François Van Hoobrouck d'Aspre, Bürgermeister der Fazilitäten-Gemeinde Wezembeek-Oppem in der Provinz Flämisch-Brabant.

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Ein besonderer Konfliktpunkt im Streit um die Kompetenzverteilung zwischen der Zentralregierung und den belgischen Regionen ist die Neuordnung des Wahlkreises für Brüssel und Umgebung. Die flämischen Parteien wollen eine Teilung des Bezirks und zudem in den Gemeinden, wie im Rest von Flandern, nur über niederländische Parteien abstimmen lassen. Die französischsprachigen Wallonen fordern dagegen, dass mindestens sechs Gemeinden, darunter Wezembeek-Oppem, in denen es eine frankophone Mehrheit gibt, zu Brüssel gehören sollen. Außerdem wollen sie weiterhin für flämische und wallonische Parteien stimmen können wie in Brüssel.

 

Foto: Mark Renders/Getty Images

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Seit 1993 ist Belgien ein Bundesstaat mit den drei Regionen Flandern, Wallonie und Brüssel. Diese haben jeweils eigene Parlamente und Regierungen sowie eine eigene Finanz- und teilweise auch Steuerhoheit. Auch die großen belgischen Parteien treten bei nationalen Wahlen regional getrennt an und vertreten jeweils Flamen oder Wallonen. Der Sprachstreit zwischen den Regionen hat sich in letzter Zeit verschärft.

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François Van Hoobrouck d'Aspre ist ein belgischer Adeliger und einer der umstrittensten Bürgermeister des Landes. Der Frankophone legt sich vor allem mit der flämischen Regionalregierung an und pocht darauf, in seiner am Rande von Brüssel liegenden Gemeinde Französisch zur Amtssprache zu machen. Er leiste "gewaltlosen Widerstand gegen die Kriegserklärung der Regionalregierung an die Französischsprachigen in der Umgebung von Brüssel," sagt Van Hoobrouck d'Aspre.

Dieses Ziel verfolgt er mit durchaus unkonventionellen Mitteln. In seinen Vergleichen ist der 73-jährige Mandatar der "Union der Französischsprachigen" nicht zimperlich. Auch im derStandard.at-Interview nimmt sich Van Hoobrouck d'Aspre kein Blatt vor den Mund. Er vergleicht Brüssel mit Jerusalem und unterstellt den Flamen Rachegelüste. Vor allem seit den Parlamentswahlen im Jahr 2007 hätte sich in der flämischen Bevölkerung eine Radikalisierung vollzogen. Van Hoobrouck d'Aspre kann sich durchaus vorstellen, dass Belgien über kurz oder lang zerfällt.

derStandard.at: Sie sind einer von drei flämischen Bürgermeistern, der von der Regionalregierung nicht gleich nach den Wahlen 2006 offiziell bestätigt wurde. Als Grund wurde angegeben, dass sie sich weigern würden, die "Autorität der Regionalregierung" anzuerkennen. Sie haben das mit einem "Kriegszustand" verglichen. Sind Sie ein Provokateur?

Van Hoobrouck d'Aspre: Seit 2006 werden die Bürgermeister von den Regionalregierungen ernannt. Ich wurde zweimal ohne irgendwelche Probleme nominiert und bereits 1997 habe ich mich geweigert, den Erlass des damaligen flämischen Innenministers Leo Peeters zur Anwendung zu bringen, weil es meiner Meinung nach illegal ist. Dieser schreibt vor, dass Wahlaufrufe und andere offizielle Bekanntmachungen und Dokumente in französischer Sprache den Frankophonen nicht mehr automatisch zugestellt werden dürfen, sondern immer extra beantragt werden müssen.

