Foto: Warner
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Ein vielschichtiges Porträt eines kauzigen, alten Kleinbürgers; eine Tragikomödie mit zeitweilig sehr derben Pointen; gleichzeitig eine weitere oscarreife Performance von US-Superstar Jack Nicholson: All das bietet Alexander Paynes grandioser Spielfilm "About Schmidt".

Wien – Egal, ob er einst in Einer flog über das Kuckucksnest oder in Shining ein fast schon maskenhaftes, irres Lächeln aufsetzte oder ob er wie zuletzt in Besser geht's nicht mit einigem Ingrimm zwangsneurotische Ticks ausstellte: Der ehemalige B-Movie-Star Jack Nicholson, mittlerweile bereits mit drei Oscars prämiert, unterscheidet sich von seinen Method-Acting-Kollegen vor allem in einem Aspekt. Er verliert über den Defekten, die er sich – wie man so schön sagt: virtuos – aneignet, nie eine gewisse Grundaggression aus den Augen. Mag er auch in unterschiedlichsten Charakterrollen triumphieren, so wirkt er doch nie versöhnt mit sich und mit der Umwelt, die solche Käuze, wie er sie gerade im Alter immer wieder darstellt, hervorbringt.

Man könnte aber auch sagen: Nicholson ist auf erratische Weise äußerst großzügig. Sei's, wie es sei: Das Beste wird sein, man behält Haltung. Und wenn einem dies gelingt, so muss man doch immer noch nicht die ganze Welt umarmen. Darin sind die Nicholson-Menschen der vergangenen Kinojahre grandios und kleinlich zugleich.

So auch der pensionierte Versicherungsvertreter Warren Schmidt, den in seinem etwas groben Biedersinn wohl bestenfalls eine TV-Sitcom harmonisch, vielleicht als Karikatur wiedergeben könnte. Schmidt sieht miserabel aus (Ohrenscheitel zwecks Glatzenbedeckung), hat ein erz-ödes Hobby (Wohnmobil, meist vor dem Haus geparkt), leidet ostentativ an seiner Frau, deren Altern ihn offenkundig mehr beschäftigt als sein eigenes. Und als die Frau beim Staubsaugen tot zusammenbricht, folgt erst einmal eine späte Rache für überzogene Toilettenhygiene (immer im Sitzen pinkeln!): Das ganze Badezimmer wird vollge... äh, aber lassen wird das.

Wie gesagt: Bei Al Bundy in der Schrecklich netten Familie würde man das schenkelklopfend akzeptieren, und bei Nicholsons Schmidt ist man auch knapp davor. Aber eben nur knapp. Eher funktionieren seine Überschreitungen wie die bösen Stiche des britischen Malers William Hogarth, die im 18. Jahrhundert durchaus auch dokumentarische Qualitäten hatten. Und dass dies für den gesamten Film About Schmidt gilt, dankt man nicht zuletzt dem großartigen jungen US-Regisseur und Autor Alexander Payne.

Anleihen bei Begley

Payne, der zuletzt mit Election eine der besten Satiren auf amerikanisches Demokratieverständnis gedreht hat (und damit leider nie in die österreichischen Kinos kam) – er wagt etwas, das man weniger als Adaption denn als Aneignung einer literarischen Vorlage bezeichnen darf. Louis Begleys Roman About Schmidt gibt nämlich bestenfalls das Grundgerüst für eine Annäherung an kleinbürgerliche Milieus vor, die gewohnte Amerika-Bilder kunstvoll bricht – etwa, wenn Warren Schmidt mit seinem Wohnmobil zur für ihn höchst unerfreulichen Hochzeit seiner Tochter reist und sich dabei gewissermaßen auf die Spuren der Pioniere und ersten Siedler macht.

Andererseits lassen die Holzhammer-Slapstick-Komödien der Farrelly-Brüder (Verrückt nach Mary) grüßen, in denen ja auch Menschen mit horriblem Outfit schönen Gefühlen huldigen wollen. Im Fall von Schmidts zukünftigem Schwiegersohn etwa zeitigt das für den sonst eher attraktiven Darsteller Dermot Mulroney eine höchst brutale, dreiste Mischung aus Zopfträger und Loser, der in jedem gestandenen Familienvater Aggressionen wecken muss.

Und im Falle Schmidts kommt quasi als Verfremdungseffekt für allzu normale Verhältnisse noch eine Brieffreundschaft der besonderen Art hinzu: Der Protagonist hat die Patenschaft für ein afrikanisches Waisenkind übernommen und sendet diesem immer wieder Geständnisse eines alten Mannes, die sowohl über die Generationen als auch über die Zivilisationen hinweg hochkomische Wirkung zeitigen. Was ist einem auch, trotz aller Aussendungen in die Fremde, fremder als man selbst?


"Freude" auf Autopilot

Und dann: Die vielleicht schönste Szene des Films – die in ähnlichen Fällen obligate Hochzeitsrede des Brautvaters. Man muss Jack Nicholson gesehen haben, wie er den geforderten Sermon (Freude über die zugeheiratete Verwandtschaft etc.) quasi auf Autopilot herunterbetet, und gleichzeitig erzählen sein Tonfall, seine Körperhaltung, seine Mimik etwas ganz anderes: Weiterhin ist Schmidt, dieser Kauz, nicht versöhnt mit den Zumutungen, die ihm jede Veränderung abfordert. Und wieder einmal wäre es nur gerecht, wenn Nicholson für so viel Mut zur Unebenheit den mittlerweile vierten Oscar erhalten würde.

Demnächst spielt er übrigens in schönster Konsequenz an der Seite des neuen US-Superstars der Brachialkomik, Adam Sandler. Anger Management wird dieser Film heißen, an dessen Drehbuch Nicholson dem Vernehmen nach sogar mitgeschrieben hat. Die Handlung: Einem jungen Choleriker wird ein exzentrischer Therapeut verordnet. Da fliegen die Fetzen ... (DER STANDARD, Printausgabe, 26.2.2003)