"An den Frauen wird die Situation deutlicher. Sie sind einem sichtbaren Druck ausgesetzt." - Die Filmemacherin Aysun Bademsoy porträtiert in "Ich gehe jetzt rein" zum dritten Mal deutsch-türkische Frauen, die auf dem grünen Rasen jede Menge Einsatz zeigen.

 

 

Foto: Viennale

Zur Person:
Aysun Bademsoy wurde am 14. März 1960 in Mersin in der Türkei geboren und lebt seit 1969 in Berlin. Während des Studiums der Theaterwissenschaft und Publizistik beginnt sie als Schauspielerin zu arbeiten, wechselt dann aber zum Regiefach. 1989 realisiert sie mit Fremde deutsche Nachbarschaft ihren ersten Dokumentarfilm. Ihre Arbeiten beschäftigen sich bevorzugt mit der deutsch-türkischen Bevölkerungsgruppe. Nach Mädchen am Ball (1995) und Nach dem Spiel (1997) ist Ich gehe jetzt rein der dritte Teil ihres Langzeit-Dokumentarfilmprojekts über fußballbegeisterte Berliner Türkinnen. Aysun Bademsoy ist mit dem Regisseur Christian Petzold (Jerichow) verheiratet.

 

 

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Die Filmemacherin Aysun Bademsoy begleitet seit 13 Jahren eine Gruppe von Deutsch-Türkinnen und deren Liebe zum Fußball. Dietmar Kammerer sprach mit ihr über Selbstbilder, Abschottung und falsche Toleranz.


Standard: In Ihrem Film Ich gehe jetzt rein porträtieren Sie nach 1995 und 1997 zum dritten Mal dieselbe Gruppe deutsch-türkischer Freundinnen, die sich als Jugendliche über das Fußballspielen kennengelernt haben. Was hat Sie wieder zu diesen Figuren zurückkehren lassen?

Bademsoy: Mein letzter Film über diese fünf Mädchen, Nach dem Spiel, ist mittlerweile zehn Jahre her. Nach dieser Zeit stellte sich die Frage: Was hatten sie damals an Träumen und Wünschen, und wie sieht ihre reale Situation heute aus? Ich fand es spannend, herauszufinden, wie sich speziell diese Generation beim Erwachsenwerden verändert hat. Ist die Energie des Aufbruchs, die in den ersten beiden Filmen vorhanden war, noch spürbar?

Standard: Fast alle deuten an, seither harte Zeiten durchgemacht zu haben. Aber der Film hakt nicht nach. Bis auf eine Ausnahme erfahren wir nichts Genaues darüber, was vorgefallen ist.

Bademsoy: Aufgrund meiner Erinnerungen und meines Wissens über diese Kultur gibt es bei mir einen Respekt, bestimmte Dinge nicht zu sagen, bestimmte Grenzen des Privaten nicht zu überschreiten. Ich mache kein Reality-TV, in dem die Leute gezwungen werden, sich so sehr zu öffnen, dass sie das Gefühl bekommen, der Kamera völlig ausgeliefert zu sein.

Standard: Im Grunde genommen ist bereits alles in diesem einen so schönen wie bitteren Satz enthalten: "Es war ein schwerer Weg, die Freiheit."

Bademsoy: Wenn man den Film als Türkin sieht, versteht man sofort, was dieser Weg ist. Was es bedeutet, als türkisches Mädchen von seiner Familie Freiheit einzufordern.

Standard: Wie haben die Ehemänner darauf reagiert, dass Ihre Frauen für einen Film interviewt werden?

Bademsoy: Zuerst wollten sie das nicht. Ich habe mich immer wieder mit ihnen getroffen und erklärt, dass es gar nicht direkt um ihre Frauen geht, sondern darüber hinaus um unsere Gesellschaft und unsere Kultur. Um das Dasein als Türke in Deutschland, als Deutschländer.

Standard: Die Männer kommen kaum vor, werden nur ein-, zweimal ins Bild gerückt. War das die Bedingung für deren Einverständnis?

Bademsoy: Die Frauen wollten das vor allem. In den Szenen mit den Männern ging es mir darum, die Momente zu zeigen, wo sie das Leben der Frauen mit beeinflussen. Aber man darf sich nicht täuschen: Die Frauen haben zu Hause die Hosen an. Nalan auf jeden Fall. Man sieht das in der Szene, wo sie ihrem Mann zuhört und dabei die Augen verdreht.