2001 wurde ich vom Innenminister der Provinz zum Bürgermeister ernannt, trotzdem ich die Wahlverständigungen an die französischsprachigen Bürger auf Französisch und an die niederländischsprachigen auf Niederländisch verschickt hatte. Das gleiche tat ich 2006. Die Weigerung des jetzigen flämischen Regionalministers Marino Keulen, mich 2007 zu ernennen ist also vollkommen ungerechtfertigt und ich sehe sie als Kriegserklärung gegen die französischsprachigen Bürger in der Umgebung von Brüssel, weil dieser Gewaltakt weder auf das allgemeine Wahlrecht Rücksicht nimmt noch auf die Praxis in den Fazilitätengemeinden, wie sie seit über 40 Jahren angewendet wird. Die Nichternennung ist ein Symbol der Verweigerung der Rechte der französischsprachigen Bevölkerung. Auch der Europarat hat auf mehrere Verletzungen des Europarechts und der Menschenrechte durch die flämische Regierung in der Umgebung von Brüssel hingewiesen. Im Juni dieses Jahres besuchte sogar eine Kommission des Europarates Brüssel, um Ermittlungen anzustellen.

Ich bin also kein Provokateur, sondern leiste gewaltlosen Widerstand gegen die Kriegserklärung der Regionalregierung an die Französischsprachigen in der Umgebung von Brüssel, deren Existenz die Regierung bestreitet. Außerdem weigert sie sich, die 300.000 Französischsprachigen in Flandern als nationale Minderheit anzuerkennen.

derStandard.at: Sie haben in diesem Zusammenhang zu zivilem Ungehorsam aufgerufen. Wie hat sich das in der Gemeinde ausgewirkt? Muss ein gewählter Bürgermeister mit solchen Aufrufen nicht etwas vorsichtig sein?

Van Hoobrouck d'Aspre: Ich respektiere alle Anordnungen der flämischen Regionalregierung und arbeite im Rahmen der täglichen Regierungsgeschäfte mit den flämischen Behörden zusammen. Nach Ansicht vieler Politiker bin ich ein guter Bürgermeister, der in über zwölf Jahren seine Gemeinde vollkommen erneuert hat. Ich spreche immer niederländisch mit den flämischen Funktionären und auch mit den niederländischsprachigen, besonders auf Gemeindeebene.

derStandard.at: Ist der belgische Sprachenkonflikt einer zwischen den BürgerInnen oder zwischen PolitikerInnen?

Van Hoobrouck d'Aspre: Bis vor einigen Jahren betraf außerhalb der Umgebung von Brüssel und der Gemeinde Fourons bei Liège der Konflikt vor allem die Politiker. Nach der Radikalisierung im Jahr 2007, die vor allem auf die Allianz der flämischen Christdemokraten mit der nach Unabhängigkeit strebenden Partei NVA zurückzuführen ist (Parlamentswahl vom Juni 2007, Anm.), kann man beobachten, dass sich die Mentalität der flämischen Bevölkerung, die seit den Siebzigerjahren in der Schule, in den Jugendbewegungen und durch die Medien indoktriniert wurde, verändert hat und im Vergleich zu früher viel extremistischer geworden ist. Die Einstellung der flämischen Parteien und eines wichtigen Teiles der öffentlichen Meinung in Flandern, die sich radikalisiert hat, führt zu einer Gegenreaktion auf der französischsprachigen Seite, die die flämischen Forderungen nicht anerkennen kann.

derStandard.at: Wie gut ist Ihr Niederländisch?

"Van Hoobrouck d'Aspre: Ich spreche fließend niederländisch und ich kann ohne Schwierigkeiten an Debatten mit flämischen Politikern teilnehmen.

derStandard.at: Die belgische Regierung befindet sich in schweren Turbulenzen. Die Allianz aus der Nationalistenpartei Neue Flämische Allianz NVA und den Christen-Democratisch en Vlaams (CDV) Latermes ist zerbrochen. Jetzt sollen Gespräche über eine Staatsreform die Regierung retten. Erfolgversprechend?

