Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war gestern. Da meldete sich Herr T. wieder. Herr T. war vor einigen Wochen Gast einer Brauerei, als Samy Molcho über angewandte Kundenfreundlichkeit gesprochen hatte. Und wie recht der einstige Pantomime mit seiner These, dass es absurd sei, wie viel Geld Unternehmen in PR und Werbung investieren, während sie dann im direkten Umgang mit dem Kunden kleinlich würden, gehabt habe, erzählte Herr T., habe er gerade am eigenen Leib erlebt.

Herr T. hat eine Nichte. Die wurde neun. Zum Geburtstag bekam sie ein iPhone. Wozu eine Neunjährige das braucht, wollte auch die - überraschend und ohne Absprache - schenkende Großmuter nicht sagen. Aber dem Kind das Spielzeug wieder wegnehmen, ging schwer. Also wandelte Herr T. seinen Glitzertrash-Schmuckgutschein um: Als cooler Onkel würde er der coolen Nichte eine Schutzhülle fürs Handy besorgen.

Zubehörshop

Der Onkel eilte also in einen iPod- und iPhone-Zubehörshop in einer einst popeligen Passage. Dort nahmen zwei schicke Verkäufer Hüllen aus den Verpackungen und zeigten sie Herrn T. Der entschied sich für eine - und eilte zur Nichte.

Die Hülle gefiel, wurde übergezogen - und dann kam die Ernüchterung: Die Gummihülle schützte das Gerät so gut, dass Kinderfinger nicht stark genug waren, die Knöpfe an der Seite des Telefons zu drücken. Macht nichts, dachte sich Herr T. - und stand am nächsten Tag wieder im Geschäft.

Kein Umtausch

Dort aber erlebte er sein blaues Wunder: Die beiden Verkäufer, die tags zuvor sechs oder sieben Hüllen aus ihren Verpackungen geholt und zum Test sogar über ein Telefon gezogen hatten, wollten von Umtausch oder gar Rückgabe nichts wissen: Die Gummihülle habe schließlich ihre Verpackung verlassen. Sie gelte also als benutzt. Folglich könne sie nicht mehr verkauft werden. Und da die Hülle bei Erwachsenenfingern (obwohl auch der Händler zugab, dass man bei diesem speziellen Modell schon viel fester und präziser als bei anderen Hüllen drücken müsse) funktioniere, könne sich Herr T. brausen gehen: Ein Recht auf Umtausch bestehe nämlich nur bei fehlerhafter Ware. Und aus.

Herr T. war, erzählt er, an dieser Stelle baff. Die Paragraphen über Umtauschrecht und Gewährleistungspflicht seien ihm bekannt. Aber üblich und kundenfreundlich, sei derlei nicht - und nicht nur nach Weihnachten sei es doch eigentlich durchaus üblich, Ware zurückzunehmen und gegen Gleichwertiges zu tauschen. Zumindest innerhalb gewisser Fristen, mit Rechnung und wenn das Gut unversehrtem ist. Und eine Handyhülle, meint Herr T., sei wie ein Kleid, eine Küchenmaschine oder ein Buch: Auspacken oder anprobieren sollte drin sein. Und a propos "auspacken": die Verpackung sei ja vorher geöffnet worden - im Geschäft.

Kein "Du" mehr

Die coolen Verkäufer im iPhone- und iPod-Zubehörladen im Altbaudurchgang schüttelten die Köpfe. Ihre Sprache und ihr Benehmen, betonte Herr T., seien die ganze Zeit über tadellos geblieben - einzig, dass sie vom kumpelhaften "Du" ins distanzierte "Sie" gewechselt hatten, als klar geworden war, dass da einer mit einer Reklamation vor ihnen stand, sei auffällig gewesen. Aber, merkte Herr T an, sogar später noch, als man bei den beiden Herren und bei ihm wohl das Blut in den Halsschlagadern pulsieren sehen konnte, habe niemand - auch er nicht - die Stimme erhoben oder Schimpfworte oder Dialekt eingesetzt.

Dennoch eskalierte die Situation. Herr T. fragte die Verkäufer, was sie zu tun gedächten: Seine Nichte hatte nämlich als erstes die Klarsichtschutzfolie für den Touchscreen ausgepackt - und so ungeschickt aufgeklebt, dass die Folie Schaden genommen hatte. Ohne mit der Wimper zu zucken, griff einer der Verkäufer in eine andere Hüllenpackung - und holte eine neue Folie heraus. Die reichte er Herrn T. Aber die Hülle umtauschen? Auf keinen Fall. Weil die Packung geöffnet worden sei.

Unlogisch

Herr T. sagte, dass er das seltsam fände. Und unlogisch: Das Verschleißprodukt - die Folie - hole der Händler aus einer Verpackung. Die öffne er dafür vor dem Kunden. Aber wenn der Kunde Verpackung und Hülle (samt Rechnung) einen Tag später zurückbrächte, sei das ein Problem. Zwei Händler zuckten mit vier Schultern: So sei das eben. Herr T. solle ruhig in einen der großen Läden auf der großen Einkaufsstraße nebenan gehen. Da bekäme er nicht einmal die Folie. Angreifen dürfe er dort - im Laden - gar nix.

Herr T. war grantig: Kundenfreundlich, meinte er, sei das nicht. Und schlau auch nicht. Denn sogar, wenn die Hülle durch das Herausnehmen durch den Kunden wider alle Umtauschusancen und wider Erwarten nun unverkäuflich sei, frage sich, ob das den Verlust eines Kunden, der wieder gekommen wäre, Wert sei. Mehr noch: Ob diese 15 Euro dafür stünden, dass er, Herr T., den Laden in seinem Umfeld - und da kauften doch einige Menschen Prestigetelefone -nicht empfehlen werde. Ganz im Gegenteil.

"Die Tür"

Da wurden, erzählt Herr T., die Händler böse. Richtig böse. Erpressen, sagte einer von ihnen, ließen sie sich nicht. Und, setzte der andere fort, wenn Herr T. sich „gebärde", werde man ihm die Schutzfolie wieder weg nehmen. Dann übernahm der erste Händler wieder: Auf Erpressungsversuche, wiederholte er, habe er nur eine Antwort: „Dort ist die Tür."

Herr T. packte Hülle, Folie, Hüllenverpackung und Rechnung ein - und ging. Auf der großen Einkaufstraße fielen ihm die Worte des Händlers über die Ketten wieder ein. Und er dachte, dass er vielleicht wirklich zu Unrecht grantig geworden sei. Also ging er ins erstbeste Elektrogroßgeschäft - und fragte nach iPhone-Hüllen.

"Schau ma mal"

Ein freundlicher junger Mann öffnete anstandslos Verpackungen. Herr T. sagte, dass er da ein kleines Problem habe - und zeigte ihm die Hülle der Nichte. Aber umtauschen, könne er die hier ja wohl nicht - sie stamme doch von anderswo. Der Verkäufer, ein Lehrling, sagte: "Schau ma mal". Und holte den Abteilungsleiter.

Der sah sich Hülle, Folie und Verpackung an - und machte eine Ausnahme: "Eigentlich tauschen wir nur, was bei uns gekauft wurde. Aber das Ding ist offensichtlich nicht verwendet worden - und diese Hüllen gehen super." Als er Herrn T. seine Karte gab und sich verabschiedete, wandte er sich dem Lehrling zu: "Gut gemacht. Das kostet uns heute ein paar Euro - aber der Mann kommt wieder. Und zwar dann, wenn er wirklich Geld ausgibt." (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 13. Oktober 2008)