Wien - Gut zweieinhalb Jahre nach der demokratischen Wende in Belgrad ist es den Behörden noch immer nicht gelungen, die Polizei und die Justiz vom mafiösen Treiben zu befreien. Entscheidungen der Justiz- und Polizeibehörden vermitteln immer wieder den Eindruck, dass die Anhänger des früheren Regimes und die mächtigen Mafia-Gruppen weiterhin "gute Kontakte" zu Polizei- und Justizstrukturen und somit entscheidenden Einfluss haben. Für den jüngsten Skandal sorgte der mögliche Attentatsversuch auf den serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic vergangenen Freitag.

Der Chauffeur von Djindjic konnte im letzten Augenblick einen Zusammenstoß mit einem LKW verhindern. Der LKW-Lenker war niemand geringerer als ein Mitglied einer der Belgrader Mafia-Clans. Die Polizei identifizierte ihn als Dejan "Bagzi" Milenkovic, einen Mann mit "reicher krimineller Vergangenheit". Belgrader Medien berichteten später, dass Bagzi ein ehemaliger Mitarbeiter des "Geschäftsmannes" Ljubisa Buha war, der einst Anführer der mächtigen Surcin-Mafia (Surcin ist ein Belgrader Vorort, Anm.) war. Inzwischen soll er im Dienste seines ehemaligen Kontrahenten Milorad Lukovic alias Legija stehen. Legija ist der ehemalige Kommandant der berüchtigten serbischen Spezialpolizeieinheit JSO ("Rote Barette"). Verdacht

Überraschend ließ die Polizei am Sonntag Abend wissen, dass Milenkovic nur der "Wagenentnahme und der Dokumentenfälschung" verdächtigt wird. Der Ermittlungsrichter hatte Milenkovic mit einer achttägigen Untersuchungshaft belegt. Auf Grund des Einspruches des Verteidigers wurde Milenkovic aber schon am Tag danach auf freien Fuß gesetzt. Er sei als Handelsreisender tätig und müsse für seine Familie sorgen, lautete die inoffizielle Erläuterung. Daraufhin drohte der serbische Justizminister Vladan Batic mit einer "allgemeinen Säuberung" im Justizwesen.

Dies wiederum hatte empörte Reaktionen vieler Richter zur Folge. Milenkovic sei freigelassen worden, da sich die Strafanzeige gegen ihn nur auf Dokumentenfälschung bezogen habe. Von einem Attentatsversuch sei keine Rede gewesen, betonte der Richter des Obersten Gerichts, Zoran Ivosevic. Laut Medienberichten hatte die Polizei allerdings erst am Dienstag erneut versucht, Milenkovic festzunehmen. Inzwischen ist er aber spurlos verschwunden. Belgrader Medien spekulieren, dass sowohl die Polizei als auch die Justiz auf Grund von Drohungen der Mafia in der Causa Milenkovic so reagiert haben. Schutz vor der Justiz

Djindjic hatte in der Öffentlichkeit eine Zeit lang als "Beschützer" von Lukovic gegolten, der als Kommandant der Sonderpolizei eine Schlüsselrolle beim Sturz des ehemaligen Präsidenten Slobodan Milosevic gespielt hatte. Am Mittwoch aber betonte Djindjic, dass "niemand vor der Justiz geschützt" werde. In der in Frankfurt erscheinenden Zeitung "Vesti" kündigte er die "endgültige Zerschlagung des harten Kerns der Kriminellen" an.

Djindjic war am Vorabend der Massenproteste in Belgrad am 5. Oktober 2000 mit dem damaligen JSO-Kommandanten Lukovic zusammengekommen, um einen Einsatz der berüchtigten Polizeieinheit gegen die Demonstranten zu vermeiden. Lukovic wird neuerdings mit mehreren Mordfällen in Verbindung gebracht. Vor einigen Wochen hatte er sich mit einem "Drohbrief" an die Belgrader Behörden gewandt. "Erstaunliche" Vorgangsweise der Polizei

Erstaunlich war auch die Vorgangsweise der Polizei und der Justiz in der Causa des ehemaligen Direktors des staatlichen TV-Senders RTS. Dragoljub Milanovic war im Vorjahr zu zehn Jahren Haft wegen des Todes von 16 Mitarbeitern des Senders beim NATO-Luftangriff im April 1999 angeklagt worden. Er hatte sie gezwungen, während des Bombardements im Gebäude auszuharren. Am 20. Jänner dieses Jahres sollte er seine Haftstrafe antreten. Milanovic ist aber spurlos verschwunden und wird inzwischen in Moskau vermutet, wo sich auch Milosevics Sohn Marko aufhalten soll. (APA)