Tatort Architekturbüro. "Das Umfeld, in dem eine Idee entsteht, und die Art und Weise, mit welchen Werkzeugen sie vermittelt wird, hat Auswirkung auf den Entwurf", sagt Kuratorin Elke Krasny. Kreativität ist eben eine heikle Sache. Hier das Büro des New Yorker Architekten Steven Holl.

Foto: Gyoung Nam Kwon

Kein Schild, kein Name, keine Ahnung. Die beiden Architekten Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa, besser bekannt als SANAA, verstecken sich im zweiten Stock eines alten Lagerhauses, irgendwo im Süden von Tokio. Der anonyme Auftritt hat einen guten Grund. Sejima und Nishizawa waren es satt, ständig von neugierigen Fans und Groupies belästigt zu werden, die unangekündigt anläuteten oder plötzlich vorm Büro standen.

Der Wiener Architekt Hermann Czech gönnt dem Suchenden zwar ein Schild am Haustor, doch bis man die 145 Stufen zu seinem Atelier erklommen hat, vergeht eine Ewigkeit. Man kann schon froh sein, wenn man dem Meister nicht keuchend vor die Füße fällt. Unverwechselbar auch der Aufstieg ins Atelier der Pariser Punklady Odile Decq: Vor einigen Jahren brach die hölzerne Treppe ein. In extremer Schieflage fristet sie nun ihr Dasein und mahnt den Gehenden zur Vorsicht - mit Knarren und Quietschen.

Orchideenzucht

"Wie und wo arbeiten Architekten? Das hat mich immer schon interessiert", sagt die Kulturtheoretikerin und Ausstellungsmacherin Elke Krasny, "vor allem wollte ich wissen, wie sich die drei Entitäten Raum, Werkzeug und Akteur zueinander verhalten und unter welchen Bedingungen in den Büros die Entwürfe entstehen." Eines Tages raffte sich Krasny auf, zog hinaus in die Welt des Schaffens und Planens. 20 internationale Architekturbüros wurden besucht, in jedem verbrachte sie mehrere Tage und blickte dabei den Macherinnen und Machern über die Schulter. Ihre Mission: Entdecke und erforsche den Keim der Kreativität.

Krasny staunte nicht schlecht, als sie bei Lacaton & Vassal eine Orchideenzucht entdeckte, als sie im Büro R&Sie(n) mit einem schallgedämpften Rifle 22 begrüßt wurde (jawohl, das ist ein Maschinengewehr), oder als sie in der Wohnung von Yona Friedmann kaum noch den Menschen sah, weil dieser hinter Stapeln aus Verpackungsmaterialien, Klorollen und allerlei Gesammeltem verschwand.

Arbeitsweisen

"Ich habe ganz unterschiedliche Büros besucht, von denen jedes einzelne stellvertretend für eine ganz bestimmte steht", sagt Krasny. Manche Architekten davon sind berühmt, manche bekannt, manche schon seit langer Zeit tot. Sie alle vereint jedoch die Tatsache, dass sie im Kreativitätsprozess irgendwie von A nach B kommen müssen. Grundsätzlich, erklärt die Forscherin, ließen sich zwei große Richtungen ausmachen. Die einen setzen auf Sprechen, Nachdenken und Überlegen, bevor sie überhaupt einen Strich machen. Die anderen gehen gleich in medias res und stürzen sich rein ins Zeichnen und Bauen. So kann man der Vorstellungskraft den Weg ebnen.

Bleistift, Papier und Karton sind Werkzeuge, um sich verständlich zu machen. Doch was hat es mit dem Maschinengewehr auf sich? Für ein Projekt in Südkorea, unweit der nordkoreanischen Grenze, beschlossen die beiden Architekten François Roche und Stéphanie Lavaux, dem Kalten Krieg zwischen den beiden Ländern auf der koreanischen Halbinsel mit gezielten Schüssen zu begegnen. "Wir haben das größte Gewehr gekauft, das man in Frankreich ohne Waffenschein bekommt", sagt François Roche, "wir wollten die Ballistik verstehen."

Quader aus Ton

Etliche Male ballerten die beiden auf einen Quader aus Ton. Das Material wurde zerstört und deformiert, war übersät von wilden Einschusswunden und klaffenden Tunnels. Das so entstandene Gebilde wurde digitalisiert und lieferte die Grundform für ein privates Mehrzweckhaus mitsamt Wohnung, Tanzstudio und Restaurant. Ungewöhnliche Entwurfsweise, perfekt auf den Ort zugeschnitten. François Roche gibt sich selbstkritisch: "Wir machen niemals zweimal das Gleiche."
Wind und Orchideen

Und wie arbeiten die anderen? Hermann Czech liest Bücher und stützt sich auf die Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Das US-amerikanische Büro Skidmore, Owings & Merrill (SOM) arbeitet mit der Luft und generiert die richtige Form ihrer Häuser aus unzähligen Windstudien. Nicht anders entstand der monströs hohe Burj Dubai, an dem gerade gebaut wird. Wer 900 Meter in den Himmel baut, der sollte es sich mit den Böen nicht verscherzen. Jean-Philippe Vassal wiederum, will er von der Muse geküsst werden, verschanzt sich hinter seiner Orchideenzucht. "Seit fünf Jahren habe ich Orchideen. Sie sind mysteriös. Sie brauchen Aufmerksamkeit und Pflege und sind für mich eine starke Inspiration."

"Architektur beginnt im Kopf"

"Ich finde es faszinierend, auf wie unterschiedliche Weise sich Architektinnen und Architekten an die Arbeit machen", sagt Elke Krasny. Mit Unterstützung von Robert Temel, Gudrun Hausegger und Alexandra Maringer investierte sie drei lange Jahre in die Recherchen. Heraus kam ein in jeder Hinsicht ungewöhnliches und einzigartiges Potpourri, das nun im Rahmen einer Ausstellung im Architekturzentrum Wien zu sehen ist. "Ich finde es bedauerlich, dass die ganze Welt immer nur die Endresultate wahrnimmt", sagt Krasny, "die vielen kreativen Schritte dazwischen werden vergessen."

Langwierig ist der Weg zur Idee. Einer der Architekten verrät im Buch: "Man zieht eine Linie und ist sich ihrer nicht sicher. Unter den Hunderten von Linien ist wahrscheinlich keine einzige dabei, die die richtige ist." Doch irgendwann ist er da, der perfekte Strich.

"Architektur beginnt im Kopf. The Making of Architecture", Architekturzentrum Wien, Museumsplatz 1, 1070 Wien. Täglich 10 bis 19 Uhr. Zu sehen bis 2. Februar 2009.  (Wojciech Czaja/DER STANDARD-Printausgabe, 18./19. Oktober 2008)