Ein spanisches Küchenmädchen wartet auf Patienten/Publikum. Diese müssen dann Wurst schneiden, Eier mit der Hand schlagen oder das Klo putzen - alles Teil der Therapie von Signa.

Foto: Signa

Graz - So etwas gab es beim steirischen herbst noch nie: In die Anstalt des dänisch-österreichischen Duos Signa (Signa Sørensen und Arthur Köstler) kann man sich selbst einweisen und, nachdem die schwere Tür an der Rückseite des alten Museums Joanneum zugefallen ist, sein Leben hinter sich lassen. Mindestens sechs Stunden muss man sich von strengen Schwestern und Ärzten in der so- genannten Nonstop-Performance- Installation "behandeln" lassen. Es gebe "kein Außen", so der Pressetext. Doch, so viel muss nach sechs Stunden gesagt werden, es gibt ein Außen, und man sehnt sich schon nach einer Stunde danach.

Optisch hat das Duo, das zuletzt mit einem detailgetreu gebauten Dorf in Deutschland einen Publikumsmagneten schuf, auch im staatlichen Krankenhaus für Amnesiepatienten von Chefärztin Dorine Chaikin (Signa Sørensen) in Graz ganze Arbeit geleistet. Ein Heer von Ausstattern muss ganze Caritas-Läden leergekauft haben. Die in den 1950ern eingefrorene, an Peter Weirs Truman Show oder Pleasantville von Gary Ross erinnernde Welt, birgt bis in die letzte Schublade keine moderne Requisite. Zudem rauchen alle wie in jenen Filmen, als es für die Schädlichkeit von Zigaretten noch kein Bewusstsein gab. Die Rauchschwaden vermengen sich mit penetrantem Aftershave der Ärzte und Raumspray der Küchenmädchen.

Damit die Besucher dazupassen, wird ihnen wirklich alles genommen: Handy, Schmuck, Gewand samt Unterwäsche. Dafür gibt es kochfeste Baumwolle. Auf das Nachthemd wird ein Namensschild mit neuem Namen gesteckt. Dann gibt es Therapien, die schlechte Parodien auf Esoterik- und Selbstfindungs-Kisten sind.

Zur Komplex-Nord-Methode gehören etwa Urschrei-Therapie, Küchendienst, Literaturkreis und Gymnastik. Wer darauf oder auf das Singen von strammen deutschen Wanderliedern keine Lust hat, für den wird es eng. Wer zwischendurch auf die Toilette muss, hat zu fragen und wird begleitet - immerhin nur bis vor die Tür, wo dann eine Schwester wartet: "Hast du deine Hände gewaschen?"

Doch Machtspielchen und das Kreieren von Retro-Räumen reichen nicht, um das von Signa angestrebte hermetische System zu erschaffen. Wer sich jemals ernsthaft mit Improvisationstheater befasst hat, kann mit dem unsicheren Spiel der Schwestern und dem unterkühlten Laufsteg-Auftritten von Sørensen und ihrem Ärzteteam nichts anfangen, denen man beim Versuch zu spielen zusehen muss.

Engeln, Feen und Hunde

Ein wirklich hermetisches System entdeckten die Belgier namens Berlin in Colorado. Dort drehten sie einen Film über die nur noch sieben Einwohner zählende ehemalige Bergwerksstadt Bonanza. Auf mehreren Monitoren unter einem liebevoll nachgebauten Modell der Stadt lernt man die sieben kennen: ein älteres Ehepaar, das sich selbst genügt, eine wahrsagende Witwe, zwei zugezogene Lesben, die Engeln und Feen sehen, ein seltsamer Naturfreak und ein Pfarrer, der seine Kirche anderswo hat. Das Idyll wird in einer guten Stunde als ganz normale Nachbarschaftshölle enttarnt: Man zeigt sich gegenseitig an, erwirkt einstweilige Verfügungen, pinkelt auch schon einmal in den Garten der Nachbarin. Gute Geschichten, nicht inszeniert, aber einfühlsam gefilmt und geschnitten.

Zu einer philosophisch-animalischen Geisterstunde lud dann noch der französische Choreograf Michel Schweizer. Den hierzulande unbekannten, aus Bordeaux stammenden Künstler hat Intendantin Veronica Kaup-Hasler für den herbst entdeckt - und sich die deutschsprachige Erstaufführung von Bleib opus #3 gesichert.

In der nur duster beleuchteten Helmut-List-Halle nahmen zwei Intellektuelle und fünf Schäferhunde Aufstellung, um in jeweiligen Posen einander zu illustrieren bzw. konterkarieren: Für die einen bedeutete dies diskursive Lockerungsübungen im Sakko, für die anderen ein präzise kalkuliertes Ballett auf vier Pfoten.

Die beiden Lacan-Schüler parlierten darüber, wie schwer das Zusammenleben der Menschen in einem das Individuum verherrlichenden Zeitalter geworden ist, und um wie viel besser es wäre, wenn Gott doch nicht tot wäre, also ein übergeordnetes Prinzip anstelle eines selbstregulierenden funktionieren würde. Parallel dazu folgen die edlen Tiere jeder kleinsten Anweisung der Hundetrainer. Und repräsentieren so unberechenbar bleibende Stellen eines gesellschaftlichen Systems.

Erleichterung dazwischen: Ein "Bote des Schicksals" (T-Shirt-Aufdruck) moderiert provokant selbstgefällig die Abläufe, und ein mit "Köder" gekennzeichneter Performer bricht aus der statuarischen Choreografie aus. "Take your time" liest man dann auf der Leinwand.

Zusammen ergibt das ein bizarres performatives Gefüge, das zwar viel Konzept hatte, aber platten Inhalt, mit dem die Hundenummern in eher spekulativem Zusammenhang standen und vorwiegend circensische Befindlichkeiten evozierten (Werden die Hunde durchhalten?). Der Abend funktioniert besser auf sinnlicher Ebene: Wenn Köter ihre keuchenden Schnauzen an Mikrofone halten oder zum Angriff auf einen der (gut gepolsterten) Trainer ansetzen. Das ist dann mehr als Unbehagen in der Kultur. (Colette M. Schmidt/Margarete Affenzeller, DER STANDARD/Printausgabe, 06.10.2008)