Antonio Missiroli, Chef des Brüsseler Thinktanks European Policy Center

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STANDARD: Wie nachhaltig sind die Maßnahmen im Kampf gegen die Finanzkrise, die am vergangenen Sonntag beschlossen wurden und nun am EU-Gipfel auf alle 27 Mitgliedstaaten ausgedehnt werden sollen?

Missiroli: Die EU – die Institutionen wie auch Staats- und Regierungschefs und Finanzminister – hat erst sehr spät den Ernst der Lage begriffen. Warnsignale in den Wochen und Monaten davor wurden übersehen. Dies auch deswegen, weil der Euro und der Stabilitäts- und Wachstumspakt die Eurozone sehr gut abgeschirmt haben. Ohne Euro hätte wir möglicherweise schon vorher Spekulationen auf die Entwicklung einzelner Währungen gesehen und Abwertungen, um Wettbewerbsvorteile zu lukrieren.

Da hätte es schnell "Jeder gegen jeden" heißen können, das Ergebnis wäre ein fürchterliches Chaos gewesen. Der Wachstums- und Stabilitätspakt selbst ist aber nur für Schönwetterphasen gemacht, die Antworten auf die Krise mussten also improvisiert werden. Die Zentralbank hat bewiesen, dass sie flexibel sein kann. Erstmals gab es eine weltweit akkordierte Zinssenkung, das war schon beeindruckend und zeigt, wie kritisch die Lage war.

STANDARD: Waren die Antworten der Staats- und Regierungschefs auf die Krise angemessen?

Missiroli: Es wurden die richtigen Antworten gefunden – wenn auch erst beim zweiten oder dritten Versuch. Besonders unglücklich war das Treffen der vier größten EU-Mitglieder vor knapp zwei Wochen in Paris. Da gab es voreilige Ankündigungen der französischen Präsidentschaft, einen EU-Fonds mit mehr als 300 Milliarden Euro auflegen zu wollen. Das scheiterte an Deutschland, und nur einen Tag später wurden die Probleme der Hypo Real Estate bekannt, die diesen Fonds gut hätte brauchen können.

Das hat Frankreich leider nicht gut gemacht, und es hätte zuerst mit Deutschland reden sollen und dann mit den Medien. Und Deutschland war zu lange der irrigen Meinung, deutsche Banken wären von der Krise kaum betroffen. Es ist also nicht unbedingt eine reine Erfolgsstory. Aber bis jetzt scheint es nach dem Eurozonen-Gipfel am Sonntag in Paris zumindest ein Happy End zu geben. Die Garantien sind gut geeignet, die Lage zu beruhigen.

STANDARD: Wie soll es jetzt weitergehen? Sind neue Regeln für die Finanzwelt nötig?

Missiroli: Ja, auf jeden Fall muss man jetzt das Momentum ausnützen, um die Branche neu zu regeln. Denn wahrscheinlich ist die Krise noch nicht vorbei. Es könnte neue, unerwartete Zusammenbrüche geben, und deswegen sind neue Verhaltensregeln notwendig. Da könnte man den Stabilitäts- und Wachstumspakt ausbauen und festlegen, was bei schlechtem Wetter und Sturm zu machen ist. Das muss aber jetzt gemacht werden.

STANDARD: Ein Punkt auf der Gipfelagenda ist der Vertrag von Lissabon. Welche Fortschritte erwarten Sie hier? In Diplomatenkreisen geht man davon aus, dass eine neue Abstimmung erst in etwa einem Jahr stattfinden soll.

Missiroli: Es wird einen Bericht des irischen Premiers geben. Für Termine oder Festlegungen ist es noch zu früh. Erst im Dezember für den nächsten Gipfel erwarte ich mir einen Fahrplan.

STANDARD: Was bedeutet das für die EU-Wahlen im Juni und die neue Kommission, die am 1. November 2009 ihr Amt antreten soll?

Missiroli: Meine Erwartungen sind, dass das nächste Parlament noch auf der derzeitigen Basis, dem Vertrag von Nizza, gewählt wird, die nächste Kommission aber bereits auf Basis des Vertrages von Lissabon und daher also vorerst nicht verkleinert werden muss.

STANDARD: Wann würde nach diesem Plan in Irland abgestimmt?

Missiroli: Im späten September oder Anfang Oktober. Die alte Kommission könnte ein, zwei Monate länger im Amt bleiben und die neue zusammen mit dem Vertrag von Lissabon ihr Amt antreten. Es gibt auch eine Möglichkeit, die Kommission planmäßig mit 1. 11 .2009 ihr Amt antreten zu lassen: mit nur 26 Kommissaren. Das Land, das den Hohen Beauftragten für die Außenpolitik stellt, bekommt vorerst keinen Kommissar. Wenn dann der Vertrag von Lissabon etwa am 1. 1. 2010 in Kraft tritt, wird der Hohe Beauftragte dann automatisch auch Kommissar. (Michael Moravec, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.10.2008)