Der Mönch Dignaga (Mitte) war Gründer der buddhistischen erkenntnistheoretischen Schule, Dharmakirti war sein Schüler und entfaltete die Lehre in Kommentaren.

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Beide zählen zu Ernst Steinkellners Lieblingsphilosophen.

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Noch vor einem Vierteljahrhundert sagten logisch-positivistisch orientierte Denker gern, östlich von Suez gebe es keine Philosophie. Dass diese eurozentrische Auffassung relativiert wurde, hat mit dem wachsenden Interesse an anderen Weltbildern zu tun, die durchaus jenseits des Mittelmeeres angesiedelt sind oder waren. Daran hat der Tibetologe und Buddhismusforscher Ernst Steinkellner einen nicht unbeträchtlichen Anteil gehabt.

Am kommenden Wochenende wird er dafür mit dem Ludwig-Wittgenstein-Preis der Österreichischen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet. Fachkollegen aus Wien, Deutschland, Belgien, der Schweiz und den USA kommen an der Akademie der Wissenschaften zu einem Symposium zusammen, das ihm und einer für ihn zentralen Frage gewidmet ist: Denkt Asien anders?

Wie im Buddhismus Erkenntnis analysiert wird; welche Schriften und Auslegungen dieser Tätigkeit überliefert sind, wie diese zu übersetzen und zu interpretieren sind; wie man mit diesem Kanon umgeht - kurz, was es zum Denken von anderen Verbindliches zu sagen gibt, das ist zum Aufgabengebiet von Steinkellner geworden.

Die Philosophie betrachtet er als "Basisexerzierfeld für die Annäherung an diese Themen" . Er selbst kommt von der Indologie und dem Sanskrit-Studium und hat nach zwei Jahren an der University of Pennsylvania in Wien 1973 das Institut für Tibetologie und Buddhismuskunde überhaupt erst gegründet. Geburtshelferin war die damalige Ministerin Firnberg, die offenbar geahnt hatte, dass dieses Fach einmal über das Akademische hinaus Bedeutung gewinnen würde.

Viele Jahre waren der Aufbauarbeit gewidmet, dem Interpretieren und Bearbeiten tibetischer Dokumente, der Vernetzung mit Institutionen in aller Welt. 1991 leitete Steinkellner eine Expedition zum Kloster von Tabo im Himalaya und begann mit der Erschließung von dessen Handschriftensätzen. Es gehe ihm darum, sagt der "Ideenhistoriker" (Selbstdefinition), die Tradition aufzuschließen, "um komplexere Bilder von bereits vermittelten Weltsichten zu bekommen" . Auf den Erkenntnisgehalt angesprochen, stellt er zunächst klar, dass es für ihn kein prinzipiell "anderes" asiatisches Denken gibt: Es folge ebenso wie das abendländische den logischen Regeln. Allerdings lasse sich mit diesen Regeln je anderes entwickeln bzw. voraussetzen, "im Buddhismus etwa das Prinzip der Anfangslosigkeit. Die Kausalkette des Seienden setzt sich in Zukunft und Vergangenheit endlos fort."

Anerkennung durch China

Daraus ergibt sich eine andere Welterfahrung als die westliche. Sie ist zudem eingebunden in einen religiösen Rahmen. "In der traditionellen asiatischen Philosophie gibt es keine Abgrenzung zur Theologie - so wie bei uns bis zur Aufklärung. Im heutigen Indien oder China natürlich schon. Da wird Philosophie gelehrt wie im Westen" , das Gedankengebäude des Marxismus sei ja außerdem in China verbindlich.

Womit Steinkellner in der Gegenwart ankommt, in der sein angebliches Orchideenfach politische und kulturelle Relevanz gewinnt. Zwischen dem Chinesischen Tibetforschungsinstitut und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gibt es mittlerweile einen Vertrag zur gemeinsamen Erschließung der Sanskrit-Texte in den Klöstern, man ist nicht mehr nur auf tibetische Übersetzungen angewiesen. Vier Bände sind bereits erschienen.

Einerseits konnten Steinkellner und die zahlreichen Tibetologen, die durch seine Schule gegangen sind, ihren Wissensstand wesentlich vertiefen - "und in 20 Jahren werden wir noch mehr wissen" . Zum anderen stellt er fest, dass Teile der chinesischen Führung die tibetischen Leistungen sui generis zu würdigen beginnen. "Trotz der Olympischen Spiele" , sagt Steinkellner. "Das ist nicht das Ende der Entwicklungen." (Michael Freund/DER STANDARD, Printausgabe, 8.10.2008)