Zur Person

Klaus Dehner ist einer der Geschäftsführer des Instituts für BioLogik für Führung und Fortbildung in Heidelberg

Foto: Dehner

Wie können Unternehmen die Bereitschaft zu mehr Hingabe an die Aufgabe in ihren Mitarbeitern fördern? Indem sie uralte menschliche Bedürfnisse bedienen, sagt Verhaltenswissenschafter Klaus Dehner.

STANDARD: Was sind das für uralte menschliche Bedürfnisse, die für die größere Hingabe an die Arbeit sorgen?

Dehner: Das ist die uralte menschliche Triebdynamik von Neugier, vom Streben nach Anerkennung und dem Bedürfnis nach Bindung. Es wird verkannt, dass diese evolutionär geformten Bedürfnisse auch in der heutigen Arbeitswelt noch eine zentrale Rolle spielen.
Denn für die Mitarbeiter ist das Unternehmen keine abstrakte, sondern ein sehr konkrete, lebensweltliche Realität, ein Beziehungsgeflecht, in dem sie sich nach wie vor verankert sehen. Die Mehrzahl der Mitarbeiter erlebt heute im Rahmen der Vermarktlichung der Arbeitsbeziehungen weder ein konsistentes, also beständiges, in sich widerspruchsfreies Handeln seitens der Firma noch eine wirkliche Wertschätzung als Person.

Beide Elemente aber sind unabdingbare Voraussetzungen für die wirklich hingebungsvolle und damit wirklich gute Leistung. Wollen Sie mehr Hingabe an die Arbeit, sprich mehr selbstverständliche Leistungslust, kommen Sie dem am besten näher, wenn sie das Innenleben des Betriebes, also die Organisationskultur, wieder mehr auf die genannten Bedürfnisse hin ausrichten.

STANDARD: Wie sind Sie auf die Bedeutung dieser Bedürfnisse aufmerksam geworden?

Dehner:
Durch die Forschungsergebnisse der Verhaltensbiologie. Sie zeigen: Genau wie sich der Mensch in physiologischer Hinsicht entwickelt, so ist er auch in seinem Verhalten durch seine evolutionäre Geschichte geprägt. Hier finden sich, wie neuerdings ja auch die Bild gebenden Verfahren der Hirnforschung zeigen, die Grundlagen menschlicher Bedürfnis- und Motivationsstrukturen.

Es empfiehlt sich also, hier anzuknüpfen, wenn es darum geht, aus der Leistung als Last, wie sie von vielen heute immer stärker empfunden wird, eine Leistung aus Lust zu machen. Lust an Leistung ist, so wichtig die Bezahlung auch immer ist, sozusagen nachhaltig mehr an die Befriedigung viel tiefer liegender menschlicher Bedürfnisse geknüpft als nur an die rein materielle Existenzsicherung.

STANDARD: Wieso das?

Dehner: Weil dadurch ein ungeheuer starker, in der evolutionären Entwicklung angelegter Leistungsmotor in Gang gesetzt wird. Menschen setzen sich gerne und freiwillig ein, wenn sie immer wieder spannende Herausforderungen in ihrer Domäne auffinden und bewältigen können; wenn sie Anerkennung dafür bekommen, sobald sie ihre besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten erfolgreich in ein gemeinsames Projekt einbringen; wenn sie Zugehörigkeit und Gemeinschaft erfahren und sich dadurch sicher fühlen.

Gerade dieses ‚sich sicher fühlen' wird in der heutigen Arbeitswelt sträflich unterschätzt! Menschen wollen von Natur aus etwas leisten. Das verschafft ihnen nicht nur Anerkennung und Wertschätzung, sondern auch das Empfinden, dazu zu gehören und in eine Gemeinschaft eingebunden zu sein.

In unserer schnelllebigen heutigen Arbeitswelt ist, oder sollte ich besser sagen wäre, die Befriedigung dieser Bedürfnisse eine Kompensation für die durch die hohe Wandlungsgeschwindigkeit zwangsläufig entstehenden enorm kontraproduktiven Unsicherheits- und Verunsicherungsgefühle. Fühlen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich wieder dazu gehörig, haben sie wieder das Gefühl, Boden unter den Füßen zu haben. Und das ist ein enorm wichtiges Gefühl in Bezug auf die Leistungswillig- und die mentale Leistungsfähigkeit.

STANDARD: Was gewinnen die Unternehmen, wenn sie Ihrem Rat folgen?

