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Tiefland gegen Hochland.

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"Collas de mierda" , beschimpften die bewaffneten Leute die Bauernvertreter, die auf dem Weg zu einem Treffen der ländlichen Gewerkschaften im Departamento Pando waren. "Scheiß-Hochlandbevölkerung" und "Es lebe die Autonomie." In Bolivien führten die Auseinandersetzungen zwischen den indigenen Bewegungen, unterstützt von der Zentralregierung unter Präsident Evo Morales und den fünf oppositionellen Departamentos im Tiefland, im September zu dutzenden Toten. In dem Konflikt geht es im Kern um eine neue Verfassung, die die Umverteilung hin zu den Armen im Hochland gewährleisten soll.

Auch wenn nun internationale Organisationen vermitteln, die Gewalt, auch in der verbalen Auseinandersetzung, hat schon viel an Verhandlungspotenzial zerstört. Im Staatsfernsehen wird den europäischstämmigen Präfekten vorgeworfen, sie wollten so etwas wie den Balkankrieg. Andererseits meinen Kritiker von Morales, der Disput um die Verfassung, die noch nicht in Kraft ist, habe das Auseinanderdriften entlang regionaler, ethnischer und ökonomischer Konfliktlinien in der ohnedies polarisierten bolivianischen Gesellschaft noch verstärkt.

Morales und seine Bewegung für den Sozialismus (MAS) wollen nicht nur eine Landreform, durch die Großgrundbesitzer enteignet werden, die Indigenas sollen auch mehr Autonomie bekommen. Das Konzept nennt sich Plurinationalismus und wurde nun erstmals in der neuen Verfassung in Ecuador eingeführt.

Mit dem Plurinationalismus wird einer Nation von in der Theorie gleichen Staatsbürgern das Konzept eines Rechts auf kulturelle Differenz entgegengesetzt. Konkret geht es bei der "kulturellen Autonomie" um mehr Selbstverwaltung für die Indigenas, so soll etwa ihre ursprüngliche Rechtsprechung angewandt werden. Verfassungsrechtler bemängeln, dass die Kompetenzen der Zentralregierung, der indigenen Gemeinschaften und der Departamentos nicht klar definiert sind.

Und die Cambas, die Weißen aus dem Tiefland, fürchten durch mehr Rechte für die Indigenas diskriminiert zu werden. Das Argument mag vorgeschoben sein, denn die Indigenas wurden und werden bis heute benachteiligt, doch das Konzept eines ethnischen Föderalismus darf trotzdem hinterfragt werden. Denn obwohl es eigentlich um ökonomische und soziale Ungerechtigkeiten geht, wird das kulturelle Moment in der Auseinandersetzung betont. Und zwar eines, das Kultur durchaus ethnisch formuliert. Die verstärkte politische Partizipation der indigenen Vertretungen als soziale Emanzipationsbewegung, kann in dem Fall eine Ethnopolitisierung fördern.

Das indigene Konzept des plurinationalen Staates hat seine Legitimationsbasis in der historischen Ausgrenzung und Diskriminierung. Aber auch wenn die neue Justizministerin Celima Torrico Rojas einen türkisen Reifrock und einen Strohhut trägt, ist "die Formierung der indigenen Bewegung, die mit dem Konstrukt einer "fiktiven Identität" zu einer Reethnisierung geführt haben, nicht eigentlich als "Aufstand der Tradition gegen die Moderne" zu verstehen, sondern vielmehr als Folgeerscheinung von Modernisierungsprozessen und den sie begleitenden Verteilungskonflikten" , schreibt Bastienne Paliz in ihrer Analyse "Indigene Bewegung in Ecuador als neue gesellschaftspolitische Kraft".

Und in Bolivien hat der Versuch, den Indigenas mehr Rechte zu geben, dazu geführt, dass die fünf oppositionellen Departamentos ihrerseits auf mehr Autonomie bestehen. Sie pochen auf ihre Tradition und Symbole und setzen der indigenen Identität eine departamentale entgegen. Offensichtlich wurden insgesamt die zentrifugalen Kräfte im Staat gestärkt. Und auch Verfassungsrechtler bemängeln, dass zwar Autonomieregelungen für die 36 indigenen Gemeinschaften vorgesehen sind, nicht aber für die Departamentos. (Adelheid Wölfl/DER STANDARD, Printausgabe, 1.10.2008)