Alain Corre hat 1987 als Marketing-Trainee bei Ubisoft angefangen und ist seit 2000 als Geschäftsführer für die Märkte Europa, Mittlerer Osten und Asien zuständig.

Ubisoft, Montage: Zsolt Wilhelm

Der weltweit drittgrößte Videospielhersteller Ubisoft versteht sich als Spezialist für spielerisch anspruchsvolle Kost. Seit dem Boom der Casual Games streckt man seine Fühler auch abseits der Kernzielgruppe aus und mischt dabei sogar ein wenig im Filmgeschäft mit. Frauen werden nicht nur als Spielerinnen umgarnt, sondern sollen in Zukunft für lukrative Spielideen sorgen. "Wir müssen noch viele Menschen überzeugen, dass Spielen gut für sie ist", sagt Alain Corre, Ubisofts Geschäftsführer für Europa, den Mittleren Osten und Asien (EMEA) im Gespräch mit Zsolt Wilhelm.

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derStandard.at: Europa hat mittlerweile den US-Markt bei Videospielverkäufen überholt. Ändert das den Fokus der Spielehersteller?

Alain Corre: Tatsächlich gibt es heutzutage zwei unterschiedliche Gruppen von Konsumenten. Wir haben immer noch Hardcore-Gamer (Vielspieler), die sind in Europa so wie auf der ganzen Welt gleich. Die wissen genau, was sie wollen und auf die haben wir uns in den letzten 10 Jahren konzentriert.

derStandard.at: Der größte Trend zurzeit ist Casual-Gaming, also Spiele für jedermann…

Alain Corre: Wir freuen uns über die neuen Zielgruppen – die Mädchen, die Mütter und auch ältere Menschen. Alle die sind dank Nintendos Wii und DS erreicht worden. Der Unterschied ist, dass hier zum ersten Mal sich die Geräte (Spielkonsolen) an die Anwender angepasst haben, früher war das umgekehrt. Das Spielen ist einfacher geworden und der Markt explodiert. Wir haben das in unsere Pläne einberechnet und generieren bereits ein Drittel unserer Einnahmen mit Casual-Games.

derStandard.at: Wo liegen die Unterschiede in der Entwicklung?

Alain Corre: Bei Casual-Games muss man viel stärker die Kultur der jeweiligen Zielgruppe berücksichtigen und Produkte länderspezifisch abstimmen. Aber es zahlt sich aus. Wenn wir mit frischen Kreationen immer mehr neue Konsumenten ansprechen und sie mit interessanten Produkten bei der Stange halten können, wenden sie weniger Zeit für andere Arten der Unterhaltung auf und das ist gut für unsere Industrie.

derStandard.at: Dennoch haben wir insbesondere auf der Wii kaum Titel von Drittherstellern erlebt, die nur annähernd an die Erfolge von Hardcore-Spielen wie "Grand Theft Auto" oder "Assassin’s Creed" heranreichen. Ubisoft lukriert selbst lediglich 10 Prozent seines Umsatzes durch Wii-Spiele, Xbox 360 und PlayStation 3 bringen es zusammen auf 46 Prozent. Nintendos eigene Spiele verkaufen sich indes millionenfach – macht ihnen das nicht zu denken?

Alain Corre: Nintendo ist mit Sicherheit einer der besten Hersteller auf diesem Planeten und wir selbst sind sehr von der Qualität von Shigeru Miyamotos Werken (Super Mario, Zelda, Wii Sports) beeindruckt. Das hat sich seit 20 Jahren nicht geändert. Wir haben einiges in diesem Bereich aufzuholen und müssen umso ideenreicher sein. Ich glaube, mit Raving Rabbids haben wir gezeigt, das wir erfolgreich sein können und der neue Teil, der zu Weihnachten erscheint, wird es in die Top 5 schaffen.

derStandard.at: Abseits der Wii feiern Breitenmarkt-Spiele wie "Guitar Hero" oder "SingStar" von Drittherstellern auch große Erfolge, worauf kommt es also an?

Alain Corre: Das entscheidende ist die Qualität und die Freude, die wir dem Spieler bereiten können.

derStandard.at: Gut, dass Sie das ansprechen, denn viele Spielveteranen haben das Gefühl, Hersteller missbrauchen in vielen Fällen den Casual Gaming-Boom, um billige Produkte teuer zu verkaufen…

Alain Corre: Es gibt überall B-Produktionen. Ein großer Teil der veröffentlichten Hardcore-Spiele sind schlecht. Natürlich ist es billiger für eine Wii oder einen DS zu entwickeln, aber wenn man innovativ sein möchte, muss man viel Zeit und Geld investieren. Und am Ende des Tages steigt man dann nicht günstiger aus. Billigware ist ein Zeichen für kurzfristige Strategien, wir sind hier für die gesamte Distanz. Nur wenn man eine gute Marke aufbaut, werden die Konsumenten immer wieder kommen.

derStandard.at: Sie haben vorhin die weibliche Zielgruppe angesprochen. Es gibt pinke Spielkonsolen, den virtuellen Ponyhof und auch sonst bedient man sich aller Klischees, um Frauen und Mädchen anzusprechen. Wo sind die Spieleentwicklerinnen geblieben?

