Die "Ära Schüssel" oder das "System Schüssel" sollen nun vorbei sein. Josef Pröll muss ihn auch loswerden. Dennoch verdient Schüssel eine differenzierte Würdigung. Er ist ein seltener Politiker: blitzgescheit, gebildet, entschlossen, kaltblütig, kühn. Die Kehrseite: intellektuelle Hybris. Schüssel hat als Modernisierer begonnen. Sein Motto "Mehr privat, weniger Staat" war zu Zeiten einer kollabierenden verstaatlichten Industrie absolut richtig. Aber den immens teuren Beamtenapparat rührte er nicht an. Karl-Heinz Grasser hielt er für einen Finanzminister. Mit taktischer Meisterschaft eroberte er den Kanzlersessel, machte aber eine strategische Niederlage für die ÖVP daraus. Der ehemalige "Liberale" verengte die Volkspartei.

Schüssel wollte ein moderneres, leistungsfähigeres Österreich, frei vom Griff der Gewerkschafts- und Kammerfunktionäre. Mit mehr Wettbewerb und weniger "Sozialismus". Immerhin eine Vision. Aber umsetzen wollte er das mit der extremen Rechten - nicht nur eine moralische, sondern auch eine praktische Unmöglichkeit. Vielleicht kann er sich jetzt von dem Zynismus lösen, der zuletzt sein geistiges Format überwucherte. (Hans Rauscher/DER STANDARD Printausgabe, 2. Oktober 2008)