Wo hört die Rolle auf, wo beginnt das eigene Leben: Valeria Bruni-Tedeschi reflektiert intelligent und komisch ein Schauspielerinnendasein.

Foto: Polyfilm

Wien - Eine Frau Anfang vierzig, Schauspielerin von Beruf, beginnt mit den Proben für ein neues Stück: Turgenjews Ein Monat auf dem Lande, inszeniert von einem ehrgeizigen Regiekünstler, mit einem Ensemble von Kolleginnen und Kollegen, mit denen sie Vergangenheit teilt und anderen, jungen, die Marcelline, den Star, scheu bewundern. Aber die Arbeit gerät fortwährend ins Stocken, die Hauptdarstellerin wird von Ängsten geplagt, die der Regisseur mit cholerischen Anfällen nicht eben mildert. Selbst eine alte, scheinbar geerdete Studienfreundin wird von der seltsamen Unruhe erfasst.

Parallel dazu wird die alleinstehende Marcelline privat nicht nur vom Eintreffen ihrer eigenen Mutter überrascht, sondern plötzlich auch vom intensiven Wunsch nach einem Kind getrieben. Der Film verfolgt einen unerklärlichen Aufruhr der Gefühle, die Erfahrung eines Umbruchs - wobei einander Leben und Arbeit, die Erforschung einer Rolle und die peinliche Selbstbefragung, Bühnenangst und Angst vor der Wirklichkeit ständig aufs Irritierendste überlagern.

Die Vermischung geht diesseits der Leinwand weiter: Eine Frau, Anfang vierzig, Schauspielerin von Beruf, hat sich einen Film gewissermaßen auf den Leib geschrieben. Valeria Bruni-Tedeschi, zunächst rund zwanzig Jahre lang Darstellerin von profilierten Frauenfiguren in den Filmen anderer, stellt mit Actrices ihre zweite Regiearbeit vor. Und wie bei ihrem Debüt Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr (2003) sind auch hier partielle Verwechslungen der Biografie von Darstellerin und Figur nicht auszuschließen.

Privatleben, Privatsache

Aber die Sache ist immer schon kompliziert. Bruni-Tedeschi, die im Vorfeld von Interviews schon früher übermitteln hat lassen, dass ihr Privatleben kein Gegenstand des Gesprächs sein dürfe, wirkt nunmehr, da ihre Schwester Carla mit niemand Geringerem als dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy liiert ist, im Gespräch mit dem Standard noch reservierter.

Um dann im nächsten Moment einzuräumen, dass sie doch in jedem Film mit ihrem Körper, ihren Erfahrungen und mit sich selbst als Material arbeite: "Das bedeutet aber nicht, dass ich so eine Beziehung zu meiner Mutter habe oder dass ich so lebe - die Ereignisse muss ich nicht genau so erlebt haben, beziehungsweise ist das ja völlig egal. Es bedeutet nur, dass ich diese Art von Gefühlen kenne. Und dabei geht es mir nicht ums ,Gefühlige', sondern um tiefe Intensitäten - die interessieren mich."

Interessiert haben Bruni-Tedeschi bei ihrer intelligenten, aber auch komischen Variation aufs Theater als Arbeitsfeld und soziales Milieu auch verwandte Filme: Joseph L. Mankiewicz' All About Eve etwa, Louis Malles Vanya on 42nd Street oder John Cassavetes' Opening Night. Mit den Verkörperungen der Cassavetes-Filmfrauen durch Gena Rowlands kann sich Bruni-Tedeschis Arbeit an Marcelline jedenfalls allemal messen - und auch in dieser Hinsicht öffnet Actrices noch einmal neue Perspektiven auf sich selbst: als Dokument einer künstlerischen Leistung, wie man sie im Kino nicht alle Tage sieht. Exemplifiziert anhand eines ebenso raren wie vielschichtigen Entwurfs einer zeitgenössischen Frauenfigur.

Körper zuerst

Im Film brüllt der Regisseur, den Mathieu Amalric spielt, einmal: "Ich will Körper, keine Psychologie!" Bruni-Tedeschis Zugang hingenen scheint noch einmal ein anderer zu sein: "Ich denke schon, dass die Psychologie sehr wichtig ist - und auch, dass es aufregend ist, zu verstehen, was in jemandes Kopf vorgeht. Der Körper kommt danach, ist eine Konsequenz der Gedanken und Gefühle und Ängste einer Figur. Und dafür interessiere ich mich - für Gefühle, Gedanken. Der Körper spricht, er sagt Dinge. Ob man jemanden anschaut oder wegschaut, das verrät doch etwas - jemand ist traurig, müde, verängstigt. All das interessiert mich im Leben, aber fast noch mehr in Bezug auf Schauspieler. Wenn ich sie ansehe, ihnen nahe bin, dann möchte ich damit arbeiten. Angst zum Beispiel kann auch etwas Positives sein, wenn man sie akzeptiert. Wenn man einem Schauspieler den Eindruck vermittelt, dass Angst verboten ist, wird sie zu einem Handicap. Man muss sie annehmen. Damit arbeite ich gern."

Und wie funktioniert eigentlich die Arbeitsteilung zwischen der Regisseurin Bruni-Tedeschi mit sich selbst als Hauptdarstellerin?

"Ich weiß nicht - ich mache eben einen Film. Ich bringe meine Erfahrung als Schauspielerin ein, das ist eine Tätigkeit, die mir vertraut ist. Zugleich achte ich auf die anderen Schauspieler, spreche mit ihnen, leite sie an - so wie ich auch selbst angeleitet, dirigiert werden möchte. So ehrlich und einfach wie möglich. Und dann rühre ich um, aber wie das genau zustande kommt, das lässt sich nicht erklären." (Isabella Reicher / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.10.2008)