Die große Koalition ist in ihren diversen Spielformen der letzten 15 Jahre im Grunde stets an der gleichen Hürde gescheitert: an der merkwürdigen Tatsache nämlich, dass sich die beiden Parteien der Mitte weit ähnlicher waren, als sie zugeben wollten, vor allem aber, als ihrer Basis lieb ist. Rückblende auf die Neunzigerjahre: Je mehr sich die Exponenten in der Regierung und in den Klubs einig gewesen wären, umso weniger passte es den Funktionären und den Hinterbänklern der Regierungsparteien, die um die Profilierung der eigenen Partei fürchteten. Die daraus resultierenden Streitereien in einer Koalition der zunehmend Unwilligen führten zu fortgesetzten Wahlerfolgen der Freiheitlichen, damals noch unter Jörg Haider, bis diese im Herbst 1999 sogar die ÖVP auf Platz drei verwiesen. Hätte Wolfgang Schüssel in dieser Situation nicht sein berühmtes Wort vom Gang in die Opposition bei Platz drei gebrochen (was er ja auch bei Eingehen einer neuerlichen Koalition mit der SPÖ getan hätte!), wäre das dritte Lager damals schon bei der nächsten Wahl zur Nummer eins geworden. Der damit verbundene Machtwechsel für die SPÖ wurde Schüssel nie verziehen ...

Und schon scheiterte - nach dem blau-schwarzen Interregnum und der darauf folgenden Fast-Alleinregierung der ÖVP - die nächste große Koalition, bevor sie noch begonnen hatte: Die SPÖ, nach dem überraschenden Wahlsieg 2006 teils im Siegestaumel, teils gezwungen, die rachehungrige Basis zu befriedigen, quälte die ÖVP mit der Einsetzung zweier (am Schluss erfolgloser) Untersuchungsausschüsse. Aber damit war jede Vertrauensbasis mit dem künftigen Koalitionspartner zerstört. Von den Medien wurde die ÖVP, die die Koalitionsverhandlungen bereits ausgesetzt hatte, in die Koalition fast hineingeprügelt. Die Basis beider Parteien wartete aber nicht auf Zusammenarbeit, sondern auf die Demütigung des Partners, Die ÖVP war dabei zunächst in der besseren Position, denn die SPÖ musste um den Kanzler zu stellen, auf die Verwirklichung ihrer Wahlversprechen, Abbestellung der Eurofighter und Abschaffung der Studiengebühren, verzichten. Gute Vorzeichen für das Gelingen der Koalition waren das wieder nicht.

Also kam es wie es kommen musste. Zur Befriedigung der SPÖ-Basis musste die ÖVP im Frühjahr 2008 mit der Einsetzung eines neuen, gegen sie gerichteten Untersuchungsausschusses und mit der Forderung nach Vorziehen der für 2010 geplanten Steuerreform auf 2009 provoziert werden. Die SPÖ hatte schon alles auf Koalitionsbruch ausgerichtet, als sie bei der Landtagswahl in Niederösterreich ein Debakel erlebte und nicht das Gleiche bei einer Nationalratswahl riskieren wollte. Also wurde die eigentlich schon wieder gescheiterte Koalition fortgesetzt, aber offensichtlich mit dem Vorsatz, den jeweils anderen in wichtigen Vorhaben zu blockieren, um der eigenen Basis ihre Befriedigung zu verschaffen. So scheiterten sogar schon ausverhandelte und vereinbarte Vorhaben wie Krankenkassensanierung und Pensionsautomatik. Die Koalition war wieder einmal gescheitert, ohne es zuzugeben.