Alain Corre: Wir haben ein paar. Beispielsweise Jade Raymond, die Produzentin von Assassin’s Creed.

derStandard.at: Die Antwort war zu erwarten, aber selbst 78 Prozent ihrer Mitarbeiter sind männlich und die meisten weiblichen Angestellten sind im Management tätig.

Alain Corre: Das stimmt natürlich, weil bei der Spielentwicklung viele Ingenieure und Programmierer gebraucht werden und diese Sparten sind nun mal männerdominiert. Beim Artdesign und Animationen verzeichnen wir hingegen zunehmend Frauen in unseren Teams.

derStandard.at: Glauben Sie, die neuen Zielgruppen werden mehr Frauen in die Entwicklung locken?

Alain Corre: Vielleicht. Was die Code-Entwicklung und die technischen Aspekte betrifft, bin ich skeptisch. Bei der Kreation von Ideen trifft das auf alle Fälle zu.

derStandard.at: Bei der Vermarktung von Assassin’s Creed hat Ubisoft in bisher nicht gekannter Intensität auf die Produzentin des Spiels gesetzt. Jade Raymond ist rasch zum Aushängeschild für ihren Konzern geworden. Kritische Stimmen meinten, Ubisoft hätte die Attraktivität seiner Starproduzentin ausgenutzt, um das Spiel zu verkaufen…

Alain Corre: Wir können uns glücklich schätzen Jade an der Spitze des Projekts gehabt zu haben, weil sie sehr talentiert ist. Sie hat ein State-of-the-art-Produkt geschaffen. Abseits dessen versuchen wir immer unsere Produzenten für ein Spiel sprechen zu lassen, weil sie die Werke am besten kennen. Das ist bei Prince of Persia" oder "Far Cry 2" nicht anders. Das Besondere an Assassin’s Creed war, dass Jade Raymond auch als erste Frau an der Spitze eines AAA-Titels stand. Die Kombination hat sehr gut gepasst.

derStandard.at: Assasin’s Creed ist ein sehr cineastisches Videospiel. Sieht man daran die zunehmende Verschmelzung von Spielen und Filmen?

Alain Corre: Filme und Spiele kommen sich immer näher. Wir setzen in vielen Fällen auf dieselben Techniken. Dieser Trend wird sich in Zukunft fortsetzen. Basierend darauf haben wir uns entschieden in Montreal ein CGI-Studio (Studio für Computer-generierte Bilder) zu gründen, das sich auf die Techniken spezialisieren kann, die von Filmstudios wie Pixar schon seit Jahren eingesetzt werden. Wir wollen verstehen lernen, wie sie arbeiten, um für die Konsolen der nächsten Generation vorbereitet zu sein, die in ein paar Jahren kommen werden.

derStandard.at: Planen Sie auch eigene Filme zu kreieren?

Alain Corre: Wir träumen davon eine neue Marke abseits der Spiele zu erschaffen, sei es ein Film oder eine CGI-Animationsserie. Wir wollen unsere Geschichten, Charaktere, Welten auch zu Nichtspielern bringen.

derStandard.at: Wollen Sie das nächste Pixar werden?

Alain Corre: Nein, wir kennen unsere Kompetenzen. Wir möchten nur unser Potenzial maximieren.

derStandard.at: Große Filmstudios wie Warner Bros. investieren zurzeit massiv in den Spielemarkt. Denken Sie, das wird die Industrie verändern? Fürchten Sie die Konkurrenz?

Alain Corre: Unsere Industrie wächst sehr schnell, sie ist heute die größte Unterhaltungsbranche der Welt. Gleichzeitig ist sie sehr eigen und benötigt ganz spezifische Talente. Technologie spielt eine wesentliche Rolle. Man kann nicht über Nacht die Nummer Eins werden. Da steht ein langer Lernprozess dahinter. Wir sind in Sachen Interaktivität Hollywood um Jahre voraus. Aber jeder neue Mitbewerber ist uns herzlich willkommen. Es gibt genug Platz für alle.

derStandard.at: Werden wir noch viele Joint-Ventures zwischen Filmstudios und Spieleherstellern sehen?

Alain Corre: Da bin ich mir sicher. Das ist eine lukrative Branche. Paramount steht an der Spitze von Midway Games (Unreal Tournament 3), Warner Bros. hat Monolith (Fear) übernommen. Sie (Filmstudios) versuchen es, aber es wird seine Zeit brauchen, es zu meistern.

derStandard.at: Jüngst hat Ubisoft "I am alive" angekündigt. Es sieht so aus, als hätten man sich vom Film "I am legend" inspirieren lassen…

Alain Corre: Das ist ein neues Genre, das wir versuchen zu erschließen.

derStandard.at: Welche Idee steckt hinter "I am alive"?

