... nicht die Existenz anderer. P. hat recht. Obwohl wir in meinem Traum nichts anderes tun, als nebeneinander herzugehen.

Der Traum beginnt als Closeup: P. und ich. Einen Meter voneinander entfernt. Wir reden kein Wort. Wir lächeln. Wie Männer, die nicht reden müssen, um einander zu verstehen: In sich ruhend. Zufrieden. Gefestigt. Dann wenden wir. Der Abstand vergrößert sich. Wortlos lächelnd gehen wir weiter. Der Blickwinkel ändert sich: Frontal, schräg von oben. Zwischen uns eine Hecke. Sattgrün, hüfthoch, rechteckig geschnitten. Links und rechts makelloser, gänseblümchenfreier, malkastengrüner Rasen. P. und ich schieben Rasenmäher.

An dieser Stelle beginnt P. - im echten Leben - zu fluchen und mit Dingen nach mir zu werfen. Im Traum zoomt die Kamera weg: P. und ich mähen in identen Kataloggärten Rasen. In den Gärten stehen Einfamilienhäuser. Das Eine ist die Spiegelung des Anderen. Griller auf der Veranda, Sand- und Kinderspielzeug beim Klettergerüst. Vorzeigeweibchen, die Gartentische decken. Vans vor den Garagen. Zwei Hunde. Schnitt. Totale: Die Häuser liegen inmitten einer dieser per Copy-Paste-Architektur hingeklatschten Mittelstandsspießer- Einfamilienhaussiedlungen im Speckgürtel irgendeiner Stadt. P. schlägt mir - im echten Leben - vor, einen Therapeuten zu suchen. Und nie wieder anzurufen.

Lagunenfahrt

Irgendwann habe ich A. von diesem wiederkehrenden Traum erzählt. Kürzlich holte sie deshalb zum präventiven Therapie- oder Gegenschlag aus: Ein Bekannter plant, sich im Fadgasemmissionsgürtel ("Was habt ihr? Kinder brauchen frische Luft. Und mit dem Wagen ist man in zehn Minuten beim Shoppingcenter") anzusiedeln und fragt wegen häuslbauerhilfstechnischer Qualitäten herum. Ich bin ein saumäßiger Handwerker. Aber anfällig für "Tool-Time"-artige Männlichkeitsrituale. A. packte mich - und fuhr in die Blaue Lagune, die Musterhaussiedlung bei der SCS.

Ich war schon hier. Einmal im Rahmen einer Kunst- oder Filmgeschichte. In etlichen Häusern fanden Parties statt. Ein anderes Mal, als der legendäre "Panoptische Kreis" eine Bus-Studienfahrt an diesen Ort gleichgeschalteter Existenzumantelungen organisierte. Beide Male war ich geschützt. Im Nukleus einer Gruppe sich erhaben und überheblich gebender Menschen (der, der jetzt in den Speckgürtel ziehen will, war beide Male dabei). Diesmal war es anders. A. und ich passten hierher: Heteropaar. Kinderkompatibles Alter. Mittelständisch-urbane Gesichter und Kleidung. Ein Auto, das den in den Häusern wartenden Maklern von zufriedenen Kontobetreuern bei der Bank kündete.

Möbelfaktaexistenzen

Die Häuser? Schlimmer. Weil echt. Alle paar Meter verstärkte A. den Druck ihrer Hand. Nach einer Viertelstunde flüchteten wir. Wirklich schrecklich, sagte sie nachher, wären die Gesichter der anderen Leute gewesen. Die wären nämlich wie die Musterhäuser gewesen: Beinahe-hübsch und so demonstrativ optimistisch. Mit genau jenen Träumen, die man dort erwarten dürfe. Dürfe. Nicht etwa könne. Aber einen Schritt hinter den Fassaden war dann nichts mehr. Leere. Passend für Normmöbel, Systemküchenzeilen, Musterleben und Standardexistenzen. Für Selbstabholer. Narrensichere Bauanleitung. Möbelfakta-zertifiziert.

Wenige Tage später hatte A. einen Albtraum. Sie habe sich, erzählte sie, auf einer dieser Veranden gesehen. Beim Jausentischherrichten. Aus dem Nachbarhaus habe ihre Freundin J. gewunken. J. - die im echten Leben - wurde blass: Vor kurzem hätte sie ihren Freund in eine dieser Musterhaussiedlungen am Stadtrand geschleppt, sagte sie. Schocktherapie. Ihr Freund habe in letzter Zeit seltsame Träume. J.'s Freund heißt übrigens P.

Nachlese

--> Valentinsdebakel
--> Die Mulde
--> Die Tunnel unter der Stadt
--> Flugrattenpflege
--> Telefonieren für 0 Cent
--> Spaß mit den Nachbarn
--> Drei Zentimeter
--> Noch ein Zimmer
--> Eleanor Rigby
--> Quartierschreberei revisited
--> Weitere Stadtgeschichten ...