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Claudia Bosse und Christine Standfest (li.) lassen Jelineks "Bambiland" über Lautsprecher in den Stadtraum strömen

Das Wiener theatercombinat arbeitet an zeitgenössischen Modellen der Tragödie. Wie Klangobjekte bei der chorischen Installation zu Elfriede Jelineks "Bambiland" zum Einsatz kommen, erfuhr Margarete Affenzeller von Claudia Bosse und Christine Standfest.

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Wien - Theater fährt.  Auf vier Rädern und mit Lautsprechern. Auch Umschnallmegafone sind im Spiel, wenn das theatercombinat ab Mittwoch, 18 Uhr, Elfriede Jelineks Kriegssermon Bambiland mittels mobiler Klangobjekte in den öffentlichen Stadtraum verströmen lässt. Die Rede - in Anlehnung an Aischylos' Die Perser entlang des Irakkrieges abgefasst - perpetuiert dessen Medialisierung und thematisiert damit das Sprechen als politischen Akt. Begonnen wird am Schwarzenbergplatz. Auch das Haus des Meeres, der Gefechtsturm Arenbergpark und der Rennbahnweg kommen dran.

STANDARD: Christoph Schlingensief hat den Text bei der Uraufführung 2003 am Burgtheater beinahe zur Gänze ausgeklammert.

Bosse: Er hat den Text als methodische Vorlage verwendet, was sein gutes Recht ist. Mich interessiert die Politik des Sprechakts, seine Gewalt und seine Möglichkeiten und seine Irrelevanz vielleicht. Ich habe großen Respekt vor dem Text Jelineks und den permanenten Auflösungen in Nichtpointen, der Unmäßigkeit, dem Verirren.

STANDARD: Eine Verunsicherung, die eine ständige Überprüfung der Sprache erfordert.

Bosse: Genau. Es steht hier zum Beispiel ein Wort, und dieses Wort steht auch im nächstfolgenden Satz. Nur wird es dort völlig umbedeutet. Dieser Staffellauf von Umbedeutungen ist enorm fordernd. Der Text ist eine Art ideologischer Suada, die diese Kriegssituation als Material nimmt, um prinzipielle politische und ökonomische Verhältnisse zu verhandeln.

STANDARD: Anne Bennent spricht diesen Text, ihre Stimme wird multipliziert.

Bosse: Es ist immer Anne Bennents Stimme, die sich mehrfach überlagert. Das ergibt einen Chor mit immer derselben Stimme; eine schizophrene Auflösung des Textkonstrukts. Und diese chorische Stimme wird im öffentlichen Raum "aufgespannt" - mittels Klangobjekten, die von Performern in Mustern und Rhythmen zueinander bewegt werden. Bambiland funktioniert über eine permanente Adressierung des Rezipienten.

STANDARD: Was sind das für Klangobjekte?

Bosse: Das sind zwölf Lautsprecher, deren Widerhall mittels Parabolspiegels erzeugt wird. Das Ganze ist auf Gepäckswägen montiert und wird von Performern durch den Stadtraum bewegt bzw. geschoben. Parabolspiegel sind eigentlich Bildempfänger; hier werden sie zu Tonabstrahlern.

STANDARD: Das klingt nach Hightech-Theater.

Bosse: Eher Vintage-Fiction.

STANDARD: Sie haben im Vorjahr "Die Perser" von Aischylos inszeniert, nun Jelineks "Bambiland", das eine "Überschreibung" dieses antiken Stückes ist. Was sind die elementaren Unterschiede in der Arbeit?

Bosse: Bambiland hat keine Protagonisten mehr, keine Gegenparts. Es gibt zwar eine Stimme, aber sie spricht in Masken, in Verkleidungen. Jelinek benutzt Anmutungen von Sprache, die bestimmte Versprechen auslösen. Und genau da setzt sie andere Information hinein. Damit macht sie misstrauisch gegenüber dem, was gesagt und wie es gesagt wird.

STANDARD: Wie laut wird am Schwarzenbergplatz aufgedreht, damit die Stimme gehört wird?
Standfest: Der öffentliche Raum ist hochreguliert! Es ist klarerweise eine Sache von Lautstärke, aber auch von einer Ökonomie der Aufmerksamkeit.

Bosse: Die Akustik im öffentlichen Raum ist wesentlich rigider geregelt als die Optik. Die Angst vor Belästigung ist groß, das haben unsere Verhandlungen bisher gezeigt.
Standfest: Was Angst macht, ist aber auch die Tatsache, dass hier eine (weibliche) Stimme erhoben wird. Das macht diesen Versuch auch so interessant: Im Theater gibt es bestimmte Regulative zum Erheben der Stimme, es ist dort die Norm. Außerhalb des gesicherten Kunstraumes ist das nicht so leicht. Sieht man von Wahlkampfreden und anderen Werbeveranstaltungen ab ...

STANDARD: Für 2009 ist eine integrale Version aller Teile der "Tragödienproduzenten" in Wien geplant. Wie geht sich das aus, wo doch für "Die Perser" allein 500 Menschen als Performer im Einsatz waren?

Bosse: Das würde den Rahmen sprengen, obwohl wir uns erlauben, trotz der bescheidenen Mittel in großen Dimensionen zu denken. Einerseits planen wir, alle vier Teile noch einmal einzeln zu zeigen. Und nächsten Herbst, falls wir die Vierjahresförderung erhalten, wollen wir an der integralen Version arbeiten. Das wäre dann eine neue Tragödie, der Versuch eines zeitgenössischen Modells.

STANDARD: Geht mit Jelinek die Postdramatik in Prädramatik über?

Standfest: Die rein formale Diskussion von Prä- und Postdramatik entpolitisiert die Inhalte. Die antike Tragödie ist ein gigantisches Öffentlichkeitsmodell, das Politk über Theater vermittelt hat, war also eigentlich superrepräsentativ. "Prädramatik" hat oft den Charme des Subversiven. Mich interessiert der Rückgriff auf Die Perser vor allem als politische Deutung von Freund-Feind-Verhältnissen. Wer attackiert da wen? In der Postmoderne ist das Wiederherholen von Modellen und Material natürlich wichtig. Wie wird Sprechen erzeugt? Wichtig für unseren Arbeitsprozess sind unterschiedliche Modulationen und Artikulationen, mit denen wir spielen.

Bosse: Wir operieren damit, dass sich eine Praxis von der anderen abstößt.

Standfest: Das Bemerkenswerte an Bambiland ist ja, dass kein souveränes politisches Subjekt spricht, kein repräsentativer Intellektueller. Niemand weiß, wer die Talkingheads sind. (DER STANDARD Printausgabe, 14.10.2008)