Ibrahim Ferrer
Buenos Hermanos
(Vertrieb: Lotus)

Foto: Lotus

Sieben Jahre nach dem Triumphzug der fröhlichen Greise vom Buena Vista Social Club aus Havanna veröffentlicht der 76-jährige Sänger Ibrahim Ferrer sein neues, großartiges und durchaus modernes Album "Buenos Hermanos". Kuba liegt zwar nicht mehr im Trend. Aber Kuba lebt!


Wien - Beim letzten Konzert in München ging es auch nicht anders her als in allen anderen Städten, in denen der älteste Boyband-Sänger der Welt mit seinen greisen Freunden Station macht. Paris, New York, Tokio.

Ibrahim Ferrer: "28.000 Menschen tanzten in München im Regen. Wo auch immer wir hingehen, schreien die Frauen! Eine fiel sogar in Ohnmacht. Eine andere gab mir ihr tränendurchtränktes Taschentuch, eine andere ihren Verlobungsring." Apropos Tokio. Als Ferrer vor zwei Jahren dort einen Kimono kaufen wollte, kam der Verkehr zum Erliegen. Von überall her strömten ehrfurchtsvoll die Menschen, um ein Autogramm zu erbitten.

Zwar hat der 1927 in Santiago de Chile geborene Sänger mit seiner Band Los Bocucos schon 1962 die Welt bereist. Er trat damals für die Kommunistische Partei in Paris ebenso auf wie in Prag. Und während des Höhepunkts der Kubakrise saß er bei einem Festbankett in Moskau gar neben dem sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow: "Er war ein netter Mann. Klein, mit einer glänzenden Glatze."

Die heute sittlich etwas gefestigtere Neuauflage einer Beatlemania bezüglich des Buena Vista Social Club wird von einem 76-Jährigen allerdings ein wenig belustigt registriert - und ein ganz kleines bisschen stolz. Nicht nur das Ego freut sich über so viel Streicheleinheiten. Immerhin geht es hier laut Ferrer zum einen um die Bestätigung eines künstlerischen Mindestkriteriums: "Man muss mit seinen Liedern die Menschen zum Weinen bringen!"

Dritter Frühling

Zum anderen hat der späte Wohlstand auch einen angenehmen Nebeneffekt. Für die treu sorgende und noch immer sehr eifersüchtige Frau Carida, elf Kinder auch von anderen Caridas und wieder einmal gezählt werden müssende Enkel und Urenkel im Hintergrund ("Meine kleine Republik!") ist in der kubanischen Dauerkrise gesorgt. Falls er einmal . . . Aber das entscheidet weniger der "ma- ximo líder" auf Kuba als eine höhere Instanz. Gott behüte!

Vor sieben Jahren ahnte jedenfalls niemand, dass es sich beim Buena Vista Social Club nach pakistanischen Sufi-Gesängen, rumänischer Blasmusik, brasilianischem Samba und immer wieder Mutter Afrika nicht nur um eine weitere Laune der World-Music-Szene handeln würde.

Unter der Regie von US-Gitarrist Ry Cooder wurde ab 1997 das Märchen aber wahr. Daheim auf Kuba längst vom westlichen Pop und lateinamerikanischen Salsa in die Vergessenheit gedrängte Rentner eroberten im dritten Frühling die Hitparaden. Sie wurden zu die Jahre und die Trends überdauernden Selbstläufern mit äußerst vitalen musikalischen Statements. Zwischen Traditionspflege und zartem Modernisierungsschub: Afro-Cuban Allstars, Omara Portuondo, Ruben Gonzalez, Vieja Trova Santiaguera, Compay Segundo, Los Zafiros, Orlando "Cachaito" Lopez, das aktuelle Duett von Los-Zafiros-Gitarrist Manuel Galban und Ry Cooder auf Mambo Sinuendo. Und, und, und.

Reger Austausch

Dies verdankt sich vor allem auch ausgiebigen und ausgiebig umjubelten Welttourneen und einer Kinodokumentation von Wim Wenders. Dazu gesellt sich eine offensichtliche Sehnsucht des Publikums nach "echten Menschen" und ihrer "authentischen" und "frei von westlichen Einflüssen" klingenden Musik.

Übrigens ein Humbug. Auch nach der Revolution fand im kulturellen Schmelztiegel Kuba nicht nur ein reger Austausch zwischen kubanischen Volksmusiken und afrikanischen, europäischen wie auch südamerikanischen Stilen statt. Auch die jeweils populären Klänge der Yankees wehen noch immer von Radiosendern aus Miami herüber.

Der wegen seiner Karriere in der zweiten Reihe zeitlebens enttäuschte Ibrahim Ferrer, der sich die letzten Jahre vollständig aus der Musik zurückgezogen hatte, wurde jedenfalls 1997 wieder von seiner Brotarbeit als Schuhputzer und Losverkäufer in der Altstadt von Havanna für die Sessions zum Buena Vista Social Club in die legendären Egrem-Studios geholt. Dort sang er den herzzerreißenden alten Bolero Dos Gardenias.

Und er konnte von seinem mit 72 Jahren eingespielten, herrlich dem Orchesterschmalz der 50er-Jahre verschriebenen Soloalbum Buena Vista Social Club Presents: Ibrahim Ferrer aus 1999 bis dato 1,5 Millionen Stück absetzen. Nachdem Ferrer in jüngster Zeit bei so unterschiedlichen Künstlern wie den britischen Popstars Gorillaz oder dem westafrikanischen Orchestra Baobab Gastspiele gegeben hat, wird nun die Patina von der Brauchtumspflege gekratzt und das Tonstudio ordentlich durchgelüftet.

Ry Cooder hat für Buenos Hermanos nicht nur altbewährte kubanische Größen zusammengerufen: Unter anderem Orlando "Cachaito" Lopez am beckenfreundlichen Bass, Manuel Galban an der kratzigen E-Gitarre und Wimmerorgel oder Chucho Valdes, Jazzpianist und 1973 Gründer der legendären Irakere. Auch US-Schlagzeuger Jim Keltner und der New Yorker Trompeter und World-Music-Komponist Jon Hassell sind hier mit an Bord.

Wenn die US-Gospelgruppe Blind Boys of Alabama mit Ferrer in Perfume De Gardenias an die Himmelstür klopfen oder TexMex-Akkordeonist Flaco Jimenez im mexikanischen Klassiker Naufragio den stimmlichen Faserschmeichler gar zum Jodeln bringt, ist auch eines klar: Zwar wird hier nicht, wie Ry Cooder es ankündigt, das lateinamerikanische Gegenstück zu Michael Jacksons Thriller geschaffen, geschweige denn die kubanische Musik revolutioniert. Noch eine Revolution wäre auf Kuba wahrscheinlich auch zu viel des Guten.

Dass allerdings alle Beteiligten unglaublichen Spaß an der Sache hatten, sollte sich auch auf den Hörer übertragen. Man höre nur die exaltierten Gesangsimprovisationen von Ferrer im Stück Hay Que Entrarle ...! Für immer Sonne. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.2.2003)