Mit dem berühmten Leserbrief an die Krone überzog die SPÖ in der Europapolitik das Maß des für die Volkspartei Erträglichen und ließ die Koalition ein weiteres Mal scheitern, überließ dabei aber die öffentliche Verkündigung mit dem berühmten "Es reicht" Willi Molterer von der ÖVP. Noch einmal wurde, um den Koalitionsschein zu wahren, ein Stillhalteabkommen geschlossen, das Werner Faymann wohl von Anfang an nicht einhalten wollte. Mit dem "freien Spiel der Kräfte" in der Populismus-Orgie der Parlamentssondersitzungen war die Koalition abermals, und diesmal endgültig gescheitert. An den handelnden Personen lag das am wenigsten, weil sie alle Getriebene der Erwartungen ihrer Basis waren. Und das Modell "Koalition neu", das seit 1990 jedes Mal nach einer Wahl versprochen wurde, hatte sich stets als der alte Ladenhüter entpuppt.

Der "Hauptfeind" ...

Jetzt hat der Wähler gesprochen und den bisherigen Regierungsparteien mit schmerzhaften Verlusten das Scheitern ihrer bisherigen Koalition(en) bescheinigt. - Und was passiert? Auf gemeinsamen Wunsch Werner Faymanns und einiger in der ÖVP soll der mehrfach unter Beweis gestellte Misserfolg einmal mehr prolongiert werden.

Am Grundproblem, das schon 1999 zum Scheitern und zum großen Erfolg der Protestpartei FPÖ führte, ändert dies gar nichts. Im Gegenteil: Die SPÖ-Basis dürstet mehr denn je danach, die ÖVP zu "bestrafen", und auch eine neue ÖVP-Führung kann sich das nicht gefallen lassen.

Der Wahlkampf hat zudem viele offene Fragen zurückgelassen, die dem Koalitionsfrieden alles andere als förderlich sind. Faymann braucht seine Mehrwertsteuersenkung, will er nicht von FPÖ und BZÖ als Umfaller à la Gusenbauer gebrandmarkt werden. Die ÖVP will sich umgekehrt mit der Abschaffung der Studiengebühren nicht abfinden. Noch während der Koalitionsverhandlungen findet die Bundesratssitzung statt, in der auch die kontroversiellen Beschlüsse der Nationalrats-Sondersitzung auf der Tagesordnung stehen. Koalitionskrach ist also vorprogrammiert, noch bevor die Koalition zustande kommen könnte.

... als Mehrheitsbeschaffer?

Dazu kämen die anderen Forderungen Faymanns - "auch nach der Wahl das Gleiche wie vorher" - die die ÖVP nur mehr als Wurmfortsatz der Faymann-SPÖ dastehen ließen; Finanzministerium von der ÖVP zur SPÖ, von Molterer zu Schmied, mindestens ein Minister weniger, und das sicher auf Kosten der ÖVP (Gesundheitsministerium in Monster-Sozial- sprich Gewerkschaftsministerium?), die Arbeitsagenden vom Wirtschafts- ins Sozialministerium, Wechsel des Innenministeriums zur SPÖ, des Verteidigungsministeriums mit dem Mühlstein der Darabos-Fighter und ohne Geld zur ÖVP usw. Die ÖVP wird zwar als Mehrheitsbeschaffer gebraucht, aber gleichzeitig, das hat der Wahlabend mehrfach gezeigt, als Hauptfeind gesehen, der weiter geschwächt werden muss. Die Strategie, von der sich die SPÖ langfristige Vorteile erwartet, ist eine politische Landschaft, in der die Mitte-Links-Partei SPÖ dem Rechtsblock FPÖ-BZÖ gegenübersteht und die ÖVP nur als Mehrheitsbeschaffer gebraucht wird.

Dabei kann und darf die ÖVP auch aus "staatspolitischer Verantwortung" nicht mitspielen. Faymann muss mit den Geistern, die er mit dem EU-Schwenk und dem Vorwahl-Populismus selbst rief, auch selbst fertig werden. Die ÖVP darf sich nicht als ohnmächtiger Juniorpartner der SPÖ zurücklehnen, sondern muss in konstruktiver Opposition eine demokratische Alternative der Mitte zu Links und Rechts aufbauen. (Walter Schwimmer/DER STANDARD Printausgabe, 2. Oktober 2008)