Dehner: Ich deutete es eben schon, das Wichtigste, was ein Unternehmen heute braucht: Leistungsbereitschaft aus sich selbst heraus. Oder, um es mit dem Fachbegriff zu sagen, intrinsische Motivation. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen nicht mehr durch alle möglichen Anreizprogramme "zum Jagen" getragen werden, sie "jagen" aus sich heraus.
Unserer Erfahrung nach wirkt sich das auf die gesamte betriebliche Effizienz aus: Die Kommunikation verbessert sich. Das führt unter anderem zu zwei wichtigen Effekten.

1. die Besprechungs- und Sitzungszeiten verringern sich merklich. 2. die Absprachegenauigkeit und Verbindlichkeit sowie die Zielklarheit nehmen zu. Das bewirkt 3. unter anderem, dass Verantwortung bereitwilliger und absicherungs"freier" übernommen wird. Dadurch wiederum kann der Kontrollaufwand zurückgefahren werden. So weit nur einige Beispiele, die die Firmen uns berichten.

STANDARD: Sie haben Ihre Erkenntnisse in einer von Ihnen sogenannten „Bindungsformel" zusammengefasst. Was besagt diese?

Dehner: Sie besagt zuerst und vor allem: Hört auf, über Vertrauen zu reden oder es gar zu beschwören. Sorgt stattdessen dafür, dass Mitarbeiter ihr Bedürfnis nach Bindung auch im Unternehmen realisieren können.

Gerade dadurch wird die Grundlage für emotionale Stabilität in den Beziehungen gelegt, die sich in einem leichtgängigeren gemeinsamen Handeln niederschlagen. Wir haben die vermeintlich "weichen" Verhaltensfaktoren wie Sympathie, wirkliches persönliches Kennen sowie gegenseitiges Vertrauen in der "Bindungsformel" erstmals mit den "harten" sozialen Regeln des gemeinsamen Handelns verschränkt und festgestellt, dass diese umso eher, freiwilliger und selbstverständlicher eingehalten werden, je stärker sie emotional, nämlich in den zwischenmenschlichen Bindungen verankert sind.

STANDARD: Wie werden Ihre Erkenntnisse in den Betrieben praktische Realität?
Dehner: Voraussetzung ist ein einflussreicher Promotor im Unternehmen, der erkannt hat, dass die betriebliche Gesamtleistungsfähigkeit sich wesentlich verbessert, wenn man nach dem Prinzip Vertrauen statt Verträge zusammenarbeitet.

Er muss darüber hinaus verstanden haben, dass dies nicht mit einer Rede über das Vertrauen im Unternehmen zu bewerkstelligen ist, sondern dass diejenigen, die wirklich zusammenarbeiten wollen, in einen nachhaltigen Prozess der Vertrauensbildung einsteigen müssen.
Tatsache ist, die Betriebe verlieren heute viel Geld, weil ein beträchtlicher Anteil individueller Leistungskaft in die persönliche Absicherung anstatt in die eigentliche Arbeit fließt. Weiter wird viel Geld durch unnötige Reibungsverluste verschwendet. Werden allein diese vertrauensnegativen Kostenfaktoren zurückgefahren, gewinnt der Betrieb erheblich an Effizienz.

STANDARD: Welchen Wettbewerbsvorteil gewinnen die Unternehmen, wenn sie auf Vertrauen statt Verträge setzen?

Dehner: Gelingt es, in einem Unternehmen, eine solide Stabilität in den Beziehungen zu etablieren, wird ein sicherer sozialer Rahmen für eine nachweislich bessere betriebliche Performance geschaffen. Dadurch ergibt sich aus unserer Sicht und Praxiserfahrung ein ganz entscheidender Wettbewerbsvorteil: Das Unternehmen bindet seine Leistungsträger an sich, indem es eine Kultur des 'Wir' statt des 'Ich' schafft.

Je weniger Egoismen das innerbetriebliche Handeln bestimmen, desto höher ist der individuelle Leistungsanteil. In der Summe erwächst daraus betriebliche Überlegenheit. Das mag banal klingen, doch wer die betriebliche Realität kennt, erkennt auch den dadurch möglichen Effizienzgewinn. Erkennbarer Nebeneffekt: Unternehmen, denen der Ruf vorausgeht, hohe Leistungsanforderung mit einem Klima des persönlichen Vertrauens zu verbinden, wirken anziehend auf qualifizierte Nachwuchskräfte. Denn kluge, vorausschauende junge Kräfte erkennen immer mehr: Es ist besser entwickelt statt verheizt zu werden. (Hartmut Volk, DER STANDARD, Printausgabe, 4./5.10.2008)