Patriot, aber vom eigenen Land enttäuscht: Josh Runner vor seinem Haus in Grafton. Sein Arzt bescheinigte ihm Arbeitsunfähigkeit - die Behörden halten den Irakkriegs-Veteranen hin.

Foto: Standard/Herrmann

Die Nächte verbringt Josh im Irak. Im Traum ist alles wieder da, der Lärm einschlagender Granaten, die Wüstenhitze, das sinnlos vergossene Blut. Einmal schreckt er schweißgebadet hoch, ein anderes Mal schlägt er um sich wie ein Irrer. Arbeiten kann er nicht mehr, seinen Schreibtischjob bei der Eisenbahn hat er an den Nagel gehängt. Arbeit bringe Stress, hat sein Arzt gesagt, und Stress ist das Letzte, was Josh Runner aushalten kann. "Ich komme mit Leuten nicht mehr klar. Ich komme ja kaum mit mir selber klar."

Es liegt an den Erinnerungen, die ihn verfolgen. Wie eine Mauer stehen sie seiner Rückkehr ins normale Leben im Weg, dem alten Leben, wie es vor dem Irak war. Ein Foto im Korridor zeigt den alten Josh. Auf dem zieht er unter olivgrüner Mütze eine Grimasse wie Charlie Chaplin. Ein Clown in Uniform. "Er konnte wunderbar albern sein", erzählt Kim, seine Frau. "Dafür habe ich ihn geliebt." Heute lacht Josh nur noch selten. Ständig ist er auf der Hut, überall wittert er Gefahr. "Der verdammte Irak hat die Seele aus ihm herausgesaugt", klagt Kim. "Und mir hat er eine leere Hülle zurückgegeben, einen Alkoholiker noch dazu."

Sechserpack Bier als Medizin

"Komm ins Pub Nummer drei", hatte Josh am Telefon gesagt, "jeder in Grafton weiß, wo das ist." Es ist früher Nachmittag, dichter Zigarettenqualm hängt in dem kleinen Lokal, neben der Theke flimmern fünf Spielautomaten Marke Game-King. Sie sind alle besetzt. Dem ersten Budweiser folgt ein zweites, dann ein drittes, erst dann ist Josh so weit, dass er seine Geschichte erzählen kann, ins Auto steigt und sich nach Hause fahren lässt. Einen Sechserpack Bierdosen stellt er griffbereit neben seinen Schaukelstuhl auf die Veranda. "Meine Medizin, verstehst du?"

Kleinigkeiten können Josh Runner sofort aus dem Gleichgewicht werfen. Liegt ein Pappkarton auf der Straße, vermutet er darunter eine Bombe. Kracht die Fehlzündung eines Automotors, wirft er sich blitzschnell zu Boden. Auf der Bowlingbahn setzt er sich nicht, solange andere stehen. Nie dreht er Menschen den Rücken zu, sie könnten ihn ja von hinten anfallen. Der 28-Jährige leidet unter PTSD, posttraumatischem Stress.

19 Prozent aller US-Soldaten, die im Irak oder in Afghanistan waren, kehren mit PTSD zurück, hat die Rand Corporation, eine private Denkfabrik, ermittelt. Das sind über dreihunderttausend, zumeist junge Männer. Nur die Hälfte von ihnen vertraut sich einem Psychiater an. Viele wagen es nicht, laut der Studie glauben 44 Prozent der Betroffenen, der Gang zum Arzt könnte ihnen die Karriere verbauen. Oft bekommen Kranke zu hören, was auch die Runners als typische Reaktion kennen: "Hab dich nicht so, es wird schon wieder."

Es gibt nicht das eine Schlüsselerlebnis, das Josh zum Nervenbündel werden ließ. Es war eine einzige Hölle, "a holy shit", wie er sagt, zwölf Monate lang. Am 9. Februar 2004 rückte seine Einheit aus Kitzingen ab nach Tikrit, aus der fränkischen Idylle ins Herzland des sunnitischen Aufstands. Zu jeder Tag- und Nachtzeit konnten Geschoße ins Camp einschlagen, "24/7", 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. "Deine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt." Es gab Szenen, von denen Josh nur zögerlich erzählt. Etwa die Kinder, die am Rande der Palmenhaine in Lehmhütten wohnten, winkend auf die Humvees der Amerikaner zuliefen - und überrollt wurden, wenn sie Pech hatten. Dann kam der 13. Juli 2004, sein 24. Geburtstag.

