Einer der meistbeschworenen österreichischen Mythen lautet: Wenn die SPÖ und die ÖVP zusammen "für das Wohl unseres Landes" arbeiten, ginge es diesem am besten. Das hat in Ausnahmesituationen - speziell während der Besatzungszeit - auch gestimmt. Die meiste Zeit funktionierten große Koalitionen aber doch so wie in den vergangenen eineinhalb Jahren: nämlich fast gar nicht.

Viele Fans der großen Koalition schätzen gerade das: Wenn nichts weitergeht, passieren schließlich keine großen, schmerzhaften Reformen - und jene Veränderungen, die doch kommen, werden schön sanft sozialpartnerschaftlich abgefedert. Das entspricht dem in Österreich weit verbreiteten Harmoniebedürfnis - und deswegen wird auch so auffallend über den "Stil" der letzten Monate geklagt: Den inhaltlichen Stillstand würde man ja stillschweigend hinnehmen, doch sollte dabei nicht merkbar gestritten werden!

Das ist Unsinn und widerspricht auch dem Wählerwillen. Die Wähler wählen ja unter verschiedenen Parteien, weil sie unterschiedliche Positionen vertreten - und sie erwarten, dass diese Positionen weitgehend umgesetzt werden. Und vor allem, dass die entgegengesetzten verhindert werden. Das geht in einer großen Koalition nicht. Die Wähler wollen anderes: Mehrheitlich haben sie EU-kritische Parteien gewählt, die alle tief in die Umverteilungskiste greifen wollen. Also sollten die in vielen Inhalten so nahen Parteien SPÖ, FPÖ und BZÖ eine Regierung bilden. Und zeigen, wie weit man mit diesen Positionen kommen kann. (Conrad Seidl/DER STANDARD Printausgabe, 2. Oktober 2008)