Bild nicht mehr verfügbar.

Robert K. Merton
1910-2003

Foto: Archiv

New York - Einer der prominentesten Soziologen der "klassischen" Gesellschaftstheorie der 40er- und 50er-Jahre ist in New York 93-jährig gestorben: Robert K. Merton, Vater des Wirtschaftsnobelpreisträgers von 1997, Robert C. Merton.

Berühmt wurden einige Begriffsprägungen Mertons: So der in die Alltagssprache übernommene Begriff der "self-fulfilling prophecy", den Robert K. Mertons Team in den frühen 50er-Jahren für einen durch Vorannahmen gesteuerte Handlungsablauf geprägt hatte. Oder der "Rollen-Set". Oder der Begriff der "focus (peer) group" für Experten, die penibel auf Experten des selben Fachgebiets blicken. Oder die Weiterentwicklung des von Emile Durkheim übernommenen Begriffs der "Anomie" in einer Theorie des abweichenden Verhaltens.

Robert K. Merton entstammte einer Immigrantenfamilie, der Vater war Arbeiter. In diesem Milieu stellte sich bei der rasanten Industrialisierung im Raum um Philadelphia das Problem immer schnelleren sozialen Wandels.

Wofür steht übrigens das "K" in Mertons Namen? Für "King", denn der junge Merton finanzierte sich sein erstes Studium als Zauberer "King Merlin". Also auch mit dem Spiel von Rollen, was soziologisch in den frühen 20er-Jahren in Rollentheorien erfasst wurde: In Harvard hatte der russische Emigrant Pitirim Sorokin 1930 den ersten US-Lehrstuhl für Soziologie begründet; erforschte den sozialen Wandel und hatte als begabtesten Schüler Robert Merton. Auch Talcott Parsons, der von Habermas so ausführlich zitierte Theoretiker sozialer Systeme, war ein Lehrer. Mertons frühe Interessen lagen auch in diesem Bereich: im System vordefinierter Rollen inklusive geduldeter Wahlmöglichkeiten ("Rollen-Set").

Von 1941 bis 1971 unterrichtete Robert K. Merton an der Columbia University in New York. Dort arbeitete er auch mit zwei Emigranten aus Österreich zusammen: Marie Jahoda und Paul Lazarsfeld, die vor ihrer Flucht die bedeutende Studie über die Arbeitslosen von Marienthal vorgelegt hatten. In diesem Zusammenhang ist Mertons einflussreiche Weiterentwicklung der Anomie-Theorie Durkheims zu sehen.

Emile Durkheim hatte schon um 1880 die Auflösung von normativem Halt im sozialen Wandel analysiert. Für Merton zeigt sich darin die Diskrepanz zwischen gesellschaftlich-kulturell vorgegebenen Zielen und Mitteln zu ihrer Erreichung. Aus der Spannung von kulturellem Wert und Ziel bricht abweichendes Verhalten hervor - wenn nämlich die Gesellschaft Ziele betont (etwa ökonomischen Erfolg), aber nicht die Möglichkeit zu ihrer Erreichung bietet: Arbeitslosigkeit.

Die in "Social Theory and Social Structure" 1949 ausgearbeitete Theorie wurde von europäischen Soziologen als "Amerika-lastig" kritisiert (weil als Hauptziel unbefragt ökonomischer Erfolg vorausgesetzt); Mertons Name bleibt aber damit verbunden. (rire)