Der Ex-Soldat stockt. Es fällt ihm nicht leicht, darüber zu reden. Am Morgen hatte er Tory Harris, einem verzweifelten Jungen aus Chicago, noch Mut zugesprochen. In der Nacht setzte sich der Freund sein M-16-Gewehr ans Kinn. Er war 21, Josh sah ihn als Erster in seinem Blut liegen.

Als sie im Februar 2005 auf dem Stützpunkt Ramstein landeten, fühlte sich Josh "wie am Hochzeitstag". Zu feiern gab es aber nicht mehr viel. Was folgte, war ein Kleinkrieg in den Mühlen des VA, des Departments of Veteran Affairs, das zuständig ist für Kriegsveteranen. Statt zu helfen, wimmelten die Beamten den Kranken ab. In Clarksburg, nur vierzig Kilometer von Grafton entfernt, gibt es eine Spezialklinik für PTSD-Kranke. Josh erfuhr es von Freunden. Der Behördenkrieg, den er führen muss, für ihn ist er ein Sinnbild für den Zustand der USA: "Großartiges Land, aber die Regierung kannst du vergessen. Wird Zeit, dass nach Bush einer ans Ruder kommt, der diesen Saustall in Ordnung bringt."

Dabei verstehen sich die Runners als Patrioten, daran lassen sie schon rein optisch nicht den geringsten Zweifel. Die Klappstühle auf der Veranda leuchten blau-weiß-rot, auf Joshs grauem T-Shirt steht ARMY. Zur Armee zu gehen, das hat Tradition in den abgelegenen Tälern West Virginias. Außerdem ist es für viele der einzige Weg, herauszukommen aus der Einöde.

Josh stieß in Friedenszeiten dazu. Im März 2000, achtzehn Monate vor dem Terror des 11. September. "Kick ass!" hieß für Hurrapatrioten die Parole nach 9/11, Halunken in den Hintern treten! Ja, viele seien aus diesem Grund zur Armee gegangen, sagt Josh. Er nicht, er hatte Angst.

Kampf um das Haus

Statt den Dank des Vaterlands zu ernten, fühlen sich die Runners im Stich gelassen. Sie kämpfen darum, ihr Haus zu behalten, ein Holzhaus, wie es typisch ist für die amerikanische Provinz. Gelb getüncht, idyllisch gelegen am Rande eines Waldes voller Rehe. Drinnen erinnert vieles an Kitzingen: zwei Kuckucksuhren, etliche Nussknacker, eine rustikale Schrankwand, die Kim liebevoll "My Schrank" nennt.

Wie lange ihnen das Haus noch gehört, wissen sie nicht. Seit Josh vor drei Jahren aus der Armee ausschied, ging es finanziell stetig bergab. Die Eisenbahn zahlt ihm noch Krankengeld, eintausend Dollar pro Monat, aber nicht mehr lange. Die Reserven sind aufgezehrt, die Ausgaben bleiben. Monatlich sind 650 Dollar an Zinsen und Tilgung für die Hypothek zu berappen, dazu 400 Dollar, um den Autokredit abzustottern. Kim findet keine Arbeit, nicht einmal bei McDonald's. Sie ist 47, 19 Jahre älter als Josh. "Glück für ihn", sagt sie sarkastisch, "eine jüngere Frau wäre ihm längst davongelaufen."

Alle Hoffnung liegt nun darauf, dass das VA endlich anerkennt, dass Josh nicht mehr arbeiten kann. Von seinem Doktor hat er es schriftlich, das Amt aber hält ihn hin. Erklärt ihn die Behörde zum Vollinvaliden, erhält er jeden Monat 2772 Dollar. Davon kannst du leben, sagt Josh. Er hat resigniert, er schlägt die Zeit in der Kneipe tot. Früher war er ein begeisterter Jäger, aber auch das ist passé. "Flashback", sagt Josh. Nähme er eine Flinte in die Hand, wäre er wieder im Krieg. (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 4.10.2008)