perspektive von Mikey etwas über den Wunsch nach Sicherheit zu verstehen - und über dieses Gefühl, das Leben sei in die falsche Richtung entglitten.

STANDARD: Versucht Mikey herauszufinden, wer er einmal war - oder warum er zu dem wurde, der er ist?

Jacobs: Ich glaube, er denkt gar nicht so viel über sich nach. Er plant auch nicht, länger in der Wohnung zu bleiben, sondern schafft es einfach nicht zu gehen. Immerhin erkennt er, dass er etwas hinter sich ließ, das wertvoll war.

STANDARD: Mikeys Eltern werden von Ihren eigenen verkörpert, Ken und Flo Jacobs, die beide Künstler sind. Die Wohnung ist jene, in der sie aufgewachsen sind: ein Loft in SoHo. Was gab den Anstoß, diese Welt festzuhalten?

Jacobs: Lassen Sie mich das so beantworten: Solange ich zurückdenken kann, hatte ich davor Angst, meine Eltern zu verlieren. Das zeigt, wie sehr ich sie brauche. Nach wie vor bin ich am nervösesten, wenn ich ihnen meine Arbeit zeige. Es ist nicht unbedingt so, dass sie alles, was ich tue, mögen müssen. Aber zumindest sollten sie verstehen, warum ich etwas tue.

STANDARD: Zu welchem Zeitpunkt kam das Apartment hinzu?

Jacobs: Das war eine der ersten Ideen. Wissen Sie, es ist ein Ort, der mir oder meinen Kindern nie gehören wird. In dem Moment, wo meine Eltern nicht mehr dort sein werden, wird er umgewidmet. Man wird dafür sorgen, dass keine Spur ihrer Existenz übrigbleibt.

STANDARD: Für jemanden, der die Wohnung von außen betrachtet, wirkt sie wie ein Denkmal für eine bestimmte New Yorker Boheme.

Jacobs: Das ist es auf eine seltsame Art auch ... Aber mein New York, also jenes, das man in Momma's Man sieht, besteht nur aus solchen Wohnungen. Ich möchte diese Orte immer wieder besuchen. Und auch wenn man kein Zuhause hat, zu dem man zurückkehren kann - ich glaube, dass jeder eine Idee von einem solchen Ort hat.

STANDARD: Mussten Sie Ihre Eltern lange überreden mitzumachen?

Jacobs: Nein - ich bettelte wie ein kleines Kind: "Mom, Dad, ihr müsst das einfach machen! Es ist total wichtig." Wobei ich ihnen die Gründe gar nicht erklären konnte.

STANDARD: Wie haben sich die beiden als Schauspieler gefühlt?

Jacobs: Für sie war es interessant. Erstens begannen sie sich wirklich um die Crew zu kümmern - etwas, was sie aus ihrer eigenen Arbeit nicht kannten. In den 50ern wurde mein Vater einmal gefragt, ob er bei Cassavetes Regieassistent sein will. Dann hat er gesehen, wie viel Cassavetes trinkt, und sich gedacht: "Nein, das ist nicht Film, das ist keine ernsthafte Arbeit." Das war vor Shadows. Ich glaube, meine Eltern haben es genossen, mich beim Geschichtenerzählen zu beobachten.

STANDARD: Der Film führt zwei unabhängige US-Filmtraditionen zusammen - die Cassavetes-Tradition und den formalistischen Ansatz des New American Cinema.

Jacobs: Als ich neun war, nahm mich meine Schwester mit auf ein The-Clash-Konzert - was immensen Einfluss auf mich hatte. Ein Ziel meiner Arbeit ist nun auch immer, den "clash" , den Zusammenprall, herbeizuführen ... Ich wollte die Arbeit meines Vaters zu einem Teil von meiner machen. Wenn ich die Filme meines Vaters sehe, sind sie für mich ja nicht ohne Geschichten, im Gegenteil: Ich sehe unglaubliche Geschichten.

STANDARD: Und wie sind Sie auf Mikeys lange Unterhosen gekommen?
Jacobs: Lange Unterhosen sind doch ein perfektes Symbol für seinen Zustand! Wir hatten sogar verschiedene Farben, Batman- und Superman-Motive, doch die waren alle zu stark. Es sind solche Bilder, die ich mit diesem Gefühl des Daheimseins genauso in Verbindung bringe wie den Pudding, den meine Mutter serviert.

(Dominik Kamalzadeh, SPEZIAL - DER STANDARD/Printausgabe, 21.10.2008)