Standard: Der Film eröffnet mit einem Bekenntnis. Eine der Frauen sagt von sich: "Ich habe einen deutschen Pass, ich fühle mich nicht als Türkin, aber ich bin Türkin, weil ich von den Deutschen als solche behandelt werde."

Bademsoy: Man wir zur Türkin gemacht. Das ist das Problem. Ich persönlich werde nicht zur Türkin gemacht, obwohl ich dort geboren bin. Zu mir sagt man eher: Du, eine Türkin? Das gibt's doch nicht. Worüber ich nur den Kopf schütteln kann und denke: Die Türkei ist ganz anders, als ihr euch das denkt. Seit drei Generationen leben Türken in Deutschland, und keiner schaut genauer hin. Das ist für mich Ausdruck einer depressiven Toleranz der türkischen Bevölkerung gegenüber.

Standard: "Depressiv"?

Bademsoy: Ja. Weil die Deutschen es einfach laufen lassen. Weil sie sagen: Lass die mal machen. Und das finde ich kein gutes Zusammenleben. Man muss schon hinschauen, sich einmischen. Natürlich gibt es Grenzen des Einschreitens in bestimmten Bereichen. Aber das grundsätzliche Interesse aneinander sollte schon da sein.

Standard: Gilt das für beide Seiten?

Bademsoy: Ja, für beide. Das Interesse der ersten Generation von Gastarbeitern, die in den Fabriken gemeinsam mit Deutschen gearbeitet haben, ist noch viel intensiver gewesen als heute bei den Hartz-IV-Empfängern unter den Türken. Die fallen total zurück.

Standard: Man schottet sich ab. So wie der Mann von Nalan, der sagt: "Es wäre mir lieber, wenn meine Tochter keinen Deutschen heiratet."

Bademsoy: Da denke ich mir auch: Hallo? Wo lebst du denn? Wach mal auf! Und er selber läuft rum wie ein HipHopper.

Standard: Wie könnte man das ändern?

Bademsoy: Es ist vor allem eine Frage der Bildung. Sind die Eltern gebildet, sind auch die Kinder gebildet. Der deutsche Staat hat viel zu lange die Schulen vernachlässigt.

Standard: Im Film sehen wir, dass auch Religiosität in dieser Generation eine starke Rolle spielt.

Bademsoy: Als Arzu anfängt zu beten, war ich total schockiert. Damit hatte ich nicht gerechnet. Das wurde zu einer Existenzfrage für sie. Eigentlich wollte sie ja am Marathon teilnehmen, hat hart dafür trainiert. Und dann sagt ihr der Arzt: Fasten im Ramadan und einen Marathon rennen, das ist gefährlich für die Gesundheit, das geht nicht zusammen.

Standard: Und sie entscheidet sich für die Religion.

Bademsoy: Man muss ihre Situation verstehen. Sie lebt nicht in einer Familie und nicht in der türkischen Community. Sie ist alleinstehend und braucht etwas, woran sie sich festhalten kann.

Standard: Vor allem, wenn man Nalans Mann über den Wert der Tradition reden hört, wundert man sich: Hat sich tatsächlich etwas zwischen den Generationen geändert, oder sind das nur oberflächliche Verschiebungen?

Bademsoy: Das ist genau die Frage. Vor allem die Komplikationen stehen jetzt im Mittelpunkt. Man kennt die Tradition und hinterfragt sie. Ich glaube aber, dass sich wirklich etwas ändert. Der Blick auf die Deutschen ändert sich. Wenn die nächste Generation in die Pubertät kommt, wird es noch interessanter.

Standard: Football Under Cover, Prinzessinnenbad oder Ihre Filme: Wenn es um junge Erwachsene in Berlin-Kreuzberg geht, interessiert sich das Kino offenbar mehr für die Frauen als für die Männer. Sind Frauen eher bereit, aus vorgegebenen Situationen auszubrechen?

Bademsoy: Es gibt auch Dokumentarfilme über männliche türkische Jugendliche, zum Beispiel Was lebst Du? von Bettina Braun. Aber an den Frauen wird die Situation deutlicher. Sie sind einem sichtbaren Druck ausgesetzt. Deshalb schaut man bei ihnen genauer hin.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18./19.10.2008)