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Die große Gewinnerin der diesjährigen Grammy Awards: Norah Jones
Foto: REUTERS/PETER MORGAN

Nennen Sie es Morbus Lauryn Hill. Diagnostizieren Sie ein akutes Alicia-Keys-Syndrom. Und ziehen Sie jetzt eine direkte Linie zu Norah Jones. Allesamt sind sie gesegnet mit jeweils sensationellen fünf Grammies! Junge Frauen bestätigen seit gut zehn Jahren bei den Grammy Awards gern die Ausnahme von der Regel. Hier im Mittelmaß regieren sonst Rockgötter wie Bruce Springsteen oder Bono Vox. Und Eric Clapton erhebt Anspruch auf alle Kategorien, die nicht schnell genug vor ihm flüchten können.

Zwar sollte es heute eine Selbstverständlichkeit sein: Wenn aber junge Künstlerinnen auf den Plan treten, die ihre Songs sensationellerweise selber schreiben, obendrein noch gut aussehen und bei ihrem Vortrag nicht dazu neigen, das Bild von der kessen Biene übermäßig zu strapazieren, scheint dies bei den älteren Herren im Hintergrund der Grammy Awards den Johannistrieb in Gang zu setzen.

Die 23-jährige Songwriterin und gelernte Jazzpianistin Norah Jones fügt sich dementsprechend ideal in dieses Bild. Ein bisschen sehr brav, sehr, sehr fleißig - und ein ganz kleines bisschen lasziv. Ihr Albumdebüt Come Away With Me aus dem Jahr 2002 ist demnach auch jenem gediegen-melancholischen und heiter-gelassenen Grundton verpflichtet, der sich dem Moll der blauen Stunde verpflichtet fühlt. Nightingale, The Long Day Is Over, Lonestar, Shoot The Moon: An ihren Songtiteln sollt ihr sie erkennen!

Hier lauert in plüschiger Barjazz-Atmosphäre mit heruntergedimmten Tischlampen das Prädikat "Besonders wertvoll!". Die Musik der Zeit ist heuer wieder einmal zeitlos. Wir hören eine rauchige, lakonische Gesangsstimme, zart hingetupfte Pianoläufe, gemütlich gezupften Kontrabass und ein verschlurftes Beserlschlagzeug. Als Referenzgrößen dienen der Fachpresse dann auch nur die allergrößten Namen, von Billie Holiday und Nina Simone aufwärts.

Trotz aller Kritik, Norah Jones kann für ihren unverhofften Aufstieg zum Popstar am allerwenigsten. Die beim altehrwürdigen Jazzlabel Blue Note unter Vertrag stehende Künstlerin sieht sich wohl auch eher im Jazzklub als bei MTV beheimatet. Sie könnte sich obendrein fragen, warum sich ihre Kollegin Diana Krall mit ihrem ident klingenden Album Live In Paris heuer damit begnügen muss, nur für das "beste Vocal-Jazz-Album" geehrt worden zu sein. Allerdings: Jones ist 23, Krall 38.

Auf eine ausführlichere Biografie von Jones muss wegen bisheriger Ereignislosigkeit noch gewartet werden. Fürs Erste so viel: Ihr Vater Ravi Shankar brachte in den Sixties über die Beatles die indische Musik und die Sitar in die Popwelt. Norah wuchs bei der Mutter in Texas auf und war ein braves, musikalisch sehr begabtes Kind. Ihr Freund Lee Alexander begleitet sie am Bass. Sie lebt in New York. (Christian Schachinger, DER STANDARD,. Print-Ausgabe vom 25.2.2003)