US-Gitarrist Ry Cooder - inmitten der Buena-Vista-Social-Club-Gemeinschaft.

Foto: Lotus

Wien / Los Angeles - "Mein Bewusstsein hat weniger Details als Stimmungen, Gefühlszustände festgehalten - zuallererst den der Erleichterung", so antwortet Ry Cooder auf die Frage, welche Bilder in ihm vom 1. Juli 1998 gespeichert seien. "Wir hatten dies nur einmal zuvor gemacht, wie waren besorgt, ob alles klappen würde. Erst nach der Hälfte des Konzerts begann ich mich zu entspannen. Das Wichtigste dort war: Die Musiker waren glücklich, geradezu ekstatisch aufgrund des Umstands, in New York, in der Carnegie Hall zu sein. Das bedeutete ihnen viel!"

Am 1. Juli 1998 gastierte das Rentner-Kollektiv des Buena Vista Social Club in der Originalbesetzung in der New Yorker Carnegie Hall und enthusiasmierte das Publikum mit seinen nostalgischen Sons, Boleros und Danzóns. Noch zwei Jahre zuvor hatte kein Hahn nach den betagten Herren und Damen von der Zuckerinsel gekräht. Der Zufall spielte eine tragende Rolle.

Rüstige Rentner

Als im März 1996 kurzfristig ein geplantes Kuba-Mali-Projekt platzte, holten World-Circuit-Chef Nick Gold und Produzent Ry Cooder kurzfristig u. a. einen Pensionisten namens Ruben González, der selbst schon lange kein Piano mehr besaß, und einen Lotterieloseverkäufer namens Ibrahim Ferrer ins Studio in Havanna: Gemeinsam mit dem damals 89-jährigen Compay Segundo, mit Eliades Ochoa, Omara Portuondo und anderen rüstigen Rentnern wollte man vergangene Blütezeiten kubanischer Musik wiederaufleben lassen.

Die Verkaufserwartungen lagen bei 100.000 CDs. Was folgte, ist bekannt: Die CD fand reißenden Absatz (und hält aktuell bei acht Millionen verkauften Exemplaren), Ferrer, González und Co begannen, durch die Welt zu touren, die Welle kubanischer Musik rollte an. Nur dreimal konnte man dabei das vollständige Line-up der Studiosession auch wirklich live vernehmen: zweimal im Carré-Theater in Amsterdam, ein letztes Mal an jenem 1. Juli 1998 in der Carnegie Hall, der auch im Wim-Wenders-Film eine Schlüsselrolle spielt; und seine grandiosen Momente teilen sich schließlich über die nun erschiene Doppel-CD (World Circuit/Lotus) mit.

Was zehn Jahre, nachdem viele der Legenden des Buena Vista Social Club die Bühne für immer verlassen haben, vom "Club der schönen Aussicht" und damit von dem durch ihn ausgelösten Boom kubanischer Musik geblieben ist?

Gedanken über Kuba

Cooder: "Die Platte war ein großer Hit, und das machte sehr wohl einen Unterschied für Leute, die sich noch nie Gedanken über Kuba gemacht hatten. Den Amerikanern wurde immer eingeredet, sie müssten die Kubaner fürchten und hassen - und nun waren sie fasziniert von dieser Platte, den Musikern und ihrer Geschichte."

Und Cooder wird grundsätzlich: "Wir alle hoffen, dass sich in der US-Kuba-Politik etwas zum Besseren verändert, wenn diese Witzfiguren einmal aus Washington verschwunden sind. Ich setze Hoffnungen in Barack Obama, obwohl er auf viele Dinge Rücksicht nehmen muss, wenn er gewählt wird. Ich möchte dann nicht in seiner Haut stecken."

Compay Segundo, Ibrahim Ferrer und all die anderen wären große Persönlichkeiten gewesen, Charakterfiguren, wie es heute seiner Meinung nach immer weniger gibt, so Cooder.

Figuren wie auch Kash Buk, der kauzige Typ, der gerne kitschige Country-Songs schreibt und spielt, obwohl keiner hinhört. Und der mit seinem selbstgebauten Rennschlitten am liebsten durch das Death Valley braust. Kash Buk ist die Hauptfigur von Ry Cooders aktuellem Solo-Opus I, Flathead (Nonesuch/Warner), mit dem der 61-Jährige seine "California Trilogy" abschließt:

"Ich habe nicht geplant, es als Trilogie anzulegen. Aber als ich an der Kash-Buk-Platte arbeitete, dachte ich, vielleicht passt alles zusammen. Mein Eindruck ist, dass in der amerikanischen Gesellschaft bestimmte Dinge verloren gegangen sind, wichtige Dinge. Chavez Ravine erzählt die Geschichte, wie man seinen Platz verliert - und damit einen Teil der eigenen Geschichte, der Identität" , so Cooder; er spinnt den Faden weiter zu My Name Is Buddy: der Geschichte der roten Katze, "die auszog, um Solidarität, eine Community zu finden".

Nur ein Musiker

I, Flathead hingegen thematisiert den Verlust des Individualismus: "Kash Buk erfindet sein eigenes Auto, er spielt ein bisschen Gitarre, er macht, was er tun will. Er folgt nicht den Aufforderungen der Medien und der Werbeindustrie. Er verkörpert jene Art von Do-it-yourself-Typen, die sonst nichts Besonderes an sich haben, die kein Held, keine wichtige Person, kein Star sind!" , sagt Cooder, der sich in Kash Buk natürlich auch selbst wiederfindet - zum Beispiel, wenn er auf die Frage nach der roten Linie durch all seine Projekte zwischen Bamako, Havanna und Los Angeles schlicht antwortet: "Ich mag einfach gewisse Dinge, und wenn ich Musik höre, die mir gefällt, will ich sie spielen. Ich bin einfach ein Musiker, einfach ein Typ mit einer Gitarre." (Andreas Felber, DER STANDARD/Printausgabe, 21.10.2008)