Alain Corre: Ich darf nicht zu viel verraten, nur dass man sich schon sehr bald im Spiel sehr allein fühlen wird…

derStandard.at: Das kommt mir bekannt vor. "…und man muss Wege finden, um zu überleben".

Alain Corre: Richtig. (lacht)

derStandard.at: Eine weitere Vermischung, die sich abzeichnet, ist Kunst und Spiele. Das kommende "Prince of Persia" setzt auf ein geradezu malerisches Artdesign. Werden Spiele künftig auch zu einer Ausdrucksform von Kunst?

Alain Corre: Absolut. Für die jungen Leute sind Spiele jetzt schon eine Form von Kunst, in der sie sich selbst entfalten können. Entwickler bringen ihre Ideen über interaktive Geschichten zum Ausdruck – das sind die neuen Künstler. Und Spiele sind ihre Ausdrucksform.

derStandard.at: Zum Unterschied von anderen Kunstformen, überbringen nur wenige Spiele eine Message. "Metal Gear Solid 4: The Sons of the Patriots" (Konami) war da schon eine Ausnahme. Wird sich das ändern?

Alain Corre: Ich kann nicht für die anderen sprechen. Ubisoft in jedem Fall versucht nicht Menschen zu belehren. Wir wollen sie auch nicht politisch beeinflussen. Unser Ziel ist es Emotionen zu erzeugen.

derStandard.at: Ist es problematisch mit einem Spiel politisch Stellung zu nehmen? Bei Filmen ist das Gang und Gebe.

Alain Corre: Man kann mit jedem Medium eine politische Meinung zum Ausdruck bringen. Wir konzentrieren unsere Arbeit nur intensiv auf ein eher jüngeres Publikum und nehmen unsere Verantwortung daher sehr ernst. Das ist unsere Konzernlinie.

derStandard.at: Wechseln wir zurück zur wirtschaftlichen Seite. Mit den steigenden Produktionskosten im Hinterkopf, ist es da für Dritthersteller noch möglich exklusiv für eine Plattform zu entwickeln?

Alain Corre: Wenn man heute ein AAA-Spiel für 20 bis 30 Millionen Euro plus Marketing- und Distributionskosten produziert, muss man versuchen seine Gewinne zu maximieren. Ansonsten kann man nicht überleben. Das ist der Hauptgrund, weshalb man heute kaum noch Spiele exklusiv für eine Plattform sieht, abgesehen von den Titeln der Konsolenhersteller selbst.

derStandard.at: Bleibt der PC auf der Strecke? Ubisoft macht nur noch 7 Prozent seiner Einnahmen durch Computerspiele…

Alain Corre: Wir werden den PC weiterhin unterstützen. Ein Grund dafür ist die kontinuierliche technische Weiterentwicklung der Plattform, was sie zu einer Art Benchmark macht. Wir können hier zeigen, wozu wir technisch in der Lage. Außerdem wollen wir die Community nicht außer Acht lassen.

derStandard.at: Auch wenn die Nutzerzahlen zurückgehen?

Alain Corre: Wenn man ein gutes Produkt hat, gibt es immer einen Markt dafür.

derStandard.at: Einige Analysten gehen davon aus, dass durch die Plattform-übergreifende Verbreitung von Spielen die einzelnen Plattformen an Bedeutung verlieren…

Alain Corre: Das kommt auf die Entwicklungen der großen Drei (Sony, Nintendo, Microsoft) an. Sicher ist aber, dass Spiele immer öfter online über Download-Dienste bezogen werden. Die nächste Generation an Konsolen wird meiner Meinung nach aber immer noch auf eine Art von physischen Datenträgern setzen. Was in 10 Jahren sein wird, ist schwer zu sagen.

derStandard.at: Macht es einen Unterschied für die Spielhersteller?

Alain Corre: Eigentlich nicht. Uns ist es nur wichtig die Spieler zu erreichen.

derStandard.at: Ubisoft hat eine Niederlassung in Österreich, planen Sie diesen Standort auszubauen?

Alain Corre: Wir haben keine Pläne dazu, da wir glauben, dass der Markt gut abgedeckt ist. Zurzeit konzentrieren wir uns auf Osteuropa. Wir errichten momentan ein Büro in Polen.

derStandard.at: Wo sind die Zukunftsmärkte für Ubisoft und für die Spielindustrie im Allgemeinen? Europa, Asien oder doch USA?

Alain Corre: Alle davon. Denn in Europa und in den USA haben wir jetzt neue Zielgruppen erschlossen und das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Wir stehen erst am Anfang. Wir müssen noch viele Menschen überzeugen, dass Spielen gut für sie ist. Aber auch schnell wachsende Märkte wie Russland, China und Indien werden schon bald eine große Rolle spielen.

derStandard.at: Wo liegt das Zentrum?

Alain Corre: Mittelfristig wird sich das mit den neuen Märkten ausbalancieren. In den nächsten Monaten und Jahren ist es Europa.

derStandard.at: Vielen Dank für das Gespräch. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at vom 28.9.2008)