Van Hoobrouck d'Aspre: Es wird nur temporäre Lösungen wie auch schon in den vergangenen Versuchen geben. Das Hauptproblem ist Brüssel, eine zu 90 Prozent französischsprachige Stadt. Dies ist das Mekka der flämischen Bewegung und ihre Hauptstadt. Sie wollen die Stadt kolonisieren wie Jerusalem, auch wenn der Großteil der flämischen Politiker dies nicht zugibt. Die Lösung kann nur in Brüssel und in der Umgebung der Stadt gefunden werden, der Wahlkreis Brüssel-Halle-Vilvoorde ist ein perfektes Beispiel (Der belgische Wahlkreis Brüssel-Halle-Vilvoorde ist der einzige, der sich über die Regionalgrenzen hinaus erstreckt. Seine Teilung entlang dieser Grenzen ist eine zentrale Forderung der flämischen Parteien Anm.)

derStandard.at: Auf Bundesebene sind Sie Mitglied des lieberalen Mouvement Réformateur. Vor einigen Tagen ist die Nieuw-Vlaamse Alliantie (NVA) aus der Regierungskoalition ausgetreten und ihr Minister hat sein Amt niedergelegt (derStandard.at berichtete). Die Flamen stellen in der Bundesregierung also nur noch eine Minderheit dar. Wie geht es Ihrer Meinung nach weiter?

Van Hoobrouck d'Aspre: Ich bin nicht das Orakel von Delphi, aber ich gehe davon aus, dass bei den Wahlen 2009 die traditionellen Parteien CDNV (Allianz flämischer Christdemokraten und christdemokratischer Nationalisten, Anm.), SPA-SPIRIT und VLD (Allianz flämischer Sozialisten und linker Separatisten, Anm.) eine Mehrheit erreichen können und dann eine Übereinkunft gefunden werden kann, die für den französischsprachigen Bevölkerungsteil akzeptabel ist. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Regierung einerseits einen Ausweg aus der Bankenkrise findet und eine tiefe Rezession vermieden wird und andererseits eine Einigung auf die Übertragung von Kompetenzen an die Regionen gelingt. Bis dorthin ist es aber noch weit, und es kann alles passieren.

derStandard.at: Als Gründe für den Konflikt wird vor allem die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung der Regionen angegeben. Alles nur eine Neidfrage?

Van Hoobrouck d'Aspre: Die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Flandern und der Wallonie erlauben es der flämischen Bewegung nach 150 Jahren auf ein erfolgreiches Ende ihres Kampfes zu hoffen – ob dies nun zu einer kompletten Autonomie oder zur Unabhängigkeit führt. Die Flamen sind ein romantisches Volk, sie sind stolz auf ihre Geschichte. Sie wollen sich an den Französischsprachigen rächen, die sie an der Nase herumgeführt haben (so ihre Ansicht, die teils ihre Berechtigung hat). Ihr Nationalfeiertag ist der 11. Juli, der Jahrestag der Schlacht von Courtrai, in der die Soldaten des Grafen von Flandern den französischen Rittern eine vernichtende Niederlage beibrachten.

derStandard.at: Denken Sie, dass es eine komplette Autonomie realistisch ist?

Van Hoobrouck d'Aspre: Ich sage noch einmal, dass die Entscheidung in Brüssel getroffen wird. Die Hauptstadtregion muss vergrößert werden, so dass sie die sozio-ökonomischen, kulturellen und sprachlichen Tatsachen widerspiegelt. Wenn man eine dauerhafte Lösung für das Land will, die Flamen dies aber nicht verstehen, muss man eine gerechte Lösung für Brüssel und die Umgebung der Hauptstadt finden.

Brüssel war nie eine flämische Stadt, sondern brabantisch – und die Provinz Brabant war zweisprachig. Dort lebten Wallonen und Flamen, und sie kamen miteinander aus. Es gab in Brüssel auch Spanier und Österreicher, die bis zur französischen Revolution hier regiert haben. Wenn es nicht gelingt, eine ausgewogene Lösung für Brüssel und die Umgebung der Hauptstadt zu finden, wird sich der Konflikt in Zukunft verschärfen und dies könnte tatsächlich zu einer Teilung führen. (Berthold Eder, Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 1.10.